Von der Idee zur Geschichte – Mein Schreibvorgang von Anfang bis Ende

Als ich mit dem Schreiben angefangen habe, habe ich mich oft gefragt, wie andere Schreibende eigentlich vorgehen. Wo kommen die Ideen her? Wie wird aus einer Idee eine Geschichte? Wie viel Planung steckt darin? Um genau diese Fragen, soll es in diesem Artikel gehen. Ich erläutere an einem Beispiel, wie ich von der Idee bis zu der fertigen Geschichte komme. Und diese Geschichte ist Die Sonnen in der Ferne, die ich für die Anthologie Train Tracks: Fahrten ins Ungewisse (Veröffentlichung am 01.11.2022!!) geschrieben habe.

Wie komme ich zu einer Idee?

Den Prozess der Ideenfindung zu beschreiben, ist für mich am schwierigsten, weil ich die meiste Zeit nur lose Konzepte in meinem Kopf herumfliegen habe. Diesen Konzepten fehlt meist jegliche sinnvolle Form.

  • „Wanderheuschrecken, damit kann man doch bestimmt was machen.“ oder
  • „Könnte man auf einem gefrorenen Ozean Schlittschuh laufen?“ oder
  • „Eine Frau, die Sebastian heißt“

Mit der Zeit (also Wochen, Monate oder Jahre) stoßen diese Ideen mit anderen zusammen und entwickeln sich zu größeren Bildern, die den Anfang für eine Geschichte bilden. Ich nenne diesen Prozess passive Inspiration, weil ich nicht aktiv nach Ideen suche, sondern quasi nur darauf „warte“, dass sich eine Idee aus den Gedanken formt.

Zum Glück für diesen Artikel ist das nicht, was bei Die Sonnen in der Ferne passiert ist. In diesem Fall habe ich aktiv nach Inspiration gesucht und Ideen entwickelt.

Die Ausschreibung

Der Titel der Anthologie, für die ich die Geschichte geschrieben habe, ist Train Tracks: Fahrten ins Ungewisse. Hier ein Ausschnitt aus dem Ausschreibungstext.

Reisen bildet, heißt es. Denn wer eine Reise tut, der kann etwas erzählen. […] Sind wir nicht jemand anderes, wenn wir den Zug wieder verlassen? […] Wohin bringt der Zug deine(n) Held:in? In die Zukunft? In die Vergangenheit? Auf einen anderen Planeten? Oder nur zur Haltestelle Grand Central Terminal in New York?

Eine Zugfahrt spielt eine wichtige Rolle in der Geschichte.

Den Zug als Objekt in meiner Geschichte zu verwenden hat mich ehrlich gesagt im ersten Moment nicht sonderlich gereizt, denn – vielleicht ironischerweise – ist ein Zug für mich ein sehr statisches Objekt. Die Umgebung um einen herum verändert sich, aber ein Zug ist, sobald man ihn betreten hat, bis zu seinem Verlassen immer gleich. Die nachfolgenden Fragen, waren hilfreicher für mich:

Warum wollen wir überhaupt weg? Und wer wollen wir sein, als was wollen wir gelten, an unserem Ziel? Was erwarten wir uns von diesem Ort am Ende unserer Reise?

Das Thema

Bevor ich mich auch nur ansatzweise mit dem Genre oder der tatsächlichen Geschichte beschäftige, wollte ich zuerst das Thema festlegen. Denn besonders bei Kurzgeschichten finde ich es einfacher, das Genre auf das Thema abzustimmen und nicht umgekehrt.
Deswegen habe ich mich auf die Suche nach einem Thema begeben, das für mich „wahr“ und nachvollziehbar ist. Ein Thema, bei dem ich aus eigenen Erfahrungen erzählen kann. Im Zusammenhang mit den Fragen oben, war ich schnell bei einer Antwort: Existenzangst.

Dann ging das Verfeinern meiner ursprünglichen Idee los: Was an einer Reise macht Existenzangst? Macht das Ziel Angst? Das fühlt sich sehr erwartet an. Dann vielleicht die Länge Reise? Warum könnte einem die Länge der Reise Angst machen? Weil man (vielleicht) nicht ankommt? Eine interessante Idee, also formuliere ich die Angst zu ihrem logischen Extrem aus:

Was, wenn die Reise Jahrtausende dauert, und man weiß, dass man selbst nie ankommen wird?

Die Wahl des Genres

Ich möchte in meiner Kurzgeschichte also einen Lebensausschnitt einer reisenden Person darstellen, die niemals an ihrem Zielort ankommt. Natürlich – wie sollte es bei mir auch anders sein? – habe ich für das Genre zuerst über Fantasy nachgedacht, aber das erschien mir nicht passend. In der Fantasy liebe ich vor allem den Weltenbau und das Entwickeln von komplexen Magiesystemen. Das Beides in einer Kurzgeschichte als Fokus zu nehmen, ist wahrscheinlich nicht sehr spannend zu lesen und in der Kombination mit Existenzangst auch nicht einfach umzusetzen.
Trotzdem ist der fantastische Genre die richtige Richtung. Also ging es in das Schwestergenre der Fantasy: Die SciFi. In der SciFi sind lange Distanzen zwischen Planeten Alltag und deswegen ein Konzept, das nicht erklärt werden muss. Eine Reise zwischen zwei Planeten, die aus der Sicht eines Menschenlebens länger als das ganze Leben dauert, ist verständlich und nachvollziehbar.

