Weil ich in der letzten Zeit wieder mehr „klassische“ Fantasy lese, sind mir die Klischees und Konventionen im Moment noch präsenter als sowieso schon. Ein besonders markantes und beliebtes Klischee ist die „Chosen One“-Geschichte. Ich werde dir in diesem Artikel erklären, was ein „Chosen One“ ist, wie die Geschichten um diese Figur aufgebaut sind und warum ich es schwierig finde, sie interessant und fesselnd zu gestalten.
The „Chosen One“ – Was ist das?
Als „Chosen One“ – also der/die Auserwählte – bezeichnet man eine Figur, die in der Geschichte eine feste und vorgesehene Bestimmung hat. Das kann durch eine explizite Prophezeiung geschehen oder durch ein anderes beliebiges Alleinstellungsmerkmal. Verbreitet sind lang vergessener, aber rechtmäßiger Adel, Träger eines mächtigen Artefaktes, der/die Letzte einer gewissen Profession – wie Magier o.ä. – oder eine Figur mit außergewöhnlichen Fähigkeiten in einem bestimmten Feld. Wichtig ist dabei, dass die Fähigkeiten nicht durch harte Arbeit erlangt wurden, sondern inherent Teil der Figur sind.
Der Figur ist es nicht möglich, sich von der Geschichte zu trennen, denn die Geschichte existiert allein weil die Figur existiert. Das Abenteuer, in das sich die Figur stürzen muss, ist eine logische Konsequenz der Präsenz der Figur.
Beispiele für „Chosen One“-Figuren
Anakin Skywalker aus Star Wars ist der Auserwählte und soll die Macht ins Gleichgewicht bringen. Aragorn aus Herr der Ringe ist auserwählt Hochkönig von Arnor und Gondor zu werden. Auch in derselben Geschichte: Frodo Beutelin ist der Auserwählte, der den Ring nach Morder tragen und zerstören soll. Burtha aus Einfach Göttlich von Terry Pratchett ist der auserwählte Prophet, weil er der letzte ist, der noch an den Gott Om glaubt. Alina Starkov aus der Shadow and Bone Trilogie und Deka aus The Gilded Ones sind beides Frauen mit außergewöhnlicher und starker Magie, die ihr Land retten sollen.
Ich könnte tagelang so weitermachen. Es ist fast egal, wo man in der Fantasy hinschaut, überall gibt es eine*n „Chosen One“.
Chosen One vs. normaler Protagonist
Was genau unterscheidet den 08/15 Protagonisten von einem Auserwählten? Auch wenn ich es oben schon erklärt habe, möchte ich es hier noch einmal sehr deutlich darlegen, denn die Grenzen zwischen talentierter Figur und Chosen One können oftmals ein wenig schwammig werden. Ein Chosen One hat zwei auszeichnende Eigenschaften:
- „unverdiente“ Fähigkeit, die die Figur besonders macht – mit unverdient meine ich hier insbesondere, dass die Figur nichts dafür getan hat, um diese Fähigkeit zu bekommen. Oft ist Vererbung im Spiel oder auch einfach nur ein unerklärtes und vorausgesetztes Talent.
- aus Gründen™ ist diese Figur die einzige, die diese Attribute hat
Im Gegensatz dazu kann ein normaler Protagonist zwar auch besonders sein, aber es fehlt die Spezifität in seinen/ihren Talenten. Der 08/15 Protagonist ist meistens – wenn man nur die Fähigkeiten betrachtet – ersetzbar. Seine/Ihre Anwesenheit ist nicht der Grundsatz für das Stattfinden der Geschichte.
Warum „Chosen One“-Geschichten schwierig zu schreiben sind
Die Schwierigkeit einer Chosen One Geschichte liegt zum einen an ihrer Struktur – sie folgt meistens der klassischen Heldenreise – aber besonders in der Diskrepanz zwischen dem Wissen der Figuren und dem Wissen der Lesenden. Was genau meine ich damit?
Die Heldenreise
Die Heldenreise ist eine Form der Plotstruktur, die sich besonders in der Phantastik und für Abenteuergeschichten bewährt hat. Je nachdem, wen man fragt, hat sie zwischen sechs und zwanzig individuelle Stationen, die nach und nach abgearbeitet werden. Hier kannst du ein Beispiel nach Christopher Vogler nachlesen, wenn du die Heldenreise noch nicht kennst.
Das Faszinierende an der Heldenreise ist, dass sie – obwohl sie sehr spezifisch ist – sich wunderbar an die verschiedensten Settings und Figuren anpassen lässt. Einzelne Schritte lassen sich in unterschiedlichen Reihenfolgen darstellen, also ist auch hier genug Spielraum für Kreativität. Trotzdem ist die Struktur, wenn man sie einmal kennt, vorhersehbar und recht einfach zu entdecken. Das muss nicht unbedingt ein Problem sein. Wenn die Geschichte allerdings neben ihrer Plotstruktur nicht viel Neues oder Außergewöhnliches an den Tisch bringt, kann die Heldenreise die Monotonie einer Geschichte schmerzhaft deutlich hervorheben.
