Gewaltvermeidung als wirksames Werkzeug – Nuancierte Kampfszenen (5/5)

In den letzten Beiträgen meiner Nuancierte Kampfszenen-Reihe (hier geht es zum Anfang, wenn du sie verpasst haben solltest), habe ich mich sehr auf die Gewalt selbst fokussiert. Das ergibt auch Sinn für eine Artikelreihe, in der es explizit um Gewalt geht, aber dennoch wird einem Thema im Kontext der Gewalt selten Beachtung geschenkt: Der Gewaltvermeidung. Das möchte ich mit diesem Artikel ändern.

CN: Oberflächliche Beschreibung von Gewalt und Gewaltsituationen

Gewaltsituationen sind gefährlich

Dass Gewaltsituationen gefährlich sind, scheint erstmal recht offensichtlich zu sein, aber das wird mir in Geschichten noch zu selten demonstriert. Gewalt wird oft mit einer Leichtigkeit beschrieben und „eingesetzt“, die ich erschreckend finde. Menschen stechen mit Schwertern oder Dolchen aufeinander ein oder schießen einander mit Pfeilen ab – zumindest in der Fantasy – und behalten davon vielleicht eine schmerzende Narbe, aber das war es auch schon.
Es wird gerne vollkommen unterschätzt – oder vielleicht (absichtlich) ignoriert -, welche Auswirkungen eine Verletzung oder auch allein das „passive“ Erleben von Gewalt haben kann. Das finde ich schwierig, weil es in gewisser Sicht das Einsetzen der Gewalt romantisiert, indem es die negativen Nebenprodukte davon übergeht.

Eine Notiz am Rande: Ob man Gewaltsituationen in Büchern spannend findet oder nicht, ist eine subjektive Vorliebe und nur weil ich hier dagegen argumentiere(n werde), heißt das nicht, dass Gewaltvermeidung für deine Geschichten ebenfalls die passende Wahl sein muss. Vielen Lesenden gefällt es von Gewaltsituationen zu lesen.
Allerdings finde ich persönlich Gewaltvermeidung und Deeskaltation allein schon deswegen spannender zu lesen, weil beides nicht so häufig vorkommt.

Warum Gewalt in Geschichten spärlich einsetzen?

Oft sind es die Protagonist*innen – also „die Guten“ – die zwecks Demonstration ihrer Coolheit besonders häufig zu den Waffen greifen. (Vielleicht ist das aber auch nur eine Erscheinung der Fantasygeschichten, die ich lese.) Dabei kann es viel spannender sein, wie Figuren einen Konflikt erkennen, der möglicherweise gewaltsam werden könnte, und ihn gar nicht erst entstehen lassen. Auch für die Lesenden.
Denn: Viel Gewalt in deinen Geschichten stumpft ab. Gewaltvolle Szenen werden beim fünften oder zehnten Mal nicht mehr so stark auf deine Lesenden wirken. Besser ist es – finde ich zumindest – eine Gewaltsituation als letzte Eskalationsstufe zu lassen und deine Figuren ernsthaft versuchen zu lassen, so eine Situation zu vermeiden. Denn wenn es dann wirklich zu einer Gewaltsituation kommt, dann werden deine Lesenden wirklich mitfiebern.
Wenn man einmal durchschaut hat, dass Gewaltsituationen in Büchern oft nur Action-Setpieces ohne wirkliche Konsequenzen sind, dann verliert man schnell das Interesse.

Was ist Gewaltvermeidung?

Mit Gewaltvermeidung meine ich nichts anderes, als eine potentiell gefährliche Situation im Voraus zu erkennen und dann zu umgehen. Das bedeutet explizit, dass ich nicht von dem Entschärfen einer bestehenden Gewaltsituation rede. Gewaltvermeidung bedeutet also – wie das Wort vermuten lässt – eine Gewaltsituation zu vermeiden, bevor sie überhaupt entsteht. Aber wie funktioniert das und was sind „gefährliche Situationen“?