Die Ausschreibung verlangt allerdings nach einem Genremix. Mit der Wahl meines Themas war auch das relativ einfach: SciFi und Dystopie.

Die Geschichte

Weil es sich bei der Geschichte um eine Kurzgeschichte mit sehr beschränkter Zeichenzahl handelt, wollte ich den Plot einfach halten. Meine häufigste Kritik an Kurzgeschichten ist, dass die Schreibenden zu viel auf einmal versuchen und der Fokus fehlt. Diesen Fehler wollte ich selbst vermeiden. Wie kann ich also Komplexität aus dem Plot nehmen? Das ist einfach: Indem ich keinen klassischen Plot habe.

Anstatt also einen äußerlichem Konflikt zu schreiben, findet die Geschichte in den Gedanken der erzählenden Figur statt. Mehr eine Reflektion über die aktuelle Situation mit innerlich ausgetragenem Konflikt als Action. Ein stiller Moment.

Also hier der bisherige „Plot“ in groben Zügen.

  1. äußerliche Vorstellung des Setting (SciFi muss von Anfang an klar sein)
  2. innerlicher Konflikt der erzählenden Figur, Auseinandersetzung mit Situation und Existenzangst
  3. Bewältigung der Existenzangst – zumindest für den Moment

Die Erzählart

Weil ich meinen Plot so stark vereinfacht habe, möchte ich meinen Fokus stattdessen auf einem interessanten Leseerlebnis haben. Eine Kurzgeschichte bietet einen idealen Spielplatz, um zu experimentieren.

Ich mag Geschichten aus der Ich-Perspektive nicht, deswegen schreibe ich eine personale Sie-Perspektive. Das ist für einen inneren Konflikt vielleicht ein bisschen ungewöhnlich, aber für mich deutlich angenehmer zu schreiben (und zu lesen). Dabei ist der Erzählstil sehr frei, mehr ein Gedankenstrom als eine feste Struktur.
Ich möchte noch eine äußerliche Verdeutlichung, wie sich die Existenzangst auf die Erzählerin auswirkt. Weil es bei der Existenzangst wortwörtlich um die Angst (vor dem Verlust) der eigenen Existenz geht, wird die Erzählerin keinen Namen und auch keine äußerliche Beschreibung bekommen. Das ist in zweierlei Hinsicht sinnvoll:

  1. Man denkt in einem Gedankenstrom nicht seinen eigenen Namen oder explizit über sein Aussehen. (Außer es geht thematisch um den Namen und das Aussehen, was in der Geschichte nicht der Fall ist.)
  2. Es nimmt der Erzählerin ihr Gesicht und ihr Aussehen. Man kann nur schwierig von ihr zu reden, weil man nur „sie“ sagen kann und man kann sie sich nicht vorstellen.

Das eigentliche Schreiben

Das Genre steht. Die Geschichte steht. Die Erzählart steht. Bleibt nur noch das Schreiben. Hier gibt es leider nicht viel zu erzählen. Weil die Geschichte eher ein Gedankenstrom als eine Geschichte ist, habe ich nichts geplottet, sondern einfach meinen eigenen Gedankenstrom aufgeschrieben.
Das ist für eine Erklärung meines Schreibprozesses sehr unspektakulär. Wenn du dich aber für meinen normalen Schreibprozess interessierst, dann kannst du in dem Artikel Chronologisch oder durcheinander schreiben? Was sind die Vor- und Nachteile? Genaueres nachlesen.

Danach habe ich den Text eine Woche liegen lassen (um ein bisschen Distanz zu gewinnen und den Text zu einer späteren Zeit objektiver einschätzen zu können) und ein paar Freund*innen drüberlesen lassen. Dann habe ich die Kritiken überdacht, umgesetzt bzw. verworfen und fertig war die Geschichte.

Alles in allem hat das Entwickeln und Schreiben der Geschichte etwa drei Wochen gedauert. Zwei Wochen Ideen sammeln und über die Umsetzung nachdenken und eine Woche schreiben und Überarbeiten. Die aktive „Arbeitszeit“ würde ich auf etwa 15 Stunden schätzen.

 


Hat dir dieser Einblick in meinen Schreibprozess gefallen? Wie kommst du beim Schreiben von Idee zur Geschichte?
Wenn du neugierig geworden bist, wie Die Sonnen in der Ferne letztendlich geworden ist, kannst du die Anthologie hier kaufen.

