In Sachen LGBTQ+ Repräsentation muss sich in Film, Fernsehen und Büchern besonders im Deutschen Raum noch Einiges tun. Besonders eine sexuelle Orientierung wird – sogar innerhalb der LGBTQ+-Community – oft übersehen. Deswegen möchte ich über Asexualität reden, in der Hoffnung dass es dir hilft, sie ein bisschen besser zu verstehen und (in den nächsten Artikeln) rundere Figuren für deine Geschichten zu schaffen.
CN: Erwähnung von Sex
Was ist Asexualität?
Asexuelle Menschen – Aces, ein Wortspiel aus dem Englischen, wo der Beginn des Wortes asexual wie ace (also ein Ass aus einem Kartenspiel) klingt – empfinden keine (oder deutlich reduzierte) sexuelle Anziehung. Und das ist auch schon die ganze Magie der Asexualität. Mehr steckt nicht dahinter. Trotzdem erweckt diese kleine Definition oft viel Verwirrung und deswegen möchte ich direkt zu Anfang ein paar wichtige Fragen klären:
Sexuelle Anziehung vs. Libido
Der Aspekt der Asexualität, der oft am meisten Fragen aufwirft, ist die Frage, was sexuelle Anziehung überhaupt bedeutet und ob das nicht eigentlich das Gleiche ist wie Libido. Zugegebenermaßen haben sexuelle Anziehung und Libido Einiges gemeinsam, unterscheiden sich aber in einem wichtigen Punkt.
- sexuelle Anziehung = der Wunsch/die Lust mit einer (bestimmten) Person sexuell zu werden
Übersetzt: „Ich möchte mit dir Sex haben!“ - Libido = der Wunsch sexuelle Befriedigung zu empfinden, ohne dass sich die Lust auf einen (bestimmten) Menschen richtet
Übersetzt: „Ich möchte sexuelle Befriedigung fühlen.“
Aces können Lust auf sexuelle Befriedigung (Libido) haben, aber empfinden keine (oder deutlich verringerte) sexuelle Anziehung. Und das werde ich in diesem Artikel bestimmt noch ein paar Mal sagen, denn das ist der Kern der Asexualität. Aber …
Asexualität ist ein Spektrum!
Bitte behalte immer im Hinterkopf: Asexualität ist ein Spektrum. Aces haben erstmal nur gemeinsam, dass sie keine oder deutlich verringerte sexuelle Anziehung empfinden. Aber ob Aces romantische Anziehung empfinden, ob sie Sex mögen oder nicht oder ob sie überhaupt Lust auf sexuelle Handlungen haben, selbst wenn sie „nur“ sie selbst einschließt – wie Masturbation – ist von Ace zu Ace unterschiedlich.
In diesem Artikel werde ich von meinen Erfahrungen berichten und damit hast du den Blickwinkel von genau einer ace Person. Nämlich von mir. Damit kannst du genauso wenig wie ich wissen, wie andere Aces ihre Asexualität erleben.
Ein Disclaimer
Die Tatsache, dass ich hier über meine Sexualität schreibe, ist keine Einladung über mein Sex-Leben in oder außerhalb von vergangenen oder bestehenden Beziehungen zu spekulieren. Das gilt besonders, wenn man mich und meine (vergangenen oder aktuellen) Partner*innen kennt.
Coming Out – Der lange Weg zur Asexualität
Ich bin asexuell. Normalerweise erzähle ich das gar nicht, weil es selten Relevanz hat, aber für diesen Artikel ist es wichtig. Ich möchte dir erzählen, wie ich bei diesem Label angekommen bin und wie meine Erfahrungen mit Sexualität bisher waren. Du kannst diese Beschreibungen nutzen, um dein Verständnis von Asexualität zu vertiefen, oder auch – und das möchte ich an dieser Stelle explizit erlauben – Schlüsselsituationen und einzelne Erfahrungen und Gedanken für die Figuren in deinen Geschichten abzuschauen.
Hier möchte ich noch einmal ganz deutlich darauf hinweisen: Die folgenden Erfahrungen und Beschreibungen sind die Wahrnehmung meiner Asexualität. Meine Asexualität wird sich (z.T. deutlich) von den Erfahrungen anderer Aces unterscheiden. Meine Erfahrungen sind nicht universell.
Aber beginnen wir am Anfang.
Der Hetero-Standard
Das Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, war sehr hetero. Es wurde zwar – wenn Sexualität zur Sprache kam (eher selten) – auch erwähnt, dass es ja schwule und lesbische Menschen gibt und man ihnen positiv gegenübersteht, aber das war es auch schon. Die Erwartung schien zu sein, dass der Standard hetero ist. Es stand gar nicht zur Diskussion, dass ich nicht hetero sein könnte, und auch ich habe nicht genug darüber nachgedacht, dass mir auch nur in den Sinn gekommen wäre, dass es anders sein könnte.
