Wie ich Figuren entwickle – Eine unkonventionelle Methode?

Ich habe mich – vor mittlerweile einer ganzen Weile –  mit einer Freundin über das Schreiben unterhalten und dabei kam die Frage auf: „Wie entwickelst du eigentlich deine Figuren?“. Das habe ich ihr dann mit viel unsicherem Zögern beantwortet, denn auch wenn ich eine feste Methode habe, habe ich sie noch nie jemandem erklärt. Es scheint eine ungewöhnliche Methode zu sein, denn besagte Freundin sagte, dass ihr diese Art Figuren zu entwickeln unbekannt sei. Deswegen werde ich hier erklären, wie ich beim Schreiben/Entwickeln von Figuren vorgehe und vielleicht kannst du dir Inspiration holen (oder merken, dass dein eigener Weg Figuren zu entwickeln, doch am besten zu dir passt).

Mein Weg der Figurenentwicklung

Als ich mit dem Schreiben angefangen habe, habe ich nur wenig Zeit auf meine Figuren „verschwendet“. Ich habe sie nicht vorbereitet, hatte keine Charakterbögen und auch keine Idee, welche emotionale oder physische Reise sie durchmachen würden. Sie waren ein Transportmittel für die Geschichte. Notwendig aber letztendlich austauschbar.

Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass das nicht die effektivste Weise ist, mit Figuren umzugehen. Ich habe also viel zu Figurenentwicklung gelesen, gelernt und auch selbst geschrieben. Dennoch haben sich einige Sachen nicht verändert:
Meine Geschichten sind generell eher plot- als figurenfokussiert, deswegen erfahren Worldbuilding und Plot eine deutlich größere Liebe zum Detail. Die Figuren sind immer noch eher Mittel zum Zweck, aber ich habe gelernt, dass gute Figuren – was auch immer „gut“ bedeuten mag –  eine Geschichte interessanter machen können und es damit lohnenswert ist, eine gewisse Arbeit in sie hineinzustecken.
Aber mit den „klassischen“ Arten, Figuren zu entwickeln, wie Charakterbögen, Figuren-Interviews oder ganze Biographien für sie schreiben, kann ich nur wenig anfangen. Diese Art von Figurenentwicklung ist für mich sehr mühselig und letztendlich nicht zielführend, weil ich die daraus gewonnen Informationen nicht/nur selten benutze. Deswegen habe ich mir eine schnellere Methode ausgedacht, die aber (so hoffe ich zumindest) dennoch in sich konsistente und interessante Figuren hervorbringt.

Was bleibt mir von Figuren in Erinnerung?

Wenn ich an verschiedene Figuren aus Büchern denke, dann fällt es mir oft schwer, sie im Nachhinein zu greifen. Ich habe kein Bild von ihnen im Kopf – ich habe nämlich kein bildliches Gedächtnis – und auch „Fun Facts“ wie Geburtsdatum oder Sternzeichen oder Allergien habe ich meistens direkt wieder vergessen. Stattdessen erinnere ich mich an ihre „Ausstrahlung“. Eine Figur, die ich mit schwarzen Haaren und kantigem Gesicht beschreibe, kann für 100 Lesende hundertmal verschieden wirken, aber eine Figur, die sich bedrohlich vor einer anderen aufbaut, fühlt sich immer gleich/ähnlich an.
Um dieses Gefühl geht es mir bei der Figurenentwicklung. Alles andere ist sehr flexibel und leicht veränderbar.

Wie entwickle ich also Figuren?

Die Entwicklung einer Figur besteht meist aus drei Schritten, die ich je nach Figur mehr oder weniger intensiv durchspiele. Hauptfiguren erhalten dabei meist mehr Zuwendung, Nebenfiguren weniger – aber das kann sich auch je nach Sympathie zu der jeweiligen Figur ändern.

1. Die Rolle der Figur

Weil meine Geschichten plotfokussiert sind, entstehen meine Figuren nicht aus einem Vakuum, sondern kommen mit der Rolle, die sie in der Geschichte einnehmen, z.B. die Leiterin der Schule oder der alleinerziehende Vater. Die Rolle der Figur ist also mein Absprungpunkt, der mir auch meist schon eine äußerliche Motivation für die Figur liefert, also die Frage beantwortet: Was macht die Figur im Plot eigentlich?
Weil es an der Rolle der Figur wenig zu rütteln gibt – außer ich schmeiße den ganzen Plot um – habe ich hier meinen Ankerpunkt, zu dem ich in den folgenden Schritten zurückkehren kann, wenn ich mir bei einer Entscheidung unsicher bin.

