[Worldbuilding] Beleidigungen (3/3) – Beleidigende Handlungen

Das hier ist der dritte Teil einer Reihe. Falls du die ersten beiden Teile noch nicht kennst, rate ich dir, sie hier nachzulesen: Kultur und eigenen Bias analysieren und Verbale Beleidigungen bauen. In diesem letzten Artikel der Reihe geht es um beleidigende Handlungen und wie du sie in deine Geschichten einbauen kannst.

Durch Handlungen beleidigen

Als kleine Wiederholung: Wenn es dazu kommt, dass du in deiner Geschichte Beleidigungen schreibst, schrecke nicht davor zurück, Handlungen mit verbalen Ausdrücken zu verbinden. Ein Kraftausdruck, auf den mit einer unziemlichen Geste geantwortet wird oder eine gemeine Handlung, die mit einer beleidigenden Aussage untermalt ist, fühlt sich deutlich natürlicher an, als diese Dinge im Schreiben zu trennen. Trotzdem werde ich hier auf beleidigende Handlungen im Vakuum und ohne verbale Beleidigungen eingehen.

Eine Beleidigung durch eine Handlung darzustellen ist oft schwieriger als ein einfacher Kraftausdruck. Damit der Lesende eine solche Beleidigung versteht, muss er die Sitten und Bräuche der Kultur kennen. Man muss verstehen, was zum guten Ton gehört (und am besten auch warum). Dann ist auch noch wichtig zu verstehen, ob diese Beleidigung Absicht oder Fauxpas war. Denn das ist für Kulturfremde oft nicht leicht zu erkennen. Trotzdem finde ich, dass Beleidigungen durch Handlungen oft effektiver sind als reine Kraftausdrücke. Sie fühlen sich in vielerlei Hinsicht dreister an und demonstrieren eine Offenheit der Abneigung, die so weit geht, dass man dafür sogar kulturelle Normen offen (!) bricht.

Allgemeine Unhöflichkeiten

Auch bei den Handlungen gibt es Dinge, die oft kulturübergreifend als gemein aufgefasst werden. Ein paar verbreitete Beispiele sind z.B. das Nicht-Anbieten, -Teilen oder -Annehmen einer Mahlzeit, das Einschränken der Bewegung, indem man beispielsweise den Weg versperrt, oder das Nicht-Erwidern von Begrüßungen oder Verabschiedungen.
Der Kern dieser Unhöflichkeiten ist, dass sie offen und allgemein verstanden sind, auch ohne dass man die Kultur im Speziellen kennt. Diese Unhöflichkeiten sind dementsprechend leicht in deine Geschichten einzuflechten. Sie brauchen keine Erklärung und oft noch nicht einmal Kontext. Allerdings kann es diesen allgemeinen Unhöflichkeiten an Spezifität fehlen. Und damit der Bezug zu der entsprechenden Kultur.

Überlege dir hier also, wie du einer allgemeinen Unhöflichkeit einen kulturspezifischen Biss geben kannst. Vielleicht kannst du zusätzlich spezifische verbale Beleidigungen einflechten. Oder überdenke die Umsetzung der Handlung. Wie offen wird die Handlung (nicht) durchgeführt? Wie reagieren die Umstehenden? Wer führt die Handlung durch? Oft ist der Kontext wichtiger als die unhöfliche Handlung selbst.

Kulturspezifische Beleidigungen

Bei kulturspezifischen Beleidigungen kann es schon schwieriger werden, weil deine Leser:innen die Kultur kennen müssen, um die Feinheiten einer beleidigenden Handlung zu verstehen.

Ein Beispiel:

Staatsoberhaupt A lädt Staatsoberhaupt B zu Friedensgesprächen auf ihren Wohnsitz ein. B kommt mit einem kleinen Gefolge an, sie werden in eine Halle geführt und zu einem Tisch gebracht. A weist ihnen Sitzplätze zu. Die Stimmung kippt und die Friedensgespräche schlagen fehl. Was ist passiert?
In dieser gekürzten Form der Geschehnisse lässt sich zwar erraten, dass der Umschwung der Stimmung an einem „falschen“ Sitzplatz lag, aber wenn sich diese Szene über ein ganzes oder mehr Kapitel erstreckt, ist es auf einmal nicht mehr so offensichtlich. Denn warum war die Sitzordnung falsch? War es eine absichtliche Beleidigung oder ein Unfall? Und warum ist die Sitzordnung überhaupt wichtig? Wenn diese Fragen nicht geklärt sind, dann wird die Szene wahrscheinlich Verwirrung hervorrufen.

Was braucht man, um kulturspezifische Beleidigungen zu verstehen?

Wie ich bereits mehrfach betont habe, ist das wichtigste, dass deine Leser:innen die Regeln und Normen deiner Kultur kennen. Ob beleidigende Handlungen vor, nach oder noch während der Szene erklärt werden, ist übrigens eine Entscheidung, die je nach persönlicher Vorliebe sehr unterschiedlich ausfallen kann. Ich persönlich habe es am liebsten, wenn ich es dem Perspektivtragenden entsprechend lerne. Soll heißen: Wenn der Perspektivtragende in der Kultur aufgewachsen ist, möchte ich die Beleidigung spätestens in der Situation verstehen, wenn sie passiert – aber lieber vorher. Wenn der Perspektitragende die Handlung, während sie passiert, erklärt bekommt, bin ich mit einer Erklärung im Moment zufrieden. Und wenn der Perspektivtragende die Situation erst nachträglich versteht/erklärt bekommt, dann finde ich das auch als Leser:in die beste Option.
Aber es gibt zahlreiche Gründe um von diesem Muster abzuweichen. Letztendlich ist es deine Entscheidung, wie du damit umgehst.

Ebenfalls interessant für deine Leser:innen – wenn auch nicht zwingend notwendig – ist zu wissen, warum die Regeln und Normen gelten. Dieses Wissen gibt ein tieferes Verständnis für die gesamte Welt und kann dabei helfen andere Verhaltensweisen/ -muster innerhalb der Kultur zu verstehen, auch wenn sie nicht explizit geklärt werden.

Am Beispiel: Schuhe in der Wohnung

Ein scheinbar sehr unspektakuläres Beispiel ist die Frage, ob man die Schuhe in einer Wohnung auszieht. In einigen ostasiatischen Kulturen gehört es zum guten Ton, die Schuhe am Eingang auszuziehen, oft gibt es sogar designierte „Einbuchtungen“, wo die Schuhe abgestellt werden. Die Schuhe anzulassen, egal aus welchem Grund, ist ein Fauxpas und wird generell als unhöflich angesehen.
Warum ist das so?
Schuhe tragen den Dreck von der Straße in die Wohnung hinein. Der Boden könnte empfindlich sein und von Schuhen leicht kaputt gemacht werden. Und und und. Wenn deine Kultur also beispielsweise hohen Wert auf Sauberkeit und/oder Reinheit legt, dann wäre es nur konsequent, wenn sich diese Ansicht auch in der Frage, ob in Behausungen Schuhe getragen werde, wiederspiegelt.

Ein weiteres Beispiel sind z.B. religiöse Essensgebote, die zahlreiche Gründe haben können. Wenn du mehr dazu wissen möchtest kannst du es in dem Artikel Religiöse Essensgebote nachlesen.

Und letztlich – und besonders wichtig für deine Leser:innen – sind die gesellschaftlichen Konsequenzen einer beleidigenden Handlung. Also im Grunde: „Wie schlimm ist die beleidigende Handlung wirklich?“
Würden die beobachtenden Menschen nur die Nase rümpfen, gäbe es Getuschel und Gerüchte, würde man von der Gesellschaft ausgeschlossen werden? Was ist die erwartete Reaktion?

Fazit

Beleidigungen, egal ob verbal oder durch Handlungen, sind eine gute Möglichkeit auf natürliche Art und Weise, dein Worldbuilding zu vertiefen. Allerdings darfst du nicht unterschätzen, wie viel Arbeit kulturspezifische Beleidigungen von dir verlangen können. Da kann es einfacher sein, zu „kulturneutralen“ Beleidigungen greifen, die storytechnisch dieselbe Wirkung haben werden, wenn auch den Weltenbau nicht unbedingt vorantreiben. Trotzdem halte ich kulturspezifische Beleidigungen für eine gute Fingerübung, um zu prüfen wie konsequent und gefestigt die Kultur in deiner Geschichte ist.


Benutzt du gerne Beleidigungen in deinen Geschichten? Was hältst du von der Unterscheidung von kulturneutralen und kulturspezifischen Beleidigungen?

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One Reply to “[Worldbuilding] Beleidigungen (3/3) – Beleidigende Handlungen”

  1. Dirk Bennhardt says:

    Mir gefällt einerseits deine tolerante Art mit der du dich in diesem Thema bewegst. Du hast nicht das Bedürfnis, Menschen zu einer bestimmten Weise schriftstellerischer Darstellung zu drängen. Gleichzeitig arbeitest du analytisch präzise und stellst die Pole und Ursachen von Interaktionsstörungen klar heraus. Respekt — Danke für den Artikel.

    Antworten

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