Nachdem ich von Shadow and Bone so begeistert war, habe ich mich danach direkt an die nächste Geschichte von Leigh Bardugo gesetzt, die in derselben Welt spielt. Die Six of Crows Dilogie. Laut Kritikerstimmen sollte sie sogar noch besser sein, als Shadow and Bone und da waren meine Erwartungen natürlich hoch, aber leider wurden sie nicht getroffen.
[Hinweis: Diese Rezension enthält keine Spoiler. Außerdem: Ich habe die Bücher auf Englisch gelesen, sollte ich also einige Worte anders übersetzen als in der Deutschen Version, entschuldige ich mich.]
Six of Crows (Band 1)
Ich möchte gleich mit meiner Bewertung anfangen: Six of Crows ist gut. Ich würde dieses Buch jedem Fantasy-Leser empfehlen, aber ohne die Hochlobungen, die dieses Buch normalerweise erfährt. Es ist nicht herausragend, nicht genial, einfach nur gut. Aber „gut“ war in diesem Fall für mich eine Enttäuschung, weil ich meine Erwartungen sehr hoch angesetzt hatte.
Inhalt
Kaz Brekker ist ein Meisterdieb und genialer Stratege in den Slums von Ketterdam. Er bekommt den Auftrag einen Mann aus einem Hochsicherheitsgefängnis zu befreien – für dreißig Millionen kruge! Da ist es klar, dass er sofort ein Team der sechs besten Diebe und Betrüger zusammenstellt, die er nur finden kann. Aber dreißig Millionen kruge für nur einen Mann? Da kann nicht alles mit rechten Dingen zugehen. Sein Team macht sich an die Arbeit und sie stellen sich den größten und tödlichsten Herausforderungen ihres Lebens.
Das Gute
Wie auch schon bei Shadow and Bone liegt die Stärke des Buches in seinen einzelnen Figuren. Besonders Kaz Brekker und Inej haben mich wahnsinnig fasziniert. Auch wenn es zu erwarten war, weil sie die (inoffiziellen) Hauptfiguren der Geschichte sind, auch wenn es viele Perspektivträger gibt.
Was mir am Buch am besten gefiel, waren – zu meinem eigenen Erstaunen – die Rückblenden. Auch wenn sie nicht immer an den besten Stellen gesetzt waren, waren die Erzählungen von der Vergangenheit der Figuren oft wahnsinnig spannend und haben Kontext für ihre Charakterzüge gegeben. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass aus diesen kurzen Einblicken in die Vergangenheit ganze Bücher hätten entstehen können.
Das Schlechte
Auch wenn hier eine Menge stehen wird: Für sich allein gestellt, haben mich die einzelnen Schwächen des Buches wenig gestört. Es war die Summe, die mich letztendlich enttäuscht hat.
Die Figuren
Eine der Schwächen von Six of Crows liegt in der Menge seiner Figuren. Jede Figur bekommt zwei äußerliche Attribute und zwei Charaktereigenschaften – die oft kreativ und einzigartig sind – aber viel mehr Tiefe gibt es nicht. Das ist auch verständlich, denn neben den Figuren muss natürlich auch der Plot passieren. Trotzdem ist es mir in einigen Szenen passiert, dass mir des Ausgang egal war, weil ich einfach (noch) keine Verbindung zu den Figuren hatte. Da haben auch die vielen Perspektivwechsel nicht geholfen.
Dazu kam, dass das Alter der Figuren einfach nicht gepasst hat. Der Älteste der Gruppe ist – wenn ich mich richtig erinnere – 18 Jahre alt und das habe ich einfach nicht geglaubt. Sie verhalten sich viel reifer, haben in ihrem Leben schon viel mehr erlebt … ich hätte sie durchschnittlich auf Mitte 20 geschätzt. Das hat zugegebenermaßen keine großen Auswirkungen auf die Geschichte, hat mich aber gelegentlich zum Stutzen gebracht, wenn ich mich daran erinnert habe, wie jung die Figuren sind.
Und noch eine Sache zu dem Figuren: Leigh Bardugo schreibt nur eine Beziehungsform zwischen ihren Paaren. Der Mann ist distanziert, kalt und abweisend – manchmal sogar feindselig – und die Frau ist selbstbewusst, akzeptiert ihre Gefühle gegenüber dem Mann und flirtet gelegentlich, wartet aber darauf, dass der Mann den ersten Schritt macht. Diese Art der Beziehung ist wirklich gut geschrieben, aber nachdem auch das vierte Paar – über beide Reihen verteilt – genau dieselbe Dynamik hat, ist es ein bisschen langweilig.