Diesen letzten Punkt möchte ich betonen. Ich denke in meinem Alltag nicht über Sexualität nach, vor allem nicht über meine eigene. Sie betrifft mich einfach nicht und ich vergesse regelmäßig, dass es vielen Menschen oder vielleicht sogar den meisten Menschen anders geht. (Aber ich greife voraus.)
In der Schule
In der Schule, so mit 14 oder 15, fingen die Mitschüler*innen an, über Sex zu reden, hatten ihren ersten Freund oder Freundin. Ich hatte auch meinen ersten Freund – er wollte kuscheln und fummeln, ich nicht. Das Küssen fühlte sich nicht nach Schmetterlingen im Bauch an. Es war nett aber da kam kein Wunsch nach mehr. Wir trennten uns schnell.
Vielleicht war ich einfach ein Spätzünder?
Oberstufe. Die meisten meiner Mitschüler*innen hatten schon ihre Erfahrungen mit Beziehungen gemacht. Mir fehlte das Bedürfnis danach, aber damit fühlte ich mich ausgeschlossen. Das Konzept einer Beziehung hörte sich schön an, wenn da nicht so viele Erwartungen dran geknüpft wären. Ich dachte, ich wäre in einen Mitschüler verknallt und war ziemlich stolz darauf, dass ich eine Form von Anziehung erfuhr – aber im Nachhinein weiß ich, dass ich ihn nur cool fand und ihn als platonischen Freund haben wollte. Ganz ohne sexuelle (oder romantische) Gefühle.
In der Uni
Ich ging zur Uni ohne Beziehungserfahrung und ohne Sex gehabt zu haben. Ich wollte auch nicht wirklich Sex haben, aber es fühlte sich an, als würde ich etwas verpassen. Außerdem sagten mir alle, dass Sex das Beste auf der Welt wäre, ich müsste es nur einmal ausprobieren, dann würde ich es auch verstehen. Okay.
Ich suchte mir einen Freund – dass ich auch eine Freundin haben könnte, kam mir noch nicht einmal in den Sinn, denn schließlich war ich „hetero“ – und hatte das erste Mal Sex. Und war unbeeindruckt. Es war nett für den erlebten Moment. Aber eben nichts besonderes.
[Maybe] I had not emotionally and sexually matured enough to be ready for a relationship.
So wie in dem Zitat dachte ich auch über mich. Ich war mit dem ersten Freund aus Unizeiten für ein paar Monate zusammen und dann trennten wir uns. Meine Meinung über Sex hatte sich in der Zeit nicht geändert. Auch die ein, zwei One-Night-Stands danach bestätigten meine Meinung und geschahen eher aus der Hoffnung, dass ich endlich so etwas wie sexuelle Anziehung erfahren könnte. Aber da war nichts. Und das hat mich fertig gemacht, denn ich wollte die Verbindung, die eine (romatische) Beziehung mit sich bringt, aber das schien, ohne dass der Sex im Mittelpunkt stand, einfach nicht möglich.
Vielleicht war bei mir irgendetwas schief gelaufen, denn jeder will doch Sex, oder?
Dass es so etwas wie Asexualität gibt, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Dann küsste ich eine Frau und war mir auf einmal bei gar nichts mehr sicher.
Oh, dann bin ich wohl Bi
Eigentlich war die Erfahrung gar nicht so bahnbrechend, wie der Satz oben vermuten lässt. Ich küsste eine Frau und merkte, dass es sich genauso anfühlte, wie wenn ich Männer küsste – nämlich nach nichts. Aber auch zweimal Nichts ist genau dasselbe Maß an sexueller Anziehung und immerhin wusste ich dass Bisexualität existierte. Und wenn ich von Männern und Frauen gleichermaßen – nämlich nicht – sexuell angezogen bin, dann muss ich wohl Bi sein. Problem gelöst!
Im Nachhinein ist es lustig, meinen Logikfehler zu sehen, aber in dem Moment kam ich mir so schlau vor, dass ich des Rätsels Lösung endlich geknackt hatte.
Ich nahm die Selbstbezeichnung bisexuell für mich an. Erzählte auch ein paar Freunden davon, aber im Großen und Ganzen änderte sich nichts. Meine Sexualität hatte zu wenig Auswirkung auf mein Leben, als dass ich da weiterhin wirklich viel drüber nachgedacht hätte.
Asexuell durch Zufall
Der letzte Schritt meiner Reise zur Asexualität geschah durch einen Zufall. Ich schaute einem Streamer zu und das Thema der Sexualität kam auf. Er sagte, er wäre „biromatic asexual“ und erklärte dann, was es bedeutete.
I am not sexually attracted to anybody [because] that just doesn’t make sense to me. But I am romantically attracted to people. […] School was weird for me, because that’s when everyone is horny. And I wasn’t.
Ich habe das gehört und auf einmal haben so viele Sachen Sinn ergeben. All meine Unsicherheiten, die ich zu meiner Sexualität jemals hatte, waren durch diese einfachen Sätze erklärt. Wenn ich also sage, dass ich asexuell nur durch Zufall bin, dann meine ich: Hätte ich diesem Streamer nicht zugesehen und diese Erklärung nicht gehört, würde ich mich immer noch als bisexuell bezeichnen. Und gleichzeitig denken, dass irgendwas nicht ganz stimmt.