Das Wissen der Lesenden und das Wissen der auserwählten Figur
Die „Chosen One“-Figur weiß zu Beginn der Geschichte nicht, dass sie auserwählt ist. Sie hält sich für komplett normal, ja, meistens sogar unscheinbar. Bis sich die Fähigkeiten offenbaren. Dann wird sie sich gegen den Ruf zum Abenteuer wehren, ihm aber schließlich doch folgen. Diese drei ersten Schritte der Geschichte ähneln sich in den „Chosen One“-Geschichten oft am meisten. Und damit sind sie auch mit Abstand die langweiligsten, denn die Lesenden wissen genau was passieren wird. Mindestens das erste Drittel der Geschichte ist vorhersehbar und ich brauche nicht zu betonen, wie schlecht das für die Geschichte sein kann.
Der Anfang deiner Geschichte soll deine Welt, Figuren und Konflikte einführen und – am allerwichtigsten – die Lesenden fesseln. Wenn deine Geschichte vorhersehbar ist, ist das schwierig. Besonders frustrierend für die Lesenden ist die Weigerung des Chosen One, sich den Herausforderungen zu stellen, denn man weiß, dass er/sie sowieso nachgeben muss, damit die Geschichte stattfindet. So wirkt die Weigerung, an der Geschichte teilzunehmen, schnell kindisch, nörgerlig und ist einfach nur nervig.
Gleichzeitig ergibt es – aus Sicht der Charakterentwicklung – Sinn, dass sich eine Figur weigern würde, ihren Status als Chosen One anzuerkennen und ihre Wichtigkeit in der Geschichte anzuzweifeln bzw. sich dagegen zu wehren. Als Schreibender stehst du also vor einem Konflikt:
Riskierst du, eine unsympathische Figur zu schreiben und deine Leser zu langweilen, um eine vollständige und logische Charakterentwicklung zu schreiben? Oder übergehst du/verkürzt du die Weigerung und hoffst, dass sich diese Entscheidung nicht allzu sehr auf die Charakterentwicklung niederschlägt? Mit beiden Entscheidungen wirst du deine Probleme haben.
Wie kann man dieses „Chosen One“-Problem umgehen?
Eine universelle Antwort gibt es auf die Frage – wie so oft – nicht.
Wenn du eine klassische „Chosen One“-Geschichte schreibst, wird es schwierig sein, die oben genannten Probleme zu umgehen, weil sie tief in der Struktur solcher Geschichten verwurzelt sind. Ich persönlich halte es für eine bessere Entscheidung, die Weigerung der Figur zu kürzen oder – wenn möglich – komplett zu streichen.
Am einfachsten ist es aber, einfach keine Geschichten mit Auserwählten zu schreiben. Bitte verstehe mich nicht falsch, es ist nicht falsch oder schlecht eine solche Geschichte zu schreiben. Aber dir sollte bewusst sein, dass eine „Chosen One“-Geschichte ein sehr bekanntes und mittlerweile leicht eingestaubtes Format der Geschichtenerzählung ist.
Ein Anstoß: Der Auserwählte und Determinismus
Wenn du eine „Chosen One“-Plotline in deiner Geschichte hast, wirst du dich früher und später auch mit Determinismus auseinandersetzen müssen. Determinismus ist die „der Willensfreiheit widersprechende Lehre von der Bestimmung des Willens durch innere oder äußere Ursachen“ (Quelle), also im Grunde die Frage danach, ob es so etwas wie einen freien Willen in deiner Geschichte gibt oder ob alles vorherbestimmt ist. Die Existenz eines Chosen One impliziert, dass deine Welt eher deterministisch funktioniert als nicht, aber den genauen Grad des Determinismus solltest du – mindestens für dich – vor dem Schreiben der Geschichte genau klären. Die Erkundung dieser Frage kann sehr interessant sein und viel über deine Welt verraten.
Was hältst du von „Chosen One“-Geschichten? Magst du sie oder sind sie mehr Klischee als hilfreich?
Deine Kritikpunkte an den Auserwählten kann ich verstehen. Als Leser mag ich sie dennoch (sofern dein zweiter Knackpunkt zutrifft: Story). Ich mag es, mich genau in diese Überflieger Hineinzuträumen und selbst zum Chosen-One zu werden.
Ich kann den Reiz von Chosen-Ones sehr gut nachvollziehen und z.T. lese ich sie auch noch gerne. Sie bieten eine gewisse Sicherheit beim Lesen, weil man „weiß“ wie es ausgehen soll/muss. Nur wenn man eben dutzende von ihnen gelesen hat (vor allem in kurzer Zeit hintereinander) wird es irgendwann ein bisschen vorhersehbar 🙂
Ich brauche zwischen Chosen-one Geschichten immer ein bisschen Pause bis zum nächsten^^
Genauso geht es mir auch. Ich brauche auch zwischendurch Pausen. Manchmal bin ich auch richtig genervt von diesen Figuren – aber es kommt tatsächlich darauf an, wie die Weigerung aussieht. Bei Rey von Star Wars hat es so gar nicht gepasst und ich war richtig sauer, dass sie das dumme Schwert nicht einfach genommen hat. Bei Avater, die Legende von Aang, hat es für mich dagegen Sinn ergeben, dass Aang keine so große Verantwortung tragen wollte.