Waffen und Kampfstrategien – Nuancierte Kampfszenen (3/5)

Nachdem du die Art und Anzahl der Gegner in deiner Kampfszene ausgewählt hast, kommt es zu der Gewalt selbst. Da ich aber unmöglich auf alle unterschiedlichen Waffen und Strategien eingehen kann (und auch nicht die Expertise dazu habe), werde ich die Implikationen von Waffen im Allgemeinen beschreiben und wie sich ihre (Nicht)Benutzung auf die Wahrnehmung einer Szene auswirken kann.

CN: Besprechung von Gewalt, Erwähnung von Verletzungen ohne explizite Beispiele, Erwähnung von Tod

Aggressiv, defensiv und was noch?

Der Einfachheit halber kann man die generellen Strategien des Kämpfens – egal ob mit Waffe oder ohne – auf drei reduzieren: Aggressiv, defensiv und „lauernd“. Natürlich sind die Strategien des Kämpfens abhängig von der Art der Waffen und den generellen Kampfpräferenzen der beteiligten Personen. Dennoch sind diese Strategien, weil sie sehr allgemein gehalten sind, auf die meisten Kampfstile anwendbar und können besonders Menschen, die sich nicht in Kampfsituationen auskennen, bei dem Verständnis und der Entwicklung von Kampfesszenen helfen.

Die aggressiven, defensiven und „lauernden“ Kampfstrategien verhalten sich ein wenig wie Schere-Stein-Papier, weil sie genutzt werden können, um die Strategie des Gegners auszuhebeln.

Der Aggressive Kampfstil

Der aggressive Kampfstil zeichnet sich durch eine ständige Bewegung nach vorne aus. Der Fokus liegt auf dem körperlichen Dominieren des Gegners. Es ist eine sehr aktive und im wahrsten Sinne des Wortes überwältigende Kampfstrategie.

Die Vorteile sind vielseitig: Man gibt das Tempo und den Ton des Kampfes an und hat so viele Möglichkeiten den Gegner zu verletzen und/oder physisch zu bewegen. Es zwingt den Gegner in eine defensive (passive) Kampfstrategie, in der er kaum Möglichkeit hat, selbst aktiv zu werden und „zurückzuschlagen“.

Allerdings ist der aggressive Kampfstil sehr anstrengend und kann nicht lange (als relative Einheit) aufrecht erhalten werden. Außerdem ist ein „Angriff“ immer eine sehr verletzliche Position, denn um anzugreifen, muss man immer seine eigene Deckung fallen lassen. Dementsprechend kann ein aggressives Kampfverhalten mit einer „lauernden“ Strategie gekontert werden.

Der Defensive Kampfstil

Der defensive Kampfstil ist die schwächste Kampfstrategie, wenn das Ziel das Beenden eines Kampfes ist. Der Fokus dieses Kampfstils liegt auf dem eigenen Schutz und (bedingt) der Regeneration von Kraft. Hier möchte ich direkt eine wichtige Unterscheidung treffen. Ein guter defensiver Kampfstil ist von der ausführenden Person geplant und wurde nicht – z.B. durch einen aggressiven Kampfstil des Gegners – erzwungen. Eine erzwungene defensive Strategie hat alle Nachteile eines aggressiven Stils ohne seine Vorteile.

Ein defensiver Kampfstil ist sehr strategisch und findet seinen Sinn erst wirklich in einem langen (als relative Einheit) Kampf. Ein defensives Verhalten erlaubt, den Gegner und seine Angriffsmuster zu analysieren ohne seine eigenen preiszugeben und ist – weil man selber nicht angreift – weniger anstrengend, auch wenn nicht unterschätzt werden darf, wie anstrengend es sein kann zu blocken. Außerdem ist man in einer reagierenden Position, was eine gute Möglichkeit bietet, zu einem anderen Kampfstil zu wechseln.

Die Nachteile sind vielfältig: Defensiv zu sein, ist mental und psychisch unglaublich anstrengend, weil man sich so gut wie keinen Fehler erlauben kann. Dazu kommt, dass man kaum eine Möglichkeit hat, den Kampf zu beenden. Außerdem wird man von dem (aggressiven) Gegner „getrieben“ und muss deswegen auch eine erhöhte Aufmerksamkeit auf die eigene Umgebung richten, was zusätzlich mentale Kapazitäten fordert.
Soll heißen: Ein zu starker aggressiver Gegner, macht ein Ausschöpfen der Vorteile eines defensiven Kampfstils quasi unmöglich.