Lange Rede kurzer Sinn: Ich bin asexuell. Ich möchte eine Beziehung mit einem Menschen – ganz egal welches Geschlecht dieser hat – und Sex ist halt eine Aktivität, an der man sich beteiligen kann, aber die mir eigentlich relativ egal ist.
Noch eine Bemerkung am Rande:
Als ich diesen Artikel, vor fast einem Jahr, begonnen habe, enthielt er noch einen Absatz über meine romantische Anziehung. Ich habe mich „panromantisch“ (asexuell) genannt. Seitdem ist mir bewusst geworden, dass ich gar nicht genau verstehe, was romantische Anziehung überhaupt ist bzw. dass meine Vorstellung von romantischer Anziehung nichts mit Romantik zu tun hat.
Tatsächlich ist mir – wie es aussieht – bei meiner romantischen Anziehung derselbe Fehler unterlaufen wie bei meiner sexuellen. Denn auch wenn Null gleich Null ist, bedeutet das nicht Panromantik sonder Aromantik – also das nicht Fühlen/Erleben von romantischer Anziehung. Allerdings fühle ich mich in dem aromantischen Label noch nicht so sicher wie mit „asexuell“ und bleibe deswegen vorerst einfach nur „asexuell“.
Die LGBTQ+ Community und Asexualität
Asexuelle Menschen sind oft unsichtbar. Außerhalb von Beziehungen sind sie einfach nur Single und innerhalb von Beziehungen ist implizit erwartet, dass sie sexuell sind. Es ist die erwartete Norm sexuelle Anziehung zu erfahren.
We are not heteronormative, even when we are heteroromantic. Heteronormativity is so sexualized, often overly so, and asexual people are so othered for not experiencing sexual attraction in the same way.
Und auch innerhalb der LGBTQ+ Community werden Aces oft als Außenseiter gesehen. Viele LGBTQ+ Events sind so tief verwachsen mit der Darstellung von Sexualität – was berechtigt ist, denn LGBTQ+ Sexualität muss normalisiert werden – dass es Aces implizit ausschließt. Und da sitzt man als Ace nun. Nicht heteronormativ genug, um „normal“ zu sein und keine sexuelle Anziehung, um zu „beweisen“, dass man in die LGBTQ+ Community gehört. Zumindest habe ich mich immer so gefühlt.
Denn ich bin nicht „queer“ – nicht in meinem Gefühl. Ich teile kaum Erfahrungen mit anderen (nicht-Ace) Menschen aus der LGBTQ+ Community. Ich habe keine Diskriminierung wegen meiner Sexualität erfahren, nur viel Verwirrung von innen und von außen. Hauptsächlich gibt es da das Gefühl der Einsamkeit.
TW für das folgende Zitat: Erwähnung von Vergewaltigung
Asexual people are forced to cope with the societal belief that if you don’t want to have sex or don’t experience sexual attraction, you’re broken. That stigma can result in difficulty accessing appropriate health care, because your physician might recommend therapy to “fix” your asexuality instead of focusing on whatever issue you actually came in to discuss. Asexual people face pressure to consent to sexual activity in relationships, and can also be victims of “corrective” rape — when a rapist or assaulter attacks a person in order to “fix” their asexuality.
Beim nächsten Mal …
… spreche ich detailliert über die Darstellung von asexuellen Menschen und wie du selbst schlüssige asexuelle Figuren bauen kannst. Ich hoffe, dieser kleine Einblick in mein Leben hat dir gefallen!
Konnte ich dir das Thema der Asexualität näher bringen? Hast du dich schon mit Asexualität beschäftigt oder ist das alles Neu für dich?
Schön von dir mal auch einen persönlichen Beitrag zu lesen. Ich kann mir gut vorstellen, wie sehr die Erwartungen von den anderen nerven und verunsichern. Ich selbst breche auch immer mit den Erwartungen von anderen, auch wenn es nicht um meine Sexualität geht.
„School was weird for me, because that’s when everyone is horny. And I wasn’t.“
Das fasst ziemlich genau auch meine Schulzeit zusammen (ich bin demisexuell und die Person, für die ich sexuelle Anziehung empfinde, ist erst in mein Leben gespawnt, als ich 20+ war. Meine Reaktion war damals „Ach, huch, ich habe sowas ja doch“.)
<3
Danke für Deinen Artikel in dem ich mich oft wiederfinden konnte. Ich bin froh für Dich, daß Du den Weg zum ace-label in verhältnismäßig jungen Jahren gefunden hast(wenn ich Dein Foto richtig interpretiere 🙂).Bei mir hat es bis zu diesem „2. Coming out “ (beim ersten war ich 20 und entdeckte daß ich mich wenn überhaupt in Frauen verliebe) weitere 35 Jahre gebraucht. Dennoch hilft mir das Label nun mich selbst besser zu verstehen.