Autorinnen im Literaturbetrieb – Von Kleinreden und Unterrepräsentation

Von Zeit zu Zeit wäscht eine Welle der Frustration über mich, wenn ich mich in der Buchwelt umschaue. Der Auslöser dieses Mal? Ich habe die Moving Castle Trilogie von Diana Wynne Jones gelesen – eine durchwachsene Trilogie, die aber unabstreitbar ein handwerkliches Meisterwerk ist. Ich habe mir Sondereditionden dieser Trilogie gekauft mit Vorwort, einer verlängerten Biographie, Illustrationen und sogar einem Brief von Jones an die Lesenden. Geärgert hat mich die Biographie, die symptomatisch für die Behandlung von Autorinnen im Literaturbetrieb ist.

Die Erfolge von Diana Wynne Jones

Die Biographie beschreibt in wenigen Sätzen Dianna Wynne Jones‘ Kindheit und ihre Liebe für Bücher und geht dann weiter zu ihren Erfolgen als Autorin. Besonders hervorgehoben wird ihre Chrestomanci-Reihe und natürlich der Erfolg ihres Buches Howl’s Moving Castle und dem dazugehörigen Ghibli-Film. Dazu kommen ihre zahlreichen Auszeichnungen wie der Guardian Award for Children’s Fiction, der Mythopoeic Fantasy Award und der Life Achievement Award der World Fantasy Convention 2007. Ein überaus beeindruckender Lebenslauf, der ganz offensichtlich nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben einer bewundernswert-erfolgreichen Autorin darstellt.

Dann kommt der letzte Satz:

Neil Gaiman called her ‚the best writer of Magic there is‘.

Und dann ist die Biographie vorbei. Aber dieser letzte Satz hat mich fassungslos (wütend) gemacht und das möchte ich erklären und analysieren.

Die inhaltliche Aussage

Auf den ersten Blick ist gar nicht viel Aufregendes in diesem Satz passiert. Ein ebenfalls bekannter Autor aus demselben Genre hat ein Lob ausgesprochen, das aus meiner Sicht seine Berechtigung hat. Diana Wynne Jones schreibt absolut fantastische Magie und Fantasy.
Was stört mich dann an dem Satz, wenn es nicht der Inhalt ist?

Die implizite Aussage

Der letzte Satz ist das, was im Gedächtnis bleibt. Und der letzte Satz rückt den Fokus von Diana Wynne Jones auf Neil Gaiman – den einzigen anderen Menschen, der in ihrer Biographie namentlich erwähnt wird – und das direkt nachdem ihre größten Erfolge aufgezählt wurden. Die Aussage wandelt sich von einer Anpreisung ihrer Schreibfähigkeit zu „Sogar Neil Gaiman hat sie gelobt.“ Ihr Life Achievement Award aus dem Satz davor wird wortwörtlich auf dieselbe Stufe wie ein Lob von Neil Gaiman gestellt.
Ebenfalls interessant ist, dass in der Biographie nur Neil Gaiman steht. Nicht „der Autor“ Neil Gaiman. Nicht „ihr Freund“ oder „ihr Kollege“ Neil Gaiman. Nein, es ist nur „Neil Gaiman“. (Achtung, hier werde ich sarkastisch!) Ist ja auch nicht wirklich relevant, in welchem Verhältnis die beiden zueinander standen, oder? Es ist ja nur eine Aufzählung der größten Erfolge von Jones und da gehört natürlich die Meinung eines Mannes, der in einem nicht erklärten Verhältnis zu ihr steht, angetackert.

Fakt ist:

Neil Gaiman hat mit seinem kleinen Zitat absolut nichts in der Biographie von Diana Wynne Jones zu suchen. Ja, er war mit ihr befreundet und sie haben sich anscheinend sehr geschätzt, aber das ist nicht relevant in einer Aufzählung der Erfolge von Jones – außer natürlich man meint, es ist ein Erfolg (vergleichbar mit einem Life Achievement Award, von dem direkt davor geredet wird!) mit einem Autoren wie Neil Gaiman befreundet sein zu können/dürfen? Der letzte Satz ist einfach nur die Meinung eines Mannes, die es anscheinend braucht damit die unglaublichen Erfolge einer Frau legitim erscheinen. Wir sind es so gewohnt, dass Frauen die Bestätigung eines „Experten“ – lies: eines Mannes – brauchen, dass es kaum auffällt, dass der letzte Satz vollkommen überflüssig und nichtssagend ist.

Ich glaube noch nicht einmal, dass das Zitat mit böser Absicht hinzugefügt wurde. Beschreibende Zitate zu Werk und Autor*in im eigenen Buch zu haben, ist relativ normal. Aber hier geht es um es die Platzierung des Zitats. Denn es ist nicht unter dem Klappentext oder auf einer eigenen Seite sondern in der Biographie. Und das werde ich nicht müde zu betonen, weil ich es einfach vollkommen respektlos finde.

Autorinnen und das öffentliche Schreiben

Autorinnen sind in der Literatur unterrepräsentiert. Daran gibt es nichts zu rütteln.