Das Einschätzen von Situationen

In einem der Selbstverteidigungskurse, den ich besucht habe, wurde uns ein sehr hilfreiches Bild mit auf den Weg gegeben, nämlich die Bewertung von Situationen nach dem Ampelprinzip. Durch die Einteilung in drei Kategorien – grün, gelb und rot – lassen sich verschiedenste Situationen schnell bewerten und man kann abschätzen, ob ein Handeln von der eigenen Seite erforderlich sind.

Was ist „gefährlich“?

Weil ich beim Erklären der Kategorien des Ampelprinzips, sehr oft „gefährlich“ schreiben werde, möchte ich zuerst definieren, was ich damit meine. Eine Situation ist gefährlich, wenn es die Möglichkeit gibt, dass man selbst oder andere Personen (oder auch z.B. Eigentum) physisch oder psychisch zu Schaden kommen könnte. Das klingt sehr vage und ist auch abichtlich so vage gehalten, weil das Verständnis von Gefahr von Person zu Person stark variieren kann.
Ein bellender Hund, eine Gruppe betrunkener Personen und/oder ein Mensch, der einen vor Wut anschreit, können von manchen als gefährlich wahrgenommen werden und von anderen nicht. Dass jede der beschriebenen Situaitionen das Potential birgt, gefährlich zu werden, ist unbestreitbar. Da allerdings jeder Mensch unterschiedliche Wahrnehmungen und Erfahrungen hat, ist ebenfalls wichtig zu sagen: Eine Situation ist gefährlich, sobald man sie als gefährlich wahrnimmt.

Übrigens: Ich spreche hier nur von „menschengemachten“ Gefahren und Bedrohungen. So etwas wie Naturkatastrophen werden nicht berücksichtigt.

Das Ampelprinzip: Grüne, gelbe und rote Situationen

Um herauszufinden, ob man sich in einer grünen, gelben oder roten Situation befindet, muss man sich nur eine Frage stellen: Befände ich mich potentiell in Gefahr, wenn ich in dieser Situation schlafen würde?

In einer grünen Situation befindet man sich absolut nicht in Gefahr. Das könnte zu Hause sein, im eigenen Zimmer, bei Freunden, vielleicht sogar an öffentlichen Orten wie in der Schule oder Uni. Wenn du dich so sicher fühlst, dass du dich ohne zu zögern hinlegen und schlafen könntest, dann bist du in einer grünen Situation.

In einer gelben Situation könnte es in Ausnahmefällen zu gefährlichen Situationen kommen. Denke an Orte des öffentlichen Lebens: Bus oder Bahn, in der Innenstadt oder auf der Arbeit. Es wäre wahrscheinlich besser, wenn man nicht einschläft, aber wahrscheinlich würde nichts passieren.
Tatsächlich befindet man sich wahrscheinlich die meiste Zeit seinen wachen Lebens in gelben Situationen. Das bedeutet also, auch wenn gelb schon auf dem halben Weg nach rot zu sein scheint, besteht hier in den allermeisten Fällen noch keine aktive Gefahr. Gelb heißt nur: Aufmerksamkeit ist sinnvoll, aber vermutlich nicht notwendig.

In einer roten Situation ist es wahrscheinlich, dass man zu Schaden kommt, wenn man schlafen würde. Denke zum Beispiel an Situationen, in denen andere Personen schon konfliktbereit auf einen zukommen.

Unvermeidbare gefährliche Situationen

Natürlich kann es in deiner Geschichte auch passieren, dass eine gefährliche Situation entsteht, die unvermeidbar ist. Wenn deine Figuren dennoch keine Gewaltsituation erleben wollen, können sie versuchen diese gefährliche Situation zu entschärfen. Hier eine allgemeine Regel oder einen allgemeinen „normalen“ Ablauf zu formulieren ist sehr schwierig, weil gefährliche Situationen in vielen unterschiedlichen Formen kommen, auf die sehr unterschiedlich reagiert werden kann/sollte.
Trotzdem möchte ich sehr grob einen generellen Versuch formulieren, wie sich mit vielen gefährlichen Situationen umgehen lässt:

1. Vermeidung

Auch wenn man sich bereits in einer gefährlichen Situation befindet, sollte man zuerst prüfen, ob Vermeidung immer noch eine Möglichkeit ist. Ist es möglich zu gehen oder wegzulaufen? Kann man sich unauffällig verhalten und so übersehen werden? Vielleicht ist sogar verstecken eine Option?
Die beste Möglichkeit mit einer gefährlichen Situation umzugehen, ist gar nicht erst an einer gefährlichen Situation teilzunehmen. Deswegen sollte der Versuch der Vermeidung immer Schritt 1 sein.

2. Deeskalation

Lässt sich eine gefährliche Situation nicht vermeiden, kann man versuchen, sie zu deeskalieren. Auch das kann auf unzählbar viele Arten und Weisen geschehen, die sich unmöglich alle aufzählen lassen. Denke beispielsweise an das Deeskalieren durch ein Gespräch, durch eine Nicht-Reaktion auf eine Provokation, durch Lügen oder auch durch die bloße Anwesenheit von weiteren Personen.
Der Grat der Deeskalation ist schmal, situaitonsabhängig und verwischt gerne mit Schritt eins oder drei.

3. Hilfe holen

Wenn es absehbar ist, dass Deeskaltion nicht helfen wird, dann sollte man sich Hilfe holen. Das kann durch das Ansprechen von zufällig anwesenden aber unbeteiligten Personen geschehen, durch Freunde, die in der Nähe sind, oder auch durch einen Schrei nach Hilfe. Wichtig zu wissen ist hier: Der Grad der Bekanntheit mit der Person und die direkte Ansprache sind wichtige Faktoren dabei, ob man von einer Person Hilfe bekommt. Das heißt, eine Freundesperson, die direkt angesprochen wird („[Name], ich brauche Hilfe.“ oder so), hilft am wahrscheinlichsten und eine unbekannte Person, die einfach nur einen Schrei nach Hilfe in ihre Richtung wahrnimmt am unwahrscheinlichsten.

4. Konfrontieren

Wenn eine Vermeidung, Deeskalation oder Hilfe von anderen Personen nicht möglich ist, dann bleibt einem wenig andere Wahl, als sich der gefährlichen Situation zu stellen. Auch das kann abhängig von der Situation auf hunderte verschiedene Weisen passieren, die aber alle sehr wahrscheinlich in mindestens einer Form von Gewalt (egal ob physisch, psychisch, emotional, etc.) enden werden.

Gewaltvermeidung in deinen Geschichten

Jetzt, wo du die Grundlagen der Gewaltvermeidung kennen gelernt hast, kannst du dir überlegen, wie deine eigenen Figuren mit gefährlichen Situationen umgehen. Es ist durchaus sinnvoll, dass sich Figuren nicht immer „korrekt“ verhalten, denn hier kommt es vor allem auf ihren Instinkt und auch auf ihre Erfahrung mit gefährlichen Situationen an. Aber unabhängig von der Erfahrung der Figuren finde ich es sinnvoll, wenn (die meisten) Figuren darauf bedacht sind, Gewalt zu vermeiden. Das erhöht – rein aus der Sicht des Plots – deutlich die Spannung, wenn es trotz aller Versuche trotzdem zu einer Gewaltsituation kommt und gibt ihnen mehr Gewicht.
Zeige, dass die Figuren sich ihrer Umgebung bewusst sind, vielleicht sogar manchmal innehalten, um eine Veränderung der Situation neu einzuschätzen. Vielleicht entscheiden sie sich, einen anderen Weg als normalerweise zu gehen, weil Straßenlaternen ausgefallen sind. Zeige unterschiedliche Reaktionen auf gefährliche Situationen und den Willen, Gewalt zu vermeiden.

 


Wie ist in deinen Geschichten das Verhältnis zu Gewalt? Versuchen deine Figuren Gewalt zu vermeiden oder suchen sie sie aktiv?

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