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5 Replies to “Von der Idee zur Geschichte – Mein Schreibvorgang von Anfang bis Ende”

  1. Ally says:

    Mir kommen auch oft einfach solche „Fetzen“ in den Sinn, die ich dann ausarbeite, sodass sie nach und nach größer werden. Aber für eine KG würde ich auch versuchen, die Idee schon „bewusster“ zu finden. Einfach weil man am Ende nicht so viel Platz hat, sie auszuarbeiten und sie deswegen auch in einem begrenzten Rahmen funktionieren muss. 🙂

    Antworten
  2. Faehe says:

    Hallo,
    danke für die Beschreibung deiner Ausarbeitung von Kurzgeschichten.
    Mir kommen auch immer wieder solche Idee im Alltag in den Sinn, aber meistens verwerfe ich sie dann doch. Manchmal tippe ich sie in meine Notiz-App. Wenn ich zu einer Ausschreibung etwas schreibe, dann suche ich Ideen. Allerdings ist bei mir der Haken, dass ich genau diesen einen Fehler begehe, den du in deinem Artikel erwähnst – nämlich, dass es ich zu viel auf einmal erzählen möchte.
    Wie umgehst du diesen Fallstrick bzw. wie bemerkst du ihn? Liegt es bei dir an der Erfahrung oder an Übung? Über Tipps wäre ich dankbar.
    Viele Grüße,
    Faehe

    Antworten
    1. Sina Bennhardt says:

      Hey Faehe,
      dass einem das „zu viel auf einmal erzählen“ auffällt, hat viel mit Erfahrung zu tun (und es ist auch ein stückweit subjektiv, was „zu viel“ ist).

      Zunächst einmal würde ich versuchen für mich zu definieren, was alles dazu führen kann, dass sich eine Geschichte nach „zu viel“ anfühlt. Erzählgeschwindigkeit, (Anzahl der) Figuren, Komplexität des Plots, Worldbuilding, Infodumping und und und, können alle zu diesem Gefühl beitragen. Was davon stört dich am meisten? In welche Falle tappst du am häufigsten hinein? An den Stellen würde ich zuerst ansetzen.

      Wenn du dir unsicher bist, was es davon genau ist (oder du dir einen Überblick verschaffen möchtest, wie andere Autor*innen diese Probleme lösen), kann es helfen, die Texte anderer zu analysieren. Suche dir gezielt Anthologien und Kurzgeschichtensammlungen verschiedener Autor*innen und versuche herauszufinden, warum dir manche Geschichten gefallen und manche nicht. Formuliere dabei eine Frage aus, die du nach dem Lesen der Geschichte beantworten möchtest. In deinem Fall könnte es sein: „Was sind die großen Handlungspunkte der Geschichte und fühlt sich einer davon überflüssig an?“ oder „Wie heißen die Figuren und welchen Zweck erfüllen sie in der Geschichte? Welche davon könnte man streichen?“ etc. Es lohnt sich besonders, bei Kurzgeschichten zu verweilen, die einem nicht gefallen und dort ganz genau herauszufinden, woran es liegt.
      Sammle deine Ergebnisse und nach und nach sollte sich ein Bild zusammensetzen, was für dich die Eckpunkte einer Geschichte sind, in der nicht „zu viel auf einmal“ geschrieben wird.

      Beim Schreiben/Entwickeln der Geschichte rate ich dazu, die äußeren Begrenzungen im Auge zu behalten. Wie viel „Platz“ hast du überhaupt? Eine Seite, zehn, fünfzehn? Schon Diese Vorgabe kann zu unglaublich unterschiedlichen Geschichten führen. Hier lohnt es sich auch, gesondert über das Genre nachzudenken. Ich habe z.B. für mich gemerkt, dass ich Krimis als Kurzgeschichten oft etwas erschlagend finde (im metaphorischen Sinne). Denn Krimis brauchen viele Figuren und sind in ihrer Erzählweise häufig recht komplex, damit die Lesenden nicht direkt am Anfang die Lösung erraten. Das auf wenigen Seiten zu liefern ist oft schwierig. Da sind andere Genres einfacher.
      Und es kann unglaublich helfen, die eigenen Geschichten an Testlesende weiterzugeben und genau nach diesem Punkt zu fragen. Denn oft ist die Selbsteinschätzung das Schwierigste.

      Letztendlich braucht man Erfahrung um die „Anzeichen“ zu erkennen und Übung um sie auszubügeln.

      Ich hoffe, diese Erklärung hat dir irgendwie geholfen^^“

      Antworten
      1. Faehe says:

        Hi^^.
        Ja, hat sie. Danke für die ausführliche, klare Erklärung. Das hilft mir ein gutes Stück weiter. Bisher hatte mir das nämlich niemand beantworten können, weil immer wieder die Antwort kam, sie schreiben sie nur schnell runter. So eine richtige Strategie hatten sie nicht. Du hast mir aber eine gute Anleitung gegeben.
        Viele Grüße,
        Faehr

        Antworten

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