Die Tendenz: Je höher das literarische Prestige eines Verlages, desto mehr scheint er auf Männer im Programm zu setzen. […] Je ernsthafter es zugeht, desto männlicher; je unterhaltsamer es wird, desto weiblicher. Für Menschen, die sich jenseits fester Zuschreibungen von männlich und weiblich verorten, ist noch überhaupt kein Raum vorhanden. (Spiegel)

Auch eine Pilotstudie zur Sichtbarkeit von Frauen in Medien und im Literaturbetrieb des Instituts für Medienforschung der Universität Rostock kam 2018 zu einem ähnlichen Ergebnis, wenn es um verfasste Rezensionen geht:

Autoren und Kritiker dominieren den literarischen Rezensionsbetrieb: Zwei Drittel aller Rezensionen würdigen die Werke von Autoren, Männer schreiben weit überwiegend über Männer und ihnen steht ein deutlich größerer Raum für Kritiken zur Verfügung. Einzig das Kinder und Jugendbuchgenre erscheint als ausgeglichenes Genre; die als intellektuell oder „maskulin“ empfundenden Genres wie Sachbuch und Kriminalliteratur werden von Autoren wie Kritikern vereinnahmt.

Es lohnt sich sehr, die ganze Studie zu lesen. Sie ist unter http://www.frauenzählen.de/ zu finden.

Und zu der Unterrepräsentation kommt noch obendrauf, dass Autorinnen – wenn sie dann besprochen werden – routiniert sexualisiert oder verkindlicht werden. Es ist wirklich zum Schreien.

Was nun?

Tja, was nun. Das ist am Ende die Frage. Als Rezensierende – besonders als männlicher Rezensent – kann man darauf achten, mehr Autorinnen zu besprechen. Als Lesende können wir mehr Bücher von Autorinnen lesen. Indem mehr Autorinnen besprochen und gelesen werden, würde das klare Signal an die Verlage geschickt werden, dass eine Nachfrage besteht.
Aber dieser Fokus auf der Lösung eines Problems durch die Arbeit und Aufmerksamkeit der Lesenden ist kaum erfolgversprechend, wenn das System nicht geändert wird. Vielleicht ist es wieder mein Zynismus, aber ich sehe nicht, dass sich hier so schnell etwas ändert, wenn die Verlage keine Initiative ergreifen. Und so sitze ich hier mit meiner Frustration in der Suppe des Sexismus und ärgere mich mehr oder weniger still darüber, dass Neil Gaiman das letzte Wort in der Biographie einer erfolgreichen Autorin haben durfte.

… hast du es gemerkt? Ich habe Diana Wynne Jones im letzten Satz nicht beim Namen genannt und so blieb auch bei mir nur der Mann stehen. So ein Scheiß.

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4 Replies to “Autorinnen im Literaturbetrieb – Von Kleinreden und Unterrepräsentation”

  1. Schreibfaehe says:

    Huhu^^.
    Ich kann deinen Ärger voll verstehen und finde ihn berechtigt. Dass man Gaimans Kommentar am Ende der Biographie hinstellt, kommt wie eine Buchrezension rüber. So a lá „Kann man lesen, weil Gaiman findet ihre Bücher gut.“ – so als wäre seine Meinung eine objektive Bewertung, die ihre Werke gut macht. Dabei wird die Subjektivität seiner Meinung außer Acht gelassen. Es hätte ihm ja auch nicht gefallen können – dass hätte die Bücher qualitativ nicht schlechter gemacht.
    Ich stimme dem übrigens sehr überein, dass wir mehr Bücher von Autorinnen lesen. Frauen haben genau so gute intellektuellen Gedankengänge wie Männer. Aber ich fürchte im Mainstream ist das noch nicht angekommen, ansonsten hätten wir so viele Sexualisierungen der Frau nicht mehr. Das Umdenken wird da noch dauern – die breite Masse hat ja auch lange gebraucht, um zu akzeptieren, dass die Erde nicht flach ist. So lange dürfen wir nicht aufgeben und weiter das Thema kommentieren und diskutieren. Insofern – danke für diesen Artikel ☺️. So merkt Frau, dass sie nicht alleine kämpft, motiviert weiter Autorinnen zu lesen und zu unterstützen und regt zum Nachdenken an.
    Viele Grüße,
    Faehe

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    1. Sina Bennhardt says:

      Ganz genau! Gaimans Kommentar am Ende der Biographie klingt wirklich wie eine (Mini)Rezension oder ein „Endorsement“. Aaah, das ärgert mich so. Was hat sich der Verlag dabei nur gedacht?!

      Danke für das Ermutigen! <3

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  2. Mirjam-Sophie says:

    Hallo Sina,
    vielen Dank für diesen Rant-Artikel, auf den ich schon gewartet habe, seitdem du ihn angekündigt hattest 😀
    Mir ist es persönlich gar nicht so stark aufgefallen, da ich hauptsächlich Frauen lese und ihre Bücher auch rezensieren. Wenn man aber einmal den blick hebt und ihn über die gesamte Branche schweifen lässt, dann fällt es schon sehr krass auf. Auch dass man in der Kriminalliteratur beinahe ausschließlich Männer findet und sobald eine Frau einen Krimi schreibt, heißt es: Oh my, was ist denn bei der falsch.
    Also danke für diesen Artikel. Deine Worte kann man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.
    Viele Grüße,
    Mirjam

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    1. Sina Bennhardt says:

      Bitte, gerne 😀

      Mir ist das auch erst vor ein paar Jahren aufgefallen, aber wenn man es einmal gemerkt hat, dann fällt es einem echt überall auf :/
      Zum Glück ist meine Bubble, was das Rezensieren und Lesen von Frauen angeht, sehr ausgeglichen, aber es ist genau wie du sagst: Wenn man sich die Branche als Ganzes ansieht, dann fällt es einfach extrem auf^^“

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