2. Die Charaktereigenschaften der Figur

Als nächstes mache ich mir Gedanken um das Innenleben der Figur. Im Kern stehen dabei zwei Fragen: Wie möchte die Figur sich verhalten? (Das ist die nicht-plotgesteuerte, innere Motivation.) Und warum möchte die Figur sich so verhalten? (Das ist die Frage nach der Hintergrundgeschichte bzw. formenden Momenten im Leben der Figur.)
Dabei ist mir wichtig: Diese Charaktereigenschaften (bzw. Hintergrundgeschichte) sind die Details der Figur, die in den stillen Momenten der Geschichte hervorkommen, wenn der Plot aufatmet. Sie geben den Figuren die Möglichkeit, den Lesenden eine andere Seite von sich zu zeigen.

3. Die Ausstrahlung der Figur

Als letztes überlege ich mir, wie die Figur von außen auf andere wirkt. Welche innere Charaktereigenschfaten überspielt sie bewusst oder unbewusst und warum? Steht die Ausstrahlung mit den inneren Charaktereigenschaften in Konflikt und wie äußert sich das im Alltag?
Das ist die Seite der Figur, die die Lesenden zuerst und am deutlichsten präsentiert bekommen. Bei manchen Figuren geht es nie darüber hinaus.

Aber alles bleibt irgendwie schwammig …

Selbst, wenn ich die Figuren auf diese Art und Weise gebaut habe, können sie noch schwer greifbar sein, denn theoretisch lässt sich jeder der oben genannten Schritte in zwei Sätzen beantworten und eine abgerundete, volle und komplexe Figur in sechs Sätzen zu bauen, ist nicht ganz einfach. Aber das ist auch irgendwie gewollt.
Bei dem Entwickeln meiner Figuren achte ich sehr darauf, dass ich „Lücken“ lasse. Denn ich habe für mich festgestellt, dass die Figuren, das Wandelbarste in meinen Geschichten sind und eine feste Definition verhindert Veränderung.

Ich achte beim Schreiben darauf, dass ich die Rolle, die Charaktereigenschaften und die Ausstrahlung der Figuren im Auge behalte und frage mich bei jeder Szene ob – und wenn ja, wie – die neuen Erlebnisse die Figur verändern würden. Dann ergänze ich (im Kopf, ich schreibe mir meine Figurenentwicklung selten auf) diese Punkte zu den Charakteristika der Figur und bleibe so in der Darstellung der Figur konsistent.

Und wie sieht die Figur jetzt aus?

Die Entscheidung nach dem Aussehen der Figur fällt meist als letztes, auch wenn oftmals das Aussehen zumindest zum Teil durch die Rolle und Hintergrundgeschichte bestimmt werden. Schauplatz der Geschichte, Beruf, Hobbies und mehr können sich z.B. auf den generellen Körperbau auswirken, aber das verrät mir nicht unbedingt etwas über die Größe der Figur oder ihre Augenfarbe. Wenn ich da keinen Grund für eine gewisse Entscheidung habe, wähle ich sie meist recht zufällig – wenn ich es überhaupt erwähne.
Fun Fact: Das Aussehen der Figur ist auch meist das Einzige, was ich von ihr aufschreibe, weil ich es ansonsten einfach vergesse. Es ist mir schon zu oft passiert, dass eine Figur ungewollt drei verschiedene Haarfarben und Haarlängen hatte.

 


Was hältst du von meiner Art Figuren zu entwickeln? Wie entwickelst du deine Figuren?

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5 Replies to “Wie ich Figuren entwickle – Eine unkonventionelle Methode?”

  1. Charles says:

    Sehr interessant, wie du Figuren entwickelst. Ich habe es bisher eher aus dem Bauch heraus gemacht, bei Papyrus kommen ein paar Stichworte dazu, damit es stringend bleibt. Hast du schon mit „Generatoren“ gearbeitet? Ich wollte bei einem zukünftigen Projekt damit arbeiten, damit ich nicht aus versehen immer die selben Charakterzüge nehme.
    LG
    Charles

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    1. Sina Bennhardt says:

      Ich wusste gar nicht, dass es überhaupt so Generatoren für Figuren gibt 😀
      Das muss ich mir mal genauer anschauen, denn ich merke auch, dass ich gerne auf bestimmte „Standard“-Charakterzüge zurückfalle, wenn mir gerade nichts besseres einfällt^^“

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      1. Charles says:

        Also, wenn du mal einen Blog-Artikel zu Generatoren schreiben möchtest, wäre ich sehr interessiert 🙂
        Bisher nutze ich Generatoren eher für Namen (steh da immer auf dem Schlauch), habe aber auch jetzt einen für Charakter gefunden.

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        1. Sina Bennhardt says:

          Das klingt gar nicht so unspannend. Dann muss ich mich wohl mal in ein paar Generatoren reinfuchsen 😀

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          1. Charles says:

            Wenn du möchtest, kann ich dir auch ein paar ganz gute nennen. Schreib mich einfach an, falls du möchtest.
            LG

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