Vor nicht allzu langer Zeit habe ich einen Artikel über Konflikte veröfftentlich – den du hier nachlesen: Wie schreibst du einen natürlichen Konflikt?. Dort hat mich Jürgen (Twitter @dr_juergen) auf die Konflikttreppe bzw. Konflikteskalation nach Friedrich Glasl aufmerksam gemacht. Nachdem ich mir dieses Modell ein wenig angeschaut hatte, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es eine super Ergänzung zu meinen usrprünglichen Gedanken ist und deswegen möchte ich das Modell hier vorstellen.
Was ist die Konflikteskalation nach Friedrich Glasl?
Das Modell von Friedrich Glasl unterteilt einen Konflikt in drei Phasen, die nach ihren möglichen Ausgängen für die Teilnehmer an diesem Konflikt benannt sind. Mit jeder Stufe, die der Konflikt weiter hinabsteigt – deswegen wird dieses Modell auch oft Konflikttreppe genannt – wird der einvernehmliche Ausgang unwahrscheinlicher und eine Mediation schwieriger, bis zur gegenseitig zugesicherten Zerstörung. Aber beginnen wir am Anfang.
Jede der drei Phasen ist in drei kleinere Unterpunkte aufgeteilt.
Phase 1: Win-Win
In der ersten Phase des Konfliktes können beide Parteien noch gewinnen. Oft ist der „Konflikt“ noch nicht wirklich ausgebrochen, mehr eine Unstimmigkeit oder Uneinigkeit, als ein wirklicher Streit. Die Teilnehmer des Konfliktes sind einander wohlgesonnen und willig einander mit Argumenten zu überzeugen. Wenn sich aber niemand überzeugen lässt, kann die Spannung zwischen den Parteien steigen.
- Spannung → die Parteien sind sich uneinig, aber es bleibt unpersönlich; die tiefere Ursache für die Spannungen wird möglicherweise verschwiegen
- Diskussion/Auseinandersetzung → die Parteien versuchen einander von ihrem Standpunkt zu überzeugen; der Druck steigt; an dieser Stelle kann schon Schwarz-Weiß-Denken beginnen
- Taten statt Worte → die Parteien versuchen mit allen Mitteln, ihre Meinung durchzusetzen; Kommunikation wird schwieriger, weil Gespräche abgebrochen werden; die Parteien verlieren das Verständnis füreinander
Eine erste Konflikteskalation findet statt.
Phase