Ich weiß, dass ich nicht alleine bin, wenn ich sage, dass die Antagonisten oft das Beste an Geschichten sind. Antagonisten sind meist vielschichtig, abwechslungsreich und auch nicht an irgendwelche moralischen Regeln gebunden. Damit haben sie die Freiheit sich in viele Richtungen zu entwickeln und verändern sich im Laufe eines Buches oft am meisten. Aber wie kannst du einen unvergesslichen Antagonisten schaffen? Hier habe ich dir meine 6 Fragen zusammengestellt, mit denen ich das Grundgerüst meiner Antagonisten baue.
1. Wie sind die Ansichten und Persönlichkeit deines Antagonisten entstanden?
Warum ist dein Antagonist so geworden, wie er/sie ist? Was waren die einschneidenden Ereignisse in seinem/ihrem Leben, die die Persönlichkeit geformt haben? Im Grunde erstellst du im ersten Schritt die Hintergrundgeschichte deines Antagonisten.
Hier noch einmal die wichtige Erinnerung: Ein Antagonist ist nicht immer böse. Er hat nur für den Zeitraum der Geschichte ein gegensätzliches Ziel zu deinem Protagonisten.
Ansonsten kannst du bei der Erstellung deines Antagonisten wie bei jeder anderen Figurenerstellung vorgehen. Wenn du ihn aber als Gegenspieler deines Protagonisten besonders deutlich hervorheben möchtest, sind Parallelen zu deinem Protagonisten eine spannende Wahl. Vielleicht haben sie in ihrer Kindheit ähnliche Dinge erlebt, die sie aber anders geprägt haben? Oder sie haben ähnliche Charakterzüge? Es ist immer spannend zu sehen, was deinem Protagonisten hätte passieren müssen, damit er auf der „anderen Seite“ landet.
2. Was sind die Motive des Antagonisten?
Was sind eigentlich die Ziele deines Antagonisten? Auf welche Art und Weise verfolgt er sie? Hier hilft dir deine Vorarbeit aus der ersten Frage, den die Persönlichkeit und Hintergrundgeschichte deines Protagonisten wird sich stark daraus auswirken, wie er seine Ziele verfolgt. Verhält er sich ähnlich zu deinem Protagonisten oder ganz anders?
Wenn es dir schwer fällt, das Verhalten, die Zielstrebigkeit und allgemeinen sozialen Fähigkeiten unter einen Hut zu bringen, habe ich übrigens vor einer Weile ein Modell erstellt, das dir helfen könnte: Das ESM-Modell.
Außerdem solltest du dich Fragen, warum sich dein Antagonist speziell deinem Protagonisten in den Weg stellt. Ist dein Protagonist nur zufällig im Weg? Oder hat sich der Antagonist den Protagonisten speziell ausgesucht? Je nachdem welchen Weg du gehst, kann es deine Geschichte sehr verändern.
3. Wie und wann kommt er das erste Mal in der Geschichte vor?
Der erste Auftritt ist für jede Figur wichtig, aber besonders der Antagonist sollte einen Eindruck hinterlassen. Tatsächlich kann es sich lohnen schon vor dem ersten Auftritt der Figur auf deinen Antagonisten vorzubereiten. Lass andere Figuren von ihm erzählen, ob gut oder schlecht ist von der weiteren Entwicklung deiner Geschichte abhängig. So kann der Leser und auch dein Protagonist schon etwas über ihn erfahren, das sich im späteren Verlauf der Geschichte bestätigen oder wiederlegen lassen kann.
Wenn dein Antagonist tatsächlich das erste Mal auftritt, sollte seine ersten Aktionen und Aussagen deutlich machen, wer er ist und wofür er steht. Das heißt nicht, dass er sagen soll „Hallo, ich bin dein Gegenspieler“, aber Ton, Haltung und vor allem wie er andere behandelt kann viel über deinen Antagonisten sagen. Denke daran: Taten sprechen lauter als Worte! Wenn er behauptet freundlich zu sein, aber einem Kellner das Bein stellt, dann ist ziemlich schnell klar, wo wirklich seine Werte liegen.
4. Was passiert bei der ersten Konfrontation mit deinem Protagonisten?
Die erste Konfrontation (nicht Begegnung, sondern explizit Konfrontation) mit dem Protagonisten muss nicht – und ich würde sogar sagen, sollte nicht – der erste Auftritt deines Antagonisten sein. Damit dein Antagonist von deinem Protagonisten ernst genommen wird, sollten sie sich schon kennen. So kann sich im späteren Verlauf der Geschichte ein tieferer Wettstreit entstehen, der auch auf einem persönlichen Level ausgetragen wird.
Sei außerdem vorsichtig, wann du diese erste Konfrontation ansetzt, denn in meiner Erfahrung geschieht diese Konfrontation im ersten Entwurf der Geschichte oft zu früh. Denn immerhin ist es wichtig, dass der Leser schnell weiß, wer der Antagonist ist, richtig? Allerdings bringt diese Entscheidung das Problem, dass eine Eskalation und damit Raising the Stakes für den weiteren Verlauf des Buches deutlich schwieriger wird.
Die erste Konfrontation sollte als Hauptkonflikt der Geschichte – oder als Ausschmückung des Hauptkonfliktes – im ersten Drittel des Buches stattfinden, damit du im weiteren Verlauf genug Zeit hast, den Wettstreit auszuarbeiten.
5. Gelingt es deinem Antagonisten deine Figuren zu überlisten?
Damit der Antagonist eine Bedrohung für den Protagonisten ist, sollte er eine ehrliche Gefahr für das Ziel des Protagonisten darstellen. Denn ansonsten ist er nicht mehr als eine Unannehmlichkeit. Um die Spannung aufrecht zu erhalten, ist es sinnvoll, den Antagonisten einige der Auseinandersetzungen gewinnen zu lassen. (Natürlich nur wenn es von der Geschichte Sinn ergibt.)
Ob der Antagonist am Ende sein Ziel erreicht oder doch der Protagonist, ist von deinen Entscheidungen abhängig. Es gibt da kein richtig oder falsch. Je nachdem in welche Richtung sich dein Antagonist entwickeln soll – vielleicht soll er sogar den Protagonisten am Ende unterstützen? – mach dir über Forshadowing und Szenen Gedanken, die man auf mehrere Arten interpretieren kann. So hat dein Leser auch beim mehrmaligen Lesen noch Spaß an deinem Antagonisten.
6. Kann dem Antagonisten vergeben werden?
Die letzte Frage, die du beantworten solltest, ist die Frage nach Vergebung. Vielleicht hat dein Antagonist gar nichts Verwerfliches getan und deswegen ist die Frage nach Vergebung hinfällig. Oft genug passiert es allerdings, dass der Antagonist Entscheidugen trifft, die anderen Menschen wehtun – wörtlich oder im übertragenden Sinn. Dann musst du wissen, ob der Antagonist seine Fehler einsieht und versucht sie wieder gut zu machen oder, ob er unbelehrbar bleibt. (Und nur für eine Anregung am Rande: Nur weil dein Antagonist Vergebung sucht, heißt nicht, dass er sie bekommen muss oder verdient hat.)
Tatsächlich sagt die Entscheidung, ob am Ende vergeben wird oder nicht, mehr über deinen Protagonisten aus als über deinen Antagonisten.
Wie schreibst du am liebsten Antagonisten?