Kaz Brekker – am Ende nicht so schlau wie gezeigt
Kaz Brekker ist das Mastermind hinter dem Heist und es wird immer wieder betont und gezeigt, wie schlau und wie sehr er allen überlegen ist. Und – ganz wichtig – dass er für alle Eventualität einen zweiten, dritten und vierten Plan hat oder zumindest, wenn kein weiterer Plan existiert, die Situation augenblicklich anaylsieren kann und einen neuen Plan bereit hat.
Da hat es mich sehr enttäuscht – und keine Sorge, das hier ist zwecks Spoilervermeidung abstrakt formuliert -, dass er am Ende von etwas komplett überrumpelt wird, von dem ich erwartet hätte, dass er das als erstes geprüft hätte. Nein, ich als Leser war mir so sicher, dass er es geprüft hat, dass ich da noch nicht einmal einen zweiten Gedanken dran verschwendet habe. Sehr enttäuschend.
Außerdem – ganz Unabhängig von Kaz Brekkers Genialität: Wenn man sich mit der Struktur von Heist-Geschichten auskennt, dann ist der Plot zuweilen sehr vorhersehbar. Das ist weniger ein Problem des Buches als mein eigenes, aber trotzdem nimmt es von der Spannung, wenn man einfach weiß, was passieren wird.
Perspektive schreiben (Kapitel 33)
Besonders eine Stelle in dem Buch hat mich im Nachhinein extrem enttäuscht. In einer Szene aus der Perspektive von Inej werden dem Lesenden Informationen vorenthalten, die Inej hat – aber an die sie „zufälligerweise“ nicht denkt. Noch schlimmer, es werden Handlungen, die wichtig für den Kontext sind, einfach nicht beschrieben nur damit der Lesende fehlgeleitet wird. Der Lesende denkt deswegen, dass der Plan komplett schief geht. Nur um dann zwei Kapitel später gezeigt zu bekommen, dass doch alles nach Plan war und es nur nicht beschrieben wurde.
Diese Stelle hat mich so wütend gemacht, dass ich fast nicht weitergelesen hätte. Für die „Spannung“ durch solche Tricks fehlgeleitet zu werden, ist für mich zu 100% ein Dealbreaker – es fühlt sich billig an und ich habe mich betrogen gefühlt. Und am schlimmsten: Ich habe mein Vertrauen in die Autorin verloren und deswegen danach alles, was erzählt wurde komplett in Frage gestellt. So macht das Lesen einfach keinen Spaß. Das war besonders traurig, weil die Szene (mit minimales Anpassungen) aus der Perspektive einer anderen Figur hätte geschrieben werden können, die glaubhafterweise von diesem Teil des Planes nichts hätte wissen müssen.
Ich verstehe, dass meine Reaktion hier heftig ist. Jeder Lesende bringt verschiedene Erwartungen an den Tisch und meine Erwartung ist, dass der Perspektivträger in der Wahrnehmung seiner Welt nichts essentielles vorenthält. Wenn diese Erwartung enttäuscht wird, dann kann die Geschichte nicht mehr gut für mich sein, egal wie herausragend der Rest sein mag. Wenn man meine Erwartung allerdings nicht teilt, dann wird diese Szene keine Auswirkung auf die Wahrnehmung des Buches haben.
Mein Fazit zu Six of Crows?
Es ist ein gutes Buch, aber nicht für mich. Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass andere Lesende sehr viel Spaß mit dem Buch haben können.
Crooked Kingdom (Band 2)
Weil ich für Band 1 so ausführlich war, möchte ich hier nur eine kurze Zusammenfassung meiner Eindrücke schreiben. Die Probleme der schwachen Figuren verfliegen ein wenig, weil sich die Hauptfiguren nicht ändern und man somit schon „Erfahrung“ mit ihnen hat. Aber trotzdem fiel es mir schwer, mich in die Geschichte einzufinden. Der Anfang schleppt sich ein wenig, ohne dass ich genau sagen könnte, woran es liegt. Und im späteren Verlauf wird die Geschichte an den spannendsten Stellen für seitenlange Rückblenden unterbrochen – und hier gefallen mir die Rückblenden kaum noch. Irgendwie ist mir auch ein bisschen Reiz des „Heists“ verflogen. Die Geschichte, die beiden Teilen zugrunde liegt, ist in ihrem Kern dieselbe und das ist beim zweiten Mal einfach weniger spannend.
Insgesamt würde ich sagen, dass dieses Buch immer noch in Ordnung ist – wenn auch nicht für mich – , aber schwächer als sein Vorgänger.
Hast du die Six of Crows Duologie gelesen? Wie fandest du sie? Hast du ähnliche Erfahrungen gemacht wie ich.