[Rezension] Gender-leicht von Christine Olderdissen (Dudenverlag)

In den letzten (zwei?) Jahren habe ich den Schreibstil auf meinem Blog sehr verändert, denn ich habe begonnen, möglichst genderneutrale Sprache zu verwenden. Dass ich genderneutrale Sprache, aber auch das präzise Gendern wichtig finde und weiterhin tun werde, steht für mich nicht zur Diskussion. Allerdings fühle ich mich nicht immer sicher in meiner Wortwahl. Schreibe ich „Lesende“, „Leser*innen“, „Leser:innen“ oder „LeserInnen“? Welche Schreibweise schließt möglichst viele Menschen ein und ist gleichzeitig gut zu lesen z.B. für Menschen mit Sehbehinderung? Von dem Buch Gender-leicht – Wie Sprache für alle elegant gelingt von Christine Olderdissen erhoffte ich mir, neue Anstöße mitzunehmen.

Was wird in Gender-leicht alles besprochen?

Der Einstieg in das Buch ist – besonders für Menschen, die sich mit den Begrifflichkeiten der deutschen Sprache nicht auskennen – sehr dicht. Der Unterschied zwischen Sexus, Genus, semantischem und sozialem Geschlecht wird auf wenigen Seiten erklärt. Außerdem gibt es eine grobe Übersicht zu den großen Fragen, die im weiteren Verlauf des Buches in mehr Detail betrachtet werden: Wann ist das generische Maskulinum hilfreich? Welchen Einfluss hat die eigene Wahrnehmung der Welt auf das Gendern? Aber auch ein paar kleinere Fragen wie „Wie wirkt sich der Genderstern auf die Silbentrennung aus?“ werden geklärt.

Geschlechtergerechte Texte sollen
» sachlich korrekt
» verständlich und lesbar
» rechtssicher und eindeutig
» sowie gut vorlesbar sein.
– Seite 60

Später im Buch geht es um konkrete Grammatikfragen, um spezifische Wörter wie „Mitglied“ und Neopronomen im Deutschen.

Letztendlich laufen die Tipps meist auf dasselbe hinaus: Das Gendersternchen (oder -unterstrich oder -doppelpunkt) ist sperrig und macht einen Text meist schwieriger verständlich. Da ist es besser, nach Umformulierungen mit genderneutralen Worten zu suchen und das Gendersternchen nur „im Notfall“ zu benutzen. Meiner Meinung nach eine grundsätzlich gute Lösung, aber darauf bin ich auch schon gekommen und hätte mir noch andere Lösungsvorschläge gewünscht.
Fakt ist, dass das Gendern (noch) keinen festen Regeln folgt und wir uns gerade in einer wichtigen Formungsphase des Genderns befinden. Was wird sich als Norm herauskristallisieren? Wir haben die Möglichkeit es durch unsere Sprache zu beeinflussen.

Doch das Buch warf für mich noch eine ganz andere Frage auf:

Wird gegendert um Frauen sichtbarer zu machen?

Meine Antwort darauf, ist ein klares Nein. Ich schreibe geschlechtsneutral, damit sich alle Menschen angesprochen fühlen, und ich gendere, wenn ich präzise Aussagen treffen möchte und das Geschlecht der betreffenden Personen relevant ist. (Zumindest versuche ich das Beides konsequent zu tun.) Explizit um Frauen geht es mir dabei nicht. Damit scheine ich mit einer der Kernthesen des Buches nicht übereinzustimmen:

Gendern ist zunächst einmal das Bewusstmachen, wie männlich dominiert die deutsche Sprache ist, übrigens wie viele andere Sprachen. Und dann zu überlegen, wie können wir Frauen darin sichtbarer machen? – Seite 12

und

Maskuline Personen- und Berufsbeschreibungen machen Frauen unsichtbar. Nun müssen wir erkennen: Geschlechtsneutrale Personen- und Berufsbezeichnungen machen Frauen ebenfalls unsichtbar. – Seite 127

Der Fokus liegt also auf dem Sichtbarmachen von Frauen. Ich möchte direkt anmerken, dass es in Gender-leicht auch häufig um genderqueere, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen und deren Einbindung in die Sprache geht. Trotzdem wird das Ziel „mehr Sichtbarkeit für Frauen“ und „Sichtbarkeit für alle Menschen“ oft getrennt behandelt. Das erregt den Anschein, dass es sich um zwei unterschiedliche Ziele/Herangehensweisen handelt, was m.M.n. einfach nicht stimmt und auch nicht sinnvoll ist.

CN: Transfeindliches Zitat
Außerdem gibt es hin und wieder Formulierungen oder Lösungsvorschläge, die eben nicht so inklusiv sind, wie Gender-leicht verspricht. In dem Kapitel „Jedermann hat Probleme“ (ab Seite 77) geht es um das Ersetzen des Wortes „jedermann“.  Es wird in einem Beispiel darauf hingewiesen, dass hoffentlich niemand

Jedermann hat mal Probleme mit seiner Menstruation.

schreiben würde. Die Korrektur dieses Satzes schließt dann aber leider trans und nicht-binäre Menschen aus.

Jede Frau hat mal Probleme mit ihrer Menstruation.

Warum dieser Satz als Äquivalent zu dem Ersten einfach faktisch falsch ist, muss ich hoffentlich nicht erklären. Dabei wäre es so einfach gewesen, das Ersetzen des Wortes „Jedermann“ an einem nicht transfeindlichen Beispiel zu demonstrieren. Sehr enttäuschend.

They/Them – Eine nötige Korrektur

In dem Kapitel „Hey They – Wenn uns Wörter fehlen“ werden die fehlenden Pronomen für nicht-binäre Menschen in der Deutschen Sprache besprochen. Dort gibt es auf Seite 177 einen Hinweis auf das Englische:

[Im Englischen] wurde das Wort they aus der Versenkung geholt. Eigentlich ist they im Plural im Gebrauch. Als Einzahlpronomen wird es nun für Menschen verwendet, die sich nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen […]

Diese Darstellung ist nicht korrekt. They wurde nicht „aus der Versenkung“ geholt, sondern wurde schon immer als Singular-Pronomen verwendet, wenn das Geschlecht einer Person unbekannt oder für die Situation irrelevant war, Bsp.: „I met our new janitor today, they were so nice.“ oder „Did our new neighbor move in already? I haven’t seen them yet.“ oder „Oh no, someone forgot their jacket in the meeting room!“
Was im Englischen neu ist, ist die Verwendung von „they“ als dauerhaftes (neutrales) Pronomen für eine einzelne Person.

Tatsächlich ist genau die oben genannte Argumentation – they wäre nur ein Pluralpronomen – ein beliebtes „Argument“ für z.B. TERFs, um Menschen mit diesem Pronomen zu delegitimisieren, und es ist sehr beunruhigend diese Falschinformation in einem Sachbuch zu finden.

„Asexuel“ und Buchstabenrätsel

In dem Kapitel „Der, die oder das Diverse – Das Hauptwort geht gar nicht“ (ab Seite 164) geht Christine Olderdissen auf die Verwendung des Wortes „divers“ ein und spricht auch verschiedene sexuelle Orientierungen an.

Geht jemand heterosexuelle oder homosexuelle Liebesbeziehungen ein? Ist die Person bisexuell, asexuel und so weiter?

Nein, ich habe mich beim Abtippen des Zitats nicht vertan. Dem Wort „asexuell“ fehlt ein L. Einmal kann das ein Rechtschreibfehler sein und ist zwar unglücklich, aber nicht weiter schlimm. Deswegen habe ich mir Nichts dabei gedacht. Aber auf der nächsten Seite passiert derselbe Fehler nochmal und dort ist „asexuel“ in seiner falschen Schreibweise sogar hervorgehoben. Diese Wiederholung des Fehlers macht die Erklärung „Rechtschreibfehler“ schon deutlich weniger glaubhaft und frustriert ein wenig. Dazu kommt die respektlose Bezeichnung der Abkürzung LGBTIQ als „Buchstabenrätsel“.

Zum Buchstabenrätsel gesellt sich manchmal ein A für „asexuel“ […]

Fazit

Gender-leicht von Christine Olderdissen ist in der Theorie ein interessantes Buch für Menschen, die sich mit gendergerechter Sprache auseinandersetzen wollen. Aber leider ging es in seinen Lösungsvorschlägen kaum über Ansätze hinaus, die ich nicht eh schon kannte.
Dazu kommt, dass sich die Erwähnung nicht-binärer Menschen im Kontext des Genderns oft wie ein Nachgedanke anfühlt. Einige Formulierungen sind nicht inklusiv oder sogar (wie oben an einem Beispiel gezeigt) transfeindlich. Dazu kommen die vielen kleinen ungünstigen Formulierungen (Mikroagressionen?), die nicht nur transfeindliche, sondern zum Teil auch abelistische Untertöne haben. Das macht es leider schwierig für Gender-leicht eine Empfehlung auszusprechen.

Möchtest du mehr über lesbares Gendern herausfinden, dann empfehle ich dir lieber Seiten wie die von Lucia Clara Rocktäschel, wo es hervorragende Artikel zu Diversity und auch das Gendern gibt und auch Workshops buchbar sind. Definitiv eine bessere Investition als das Buch Gender-leicht.

 


Hört sich das Buch für dich interessant an? Hast du dich schon mit gendergerechter Sprache auseinandergesetzt?
Weitere Rezensionen von mir findest du hier.

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6 Replies to “[Rezension] Gender-leicht von Christine Olderdissen (Dudenverlag)”

  1. Charles says:

    Gendergerechte Sprache ist manchmal wirklich schwer. Ich versuche es bisher ebenfalls mit neutralen Umschreibungen, aber es klappt nicht immer. Meistens kann ich das Problem dann mit konkreten Personen lösen. Also ist es konkret ein Arzt oder eine Ärztin und nicht irgendeine Person mit dem entsprechenden Beruf.
    In einem Roman möchte ich nicht mit Sternchen und dergleichen arbeiten, am liebsten hätte ich dann das englische „they“, das ja bereits (wie oben beschrieben) in der Sprache inkludiert ist.
    Leider sind wir hier nicht ganz so gut aufgestellt, obwohl es schon Lösungen gibt. Aber das „dey“ sieht für mich noch so fremd aus, dass es mich (zusammen mit den anderen Anpassungen) aus dem Lesefluss reißt. Ich hoffe allerdings, das es nur reine Gewöhnung ist und ich irgendwann das „dey“ genauso lese wie alle anderen Pronomen.

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    1. Sina Bennhardt says:

      Gendergerechte Sprache kann schwer sein, da gebe ich dir absolut Recht. Ich hoffe einfach, dass – indem ich und andere es konsequent machen – es seinen ungewohnten Klang schnell verliert 🙂

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  2. schreibfaehe says:

    Ich gewöhne mich langsam an die Sternchenschreibweise. Was sich letztendlich durchsetzen wird, wird sich, denke ich, noch zeigen. Da ich weiß, dass Sprache letztendlich ein System ist, das ich als einzelne nicht kontrollieren kann, versuche ich mich so gut es geht anzupassen. Ich glaube, letztendlich ist es irrelevant ob *, : oder großes I – hauptsache es gibt eine Änderung und diese wird die Mehrheit bestimmen, an die wir uns zum größten Teil anpassen werden.
    Schwieriger tue ich mich mit der Aussprache – das bin ich gar nicht gewöhnt. Beim Schreiben habe ich zumindest die Möglichkeit bei der Bearbeitung zu Gendern – wenn ich es vergessen habe. Außerdem habe ich mehr Zeit über die Wörter nachzudenken. Beim Sprechen dagegen nicht. Ich bin froh, dass viele Leute aus den Medien daran denken und es nutzen – so gewöhne ich mich mehr daran.
    Was ich an solchen Büchern übrigens so kritisch finde, ist, dass sie das ganze so linguistisch angehen – heißt, versuchen feste Regeln zu erstellen. Dabei hat Sprache ihre eigene Dynamik. Interessanter fände ich eine Untersuchung, wohin der Trend geht – als, was benutzen die Menschen, die aktiv gendern, momentan am meisten? Woran könnte das liegen? Welche wissenschaftlichen Untersuchungen gibt es da? Leider sind das zur Zeit Fragen, die Informatiker*innen wahrscheinlich eher beantworten können, als Linguist*innen. Ich finde es schade, dass diese sich so sehr an dieses starre Bild festhalten, dass Sprache nur aus Regeln besteht.

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  3. Gnurfel42 says:

    »Tatsächlich ist genau die oben genannte Argumentation – they wäre ein Pluralpronomen – ein beliebtes ›Argument‹ für z.B. TERFs, um Menschen mit diesem Pronomen zu delegitimisieren, und es ist sehr beunruhigend diese Falschinformation in einem Sachbuch zu finden.«

    Das ist aber auch wieder Falschinformation. Richtig ist: Das »they« ist AUCH ein Pluralpronomen, weil man ja natürlich mehrere Personen meinen kann (»15 people ate cake. They liked it.«. Das war im Plural.). Aber eben nicht NUR. Der Fehler ist nicht die Aussage, dass »they« im Plural gebraucht werden kann, der Fehler ist, wenn es heißt, dass es NUR im Plural gebraucht werden kann. Man spricht daher auch vom »singular they«. TERFs und andere Arschlöcher hassen das »singular they« natürlich aus naheliegenden Gründen.

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    1. Sina Bennhardt says:

      Du hast Recht, ich habe mich in dem zitierten Satz nicht ganz präzise ausgedrückt. Ich meinte explizit »Tatsächlich ist genau die oben genannte Argumentation – they wäre NUR ein Pluralpronomen – ein beliebtes ›Argument‹ für z.B. TERFs, um Menschen mit diesem Pronomen zu delegitimisieren, und es ist sehr beunruhigend diese Falschinformation in einem Sachbuch zu finden.« (Habe es in dem Text für besseres Verständnis angepasst.) Dass „they“ (auch) ein Pluralpronomen ist, hatte ich gedanklich vorausgesetzt. Danke für den Hinweis^^

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  4. Gnurfel42 says:

    Also ein Buch, das vorgibt, über Gendergerechtigkeit zu schreiben, reproduziert das Dogma der binären Geschlechterordnung und sogar Transphobie. Tolle Wurst.

    Ich finde, da bist du mit dem Buch noch viel zu handzahm umgegangen. Sowas gehört in die Tonne, egal, ob die Transphobie böse Absicht oder ein unglückliches Versehen war. So etwas darf einfach in einem Buch dieser Art auf gar keinem Fall passieren, PUNKT.

    Das Perverse ist, das Werk schadet eigentlich, da es Menschen in Wahrheit eine genderUNgerechte Sprache beibringt.

    Das ist wohl leider das Ergebnis davon, wenn Feministen nicht intersektional denken. 🙁

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