Der „Lauernde“ Kampfstil

Der „lauernde“ Kampfstil ist dem defensiven Kampfstil auf den ersten Blick sehr ähnlich, doch sie unterscheiden sich in ihrer Intention. Der „lauernde“ Kampfstil versucht zu täuschen, indem er sich als defensive Strategie tarnt. Das lockt den Gegner dazu anzugreifen, wodurch eine Lücke für einen Gegenangriff entsteht, die man mit gezielten Angriffen ausnutzt. Qualität geht hier über Quantität.

Der „lauernde“ Kampfstil vereinigt die Vorteile des defensiven und des aggressiven Kampfstils: Er ist energiesparend, man ist in einer reagierenden Position und bekommt gleichzeitig die Möglichkeit präzise und wirkungsvolle Angriffe zu setzen.

Gleichzeitig erfordert der „lauernde“ Kampfstil gute bis sehr gute Kampfkenntnisse und viel Erfahrung. Außerdem eignet er sich nicht als langfristige Strategie, denn spätestens nach dem zweiten gezielten Gegenschlag wird der Gegener gemerkt haben, welche Strategie man fährt und in einen defensiven Stil wechseln. Diesen defensiven Stil – weil kein Angriff kommt – kann man mit der „lauernden“ Kampfstrategie nicht ausnutzen und ist gezwungen aggressiv(er) zu werden.

Welche Kampfstrategie ist die beste?

Welche Kampstrategie die beste ist, ist stark situationsabhängig und kann von einem Moment auf den anderen wechseln. Die beste Strategie ist, schnell zwischen diesen Kampfstilen wechseln zu können, je nachdem was die Situation verlangt. Trotzdem werden die meisten Kämpfenden einen eigenen Favoriten haben und dieser Favorit kann viel über deine Figuren aussagen. Eine hauptsächlich aggressiv kämpfende Figur muss physisch unglaublich fit sein und gewillt zu verletzen. Eine „lauernde“ Figur ist strategisch und versucht mit möglichst wenig Aufwand den größten Nutzen für sich herauszuholen usw.
Wenn du die oben beschriebenen Kampfstrategien bedacht einsetzt, können sie die Charakterisierung deiner Figuren unterstreichen und/oder ihre Charakterentwicklung deutlich machen.

Ein Wort zu Schmerzen und Tiefschlägen

Einen Tipp, den man in Selbstverteidigungskursen oft bekommt, ist, in einem Kampf „einfach“ einen Tiefschlag zu landen. Klingt auch logisch: Die Schmerzen schalten den Gegner sofort aus und man hat die Möglichkeit zu entkommen. Aber so einfach ist das nicht.
Ganz abgesehen von den logistischen Schwierigkeiten in einer Kampfsituation treffsicher zu sein, funktionieren Schmerzen in so einer Situation auch oft anders, als man es erwarten würde. Genau wie man Geschichten von Menschen kennt, die schwerste Verletzungen davontragen und sie erst nach der Gewaltsituation bemerken, genauso funktioniert es bei schmerzhaften Techniken auch. In einem Kampf gibt es keinen verlässlichen „Ausschalter“, der einen Gegner auf jeden Fall aufhält. Zwar haben Schläge auf z.B. Schläfen, Ohren oder Hals eine größere Wahrscheinlichkeit einen Gegner kampfunfähig zu machen, aber darauf kann man sich nicht verlassen.

Nachtrag: Ein sehr spannendes Video zu diesem Thema gibt es von scholagladiatoria auf YouTube: „How do you INCAPACITATE someone WITH A SWORD?!“. In diesem Video wird mit viel Detail heruntergebrochen, welche Techniken sich dazu eignen, um einen Gegner auszuschalten und welche nicht. Generell ist scholagladiatoria eine super Quelle, besonders wenn man Geschichten mit Schwertern schreibt.

Und noch eine Bemerkung: Ohnmacht im Kampf

In Geschichten passiert es häufig, dass jemand im Kampf ohnmächtig geschlagen wird und dann erst Minuten oder Stunden später an einem anderen Ort wieder aufwacht. Das kann für eine Geschichte zwar plottechnisch unglaublich praktisch sein, sagt mir aber nur, dass die schreibende Person keine Ahnung vom Kämpfen und daraus resultierender Ohnmacht hat.
Wenn man in einem Kampf ohnmächtig geschlagen wird und nicht spätestens nach 10-15 Sekunden wieder erwacht, geht die Wahrscheinlichkeit gegen 100%, dass man einen bleibenden Gehirnschaden davongetragen hat. Das ist kein Witz. Eine Ohnmacht ist keine „Erholung“ für den Körper und kein „Reset-Button“, sondern ein sehr, sehr gefährliches Zeichen, dass man sich stark verletzt hat.
Und auch eine Ohnmacht von „nur“ unter zehn Sekunden muss immer medizinisch abgeklärt werden und wird oft eine Gehirnerschütterung o.ä. nach sich ziehen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass man mehrere Wochen braucht, um sich vollständig davon zu erholen. Das ist keine Übertreibung.

Bitte stellt Ohnmacht in euren Geschichten korrekt dar. Bis ich Kampfsport gemacht habe, war mir nicht bewusst, was eine länger anhaltende Ohmacht bedeuten kann. So ein falsches Verständnis kann echte Konsequenzen haben.

Die Benutzung von Waffen

Es gibt hunderte Arten von Waffen, die ich noch nicht einmal ansatzweise sinnvoll einteilen und beschreiben könnte, wenn ich dafür ein ganzes Buch Platz hätte, geschweige denn ein paar Absätze. Deswegen möchte ich hier nicht auf die Kampfstrategien oder -techniken eingehen, sondern möchte einen Anstoß für eine (hoffentlich) neue Art geben, Waffen zu betrachten.

Waffen als Kraftmultiplikator

Waffen sind ein Kraftmultiplikator. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass sie den Kampf deutlich zugunsten der waffen-benutzenden Person(en) beeinflussen. Das lässt sich am einfachsten an einem Beispiel zeigen.

Eine 190cm, 100kg Frau kämpft gegen eine 160cm, 60kg Mann. Die Frau ist in jedem Punkt im Vorteil: Größe, Gewicht, Kraft, Reichweite, etc. Sie wird den Kampf gewinnen. Hat der Mann aber eine Waffe z.B. ein Messer oder auch einen ausgebildeten Schutzhund, sieht die Situation auf einmal ganz anders aus. Auf einmal ist die Situation ausgeglichener. Durch die Waffe konnte der Mann seine Nachteile ausgleichen/seine Kraft multiplizieren.

Waffen sind gefährlich

Ich weiß. „Waffen sind gefährlich“ ist eine bahnbrechende Erkenntnis. Aber ich habe das Gefühl, dass dieser Gedanke in vielen Geschichten – vor allem in der Fantasy – nicht angekommen ist. Waffen machen einen Kampf „einfacher“, z.T. sehr viel einfacher und das bedeutet, dass es einfacher ist zu verletzen und auch zu töten. Wenn jemand mit einer Waffe angreift, bedeutet das immer „Ich habe mich entschieden, dass ich dich töten werde/kann“. Denn ansonsten würde man keine Waffe benutzen.

Das geht in vielen (vor allem Fantasy-) Geschichten unter. Denn Bogen, Schwerter und Dolche sind cool und die Figuren sollen sie benutzen, um zu zeigen, dass sie ebenfalls cool sind. Und entweder tötet die Hauptfigur dann niemanden (denn das würde ja ihre Moralität in Frage stellen) oder metzelt alles nieder, ohne dass der Tod danach wieder zur Sprache kommt. Beide Darstellungen sind nicht hilfreich, für das Verständnis von Waffen. Platz für Nuancen, die gerade in der Gewaltdarstellung so unglaublich wichtig sind, gibt es selten.


Im nächsten Artikel dieser Reihe, werde ich davon erzählen, wie eine realistische Interaktion mit dem Setting in einer Gewaltsituation aussehen kann.

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