[Worldbuilding] Atmosphärisches Worldbuilding vs. Logisches Worldbuilding

Ich bin ein großer Fan des Worldbuildings in all seinen Formen und das ist eine Tatsache, die wahrscheinlich jedem regelmäßigen Besucher auf meinem Blog bekannt ist. Ich liebe es Strukturen und Abläufe auseinanderzunehmen und dann daraus Regeln abzuleiten, wie eine Welt funktionieren könnnte. Aber dieses analytische Vorgehen ist nur eine Form des Worldbuildings. In diesem Artikel möchte ich tiefer auf eine andere Strategie, nämlich atmosphärisches Worldbuilding, eingehen.

Was ist atmosphärisches Worldbuilding?

„Worldbuilding“ für sich beschreibt das Erstellen und Ausdenken einer eigenen Welt und ihren Regeln. Die bekannteste Form des Worldbuildings ist das logische Worldbuilding. Es tut genau das, wonach es klingt: Beim Bauen der Welt liegt der Fokus auf Logik und Analysen. Man denkt sich neue Währungen aus, wirtschaftliche und politische Systeme, Infrastruktur, Logistik, Geographie und alle Auswirkungen, die diese neuen Entscheidungen auf eine Welt haben könnten. Es ist wichtig, dass jede Weltenbau-Entscheidung, einen logischen Ursprung in der ausgedachten Welt hat.
Und weil der Weltenbau so logikfokussiert ist, ist es auch vergleichsweise leicht zu lernen, wie man diese Art von Worldbuilding betreibt bzw. fremdes Worldbuilding zu analysieren. Auch meine Worldbuilding Serie auf diesem Blog beschäftigt sich hauptsächlich mit logischem Worldbuilding.

Dem logischen Worldbuilding steht atmosphärisches Worldbuilding gegenüber. Beim atmosphärischen Worldbuilding geht es weniger um die logischen Zusammenhänge, die hinter den Ereignissen stehen sondern um das Erleben und Sehen einer neuen Welt. Eines der bekanntesten Beispiele für diese Art des Worldbuilding sind die Harry Potter-Bücher:
Es ergibt keinen logischen Sinn, dass Eulen zum Überbringen von Post genutzt werden, wenn es besser geeignete Vögel oder auch einfach Magie gibt, aber es spielt in eine gewisse Atmosphäre. Schwebende Kerzen in der großen Halle (warum nicht magische Lichter? Werden die Schüler ständig mit Wachs betropft?), die peitschende Weide (Gefährdung der Schüler) oder das supergefährliche und oftmals tödliche trimagische Turnier (wieder Gefährdung der Schüler) … all das soll nicht hinterfragt werden, sondern dient dazu, die Atmosphäre zu unterstreichen.

Ich möchte allerdings hier bereits erwähnen, dass sich logisches und atmosphärisches Worldbuilding nicht gegenseitig ausschließen. Tatsächlich habe ich es noch nie erlebt, dass ein Worldbuilding rein die eine oder die andere Form einnimmt. Es sind meistens Mischformen, die einen mehr oder weniger starken Fokus zu einer der beiden Seite haben.

Voraussetzungen für atmosphärisches Worldbuilding

Atmosphärisches Worldbuilding ist besonders häufig in Kinder- und Jugendbüchern zu finden und hat deswegen (leider) den Ruf „kindisch“ zu sein und einem erwachsenen Anspruch nicht zu genügen. Es hat sich sogar in gewissen Kreisen ein Subgenre der Fantasy-„Kritik“ entwickelt, in dem es nur darum geht, sich über atmosphärischen Weltenbau lustig zu machen, weil er nicht den Regeln des logischen Weltenbaus folgt. Beides ist problematisch, aber ich greife vorweg.
Was sind die Voraussetzungen, die atmosphärisches Worldbuilding begünstigen?

1. Begrenztes Setting

Für atmosphärischen Weltenbau ist es hilfreich, ein begrenztes Setting zu haben. In Harry Potter ist es die Zaubererschule Hogwarts. So stellst du sicher, dass sich deine Lesenden nur auf einen Ort konzentrieren. Und ohne einen Zweit- oder Dritt-Ort kommen viele Fragen darüber, wie das Setting im Kontext der ganzen Welt funktioniert gar nicht erst auf. Indem du dich also auf das Wunderbare und Fantastische deines begrenzten Settings konzentrierst und die Welt jenseits der Grenzen deines Buchen nicht ansprichst, vermeidest du, dich für deinen Weltenbau rechtfertigen zu müssen.

Als gutes Gegenbeispiel: In den Harry Potter-Büchern – so kam es mir zumindest immer vor – hat das Worldbuilding immer nur Risse gezeigt, wenn es sich um Orte und Geschehnisse außerhalb von Hogwarts drehte. Denn, ohne den Kontext der restlichen Welt darum herum zu kennen, kann ich glauben, dass Hogwarts in all seiner Wunderlichkeit existieren kann. Aber das Zauberministerium? Azkaban? Allein die Existenz dieser Orte hat so viele Implikationen, dass Atmosphäre allein es nicht retten kann.

2. Die Art der Geschichte

Auch die Art der Geschichte kann helfen, atmosphärischen Weltenbau „glaubhafter“ zu machen. Abenteuergeschichten und Heldenreisen, in denen das Setting nur ein Setting ist, lassen oft „unlogischeren“ Weltenbau zu als beispielsweise Detektivgeschichten oder Mystery, in denen es ja darum geht, Geheimnisse zu entdecken und logische Zusammenhänge zu finden. Aber auch hier gibt es Ausnahmen. Ich würde z.B. behaupten, dass Harry Potter im Kern eine Mystery Geschichte ist, und der Weltenbau funktioniert hier außerordentlich gut. Wichtig ist es dann, den Fokus der Fragen richtig zu lenken.
Wenn deine Figuren die Welt nicht in Frage stellen, wird es auch bei den Lesenden länger dauern, bis sie es tun.

3. Das Thema

Wie das Thema atmosphärischen Weltenbau begünstigen oder erschweren kann, ist relativ offensichtlich. Wenn du in deiner Geschichte sozial(kritische), politische oder ähnliche worldbuilding-relevaten Themen besprichst, dann müssen diese Themen auch in deiner Geschichte ausgearbeitet sein und atmosphärisches Worldbuilding ist an dieser Stelle schwieriger.

4. Auswirkungen auf den Plot

Für mich ist es außerdem wichtig einzuschätzen, welchen Auswirkungen das Worldbuilding auf den Plot hat. Ich halte es hier ähnlich wie mit weichen Magiesystemen: Solange der atmosphärische Weltenbau den Plot nicht beeinflusst oder deine Figuren sogar in neue Schwierigkeiten bringt, wird er seltener in Frage gestellt, als wenn er deinen Figuren hilft.
Wieder ein Beispiel aus Harry Potter: Der dreiköpfige Hund Fluffy kommt als Hindernis, als Mini-Rätsel vor und macht den Protagisten somit das Leben schwerer, als wenn er nicht existieren würde. Würde Fluffy aber als ein Haustier des Trios auftreten und Probleme für sie lösen, könnte er den Lesenden zu unerklärt hilfreich und damit nicht verdient vorkommen. Und das würde dazu führen, dass sie das Worldbuilding eher in Frage stellen.

Aber auch diese Regel hat ihre Ausnahmen. Harry Potter bekommt im Laufe des ersten Buches den schnellsten Besen, den man kaufen kann. Den Nimbus 2000. Mit diesem Besen hat er beim Quidditch einen entscheidenden Vorteil. Allerdings halte ich das in diesem Fall für irrelevant. Es geht bei den Quidditch-Szenen eher um den Sport (also Worldbuilding) und Charkterentwicklung und der Besen hat darauf keine Auswirkungen. Wichtig ist außerdem festzustellen, dass der Nimbus 2000 keine Auswirkungen auf den Hauptkonflikt hat, aber Harrys Fähigkeit mit einem Besen zu fliegen schon.
Der Nimbus 2000 ist also bei näherer Betrachtung nicht so wichtig für den Plot, wie es im ersten Moment aussehen mag.

Eine Notiz am Rande

Die Vorraussetzungen für atmosphärisches Worldbuilding müssen sich nicht nur auf ganze Geschichten beziehen, sondern können auch auf einzelne Szenen angewandt werden. Wenn du dich also fragst, an welchen Stellen atmosphärisches oder logisches Worldbuilding angebracht ist, kannst du die Fragen von oben durchgehen.

Atmosphäre bauen – Wie geht das?

Das ist die Preisfrage. Und es ist auch die Frage auf die es keine universelle Atworten gibt, denn was auf deine Lesenden atmosphärisch wirkt, ist für jede Person anders. Trotzdem ich hier zwei Anhaltspunkte, die helfen können, Atmosphäre zu bauen.

  1. aussagekräftige und wiederholende Bilder
    Mit Bildern meine ich tatsächlich visuelle Bilder und keine Metaphern – obwohl es auch nicht schaden kann, Metaphern zu wiederholen. Natürlich muss man vorsichtig sein, die Geschichte mit zu vielen ähnlichen Bildern zu übersättigen, aber auch da hier ist Menge und Art der Darstellung subjektiv.
  2. Fokus auf Erlebnissen
    Versuche besondere Erlebnisse hervorzuheben. Egal ob atemberaubende Orte, wunderliche Technik oder Magie oder – verzeih die plumpe Anspielung – fantastische Tierwesen. Atmosphärisches Worldbuilding sollte den Lesenden ein Festmahl an neuen Erlebnissen bieten. Achte also auch besonders darauf, stets möglichst viele Sinne anzusprechen.

Gut zu wissen

Ich mag atmosphärisches Worldbuilding sehr gerne, denn das ist es, was eine Welt letzten Endes zum Leben erweckt. Trotzdem sollte dir bewusst sein, dass – wenn du viel atmosphärisches Worldbuilding betreibst – viele Lesende es nicht einzuschätzen wissen. Es ist extrem einfach atmosphärisches Worldbuilding an der Messlatte des logischen Worldbuildings zu kritisieren, besonders weil logisches Worldbuilding bekannter und verbreiteter (und einfacher zu verstehen) ist.

Aber nur weil atmosphärisches Worldbuilding weniger bekannt ist, ist es nicht weniger wert. Es hat – genau wie das logische Worldbuilding – seinen Platz in deinem Kreativ-Werkzeugkasten.

 


Was gefällt dir besser: Atmosphärisches Worldbuilding oder Logisches Worldbuilding? Was davon schreibst du lieber und was liest du lieber?

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