Ich mache mir gerne viele Gedanken über das Schreiben, die letztendlich wenig Belang haben. Zum Beispiel, wie wirken sich verschiedene Vokale auf die Wahrnehmung von Worten aus? Um das herauszufinden, ist die Herangehensweise ganz simpel: Eine Geschichte schreiben und alle Wörter, die mehrere Vokale benutzen, entfernen. Ich habe einige Versuche gestartet, aber habe es einfach nicht geschafft, eine zusammenhängende Geschichte zu schreiben. Also stellte sich mir die Frage: Gibt es Geschichten, die nur einen einzigen Vokal benutzen? Und so stolperte ich über Eunoia von Christian Bök.
Eunoia /juːˈnɔɪ.ə/
Eunoia ist ein englisches Wort – gesprochen Ju-noia – und kommt aus dem altgriechischen εὔνοιᾰ (eúnoia) und bedeutet in etwa „schönes Denken“ oder „gesunder Verstand“. Es ist das kürzeste Wort der englischen Sprache, das alle Vokale beinhaltet. Es ist außerdem der Titel der Kurzgeschichtensammlung von Christian Bök, der sich die Herausforderung stellte, fünf Geschichten zu schreiben, in denen er jeweils nur einen Vokal verwendet. Ein sehr passender Titel, wie ich finde und eine Herausforderung, die wunderbar auf meine ursprüngliche Fragestellung passte: Welchen Charakter haben die einzelnen Vokale?
Natürlich sehe ich ein kleines Problem meiner Fragestellung. Die Geschichten sind auf Englisch und das Englische A klingt nur manchmal so wie das Deutsche. Die Schlüsse, die ich aus dieser Kurzgeschichtensammlung ziehe, lassen sich also nicht unbedingt auf die Deutsche Sprache übertragen. Trotzdem finde ich die Frage interessant genug, um sie trotz „falscher“ Sprache genauer zu betrachten.
Der Buchstabe A
Alarms clang as a radarman tracks an attack craft that can jam radar and dart past flak at half a Mach: ack-ack-ack, rat-tat-tat. Vaward attack blasts apart hangars and tarmacs: blam, blam. – Seite 29
Das A ist roh und brutal. Es nimmt kein Blatt vor den Mund. Und selbst an Textstellen, an denen es nicht um Krieg oder das Kämpfen geht, klingt es kämpferisch. Herausfordernd. Es treibt den Leser voran, es ist schnell und ungeduldig.
Der Buchstabe E
We express resentment. We detest these depthless pretenses – these present-tense verbs, expressed pell-mell. We prefer genteel speech, where sense redeems senselessness. – Seite 32
Das E ist intelektuell, es ist elegant. Es fühlt sich kontrolliert und bemessen an. Jeden Satz aus dem E-Kapitel könnte ich mir aus dem Mund eines Professors vorstellen. Aber vielleicht ist das auch nur der Kontrast zum A-Kapitel.
Der Buchstabe I
Christ, this ship is sinking. Diving in, I swim, fighting this frigid swirl, kicking, kicking, swimming in it till I sight high cliffs, rising, indistinct in thick mists, lit with lightning. – Seite 53
Irgendwie ist das Schriftbild direkt irritierend — ha, jetzt spreche ich unfreiwillig auch mit vielen Is. Die Wörter stehen eng und die vielen i-Pünktchen machen das Bild unruhig. Wenn man die Seite von Weitem betrachtet, verschwimmen die Worte und Buchstaben miteinander. Es ist – wie schon am Anfang festgestellt – irritierend.
Aber was ist mit dem Klang? Es ist eine interessante Mischung. Das I hat durchaus klangliche Ähnlichkeiten zu dem E – verleiche bespielsweise we und ship – aber die Eleganz des E-s ist durchbrochen von kleinen Nadelstichen. Das I ist frecher, stellenweise klingt es genervt oder aufsässig. Ihm fehlt die Ruhe, die das E mit sich bringt.
Der Buchstabe O
Cold stormfronts from snowstorms blow snow onto fjords north of Oslo. Most storms howl for months: frost snows onto woods; froth blows onto rocks. From now on, snowplows plow snow. Cool brooks flow from grottos, down oxbows, to form pools or ponds. – Seite 68
Der Schriftbildwechsel von I zu O hätte extremer nicht sein können. Es ist spannend wie seltsam ein Buchstabe aussehen kann, wenn man ihn eine Weile nicht gesehen hat.
Das Gefühl, das das O vermittelt, ist widersprüchlich. Hin und wieder habe ich ganz vergessen, dass das O der einzige Vokal des Kapitels war, so flüssig ließ es sich lesen. An anderen Stellen war es, als hätten die Erwachsenen von Charlie Brown den Text geschrieben. Eine bizarre Mischung.
Der Buchstabe U
Ubu blurts untruths: much bunkum (plus bull), much humbug (plus bunk) – but trustful schmucks trust such untruthful stuff; thus Ubu (cult guru) must bluff dumbstruck numbskull (such chumps).
Das U klingt primitiv. Das mag auch an der allgemein kürzeren Satzstruktur dieses Kapitels liegen (dafür ist der Satz oben ein schlechtes Beispiel), denn die meisten Sätze bestehen aus Subjekt und Prädikat und das war es auch schon. Dazu kommt auch noch, dass die meisten Wörter einsilbig – höchstens zweisilbig – sind. Sehr viel Ubu dies und Ubu das. Kein Wunder, dass der gesamte Text dann primitiv klingt.
Was habe ich von Eunoia gelernt?
Vokale haben tatsächlich einen eigenen Charakter, doch allein haben sie – meiner Meinung nach – keinen Einfluss auf die Wahrnehmung eines Wortes. Ob man z.B. „sprinten“ oder „rennen“ nimmt, macht zwar einen Unterschied, aber der liegt in der spezifischen Bedeutung der Wörter und nicht (unbedingt) an der Anwesenheit bestimmter Vokale.
Allerdings kann eine Stimmung unterstrichen werden, wenn bestimmte Vokale gehäuft verwendet werden. Aber auch hier würde ich sagen: In einem normales Fließtext fällt es wahrscheinlich weniger ins Gewicht als in Texten, die sowieso häufiger Analysen unterliegen wie z.B. Gedichten.
Was meinst du? Haben die Vokale einen unterschiedlichen Charakter für dich?
Nur einen Vokal zu benutzen für eine Kurzgeschichte klingt tatsächlich sehr schwer, weil man im deutschen ja noch die Verben konjugieren und Nomen deklinieren muss. Daher halte ich es für sehr schwer, aber klingt nach einem lustigen Versuch, den ich mal bei Zeit starten sollte.
Ich bin sehr an deinem Ergebnis interessiert, denn ich bin kläglich gescheitert. Die paar Sätze, die ich zusammengekratzt bekommen habe, klangen irgendwie ein bisschen seltsam und hatte keinen schönen „Flow“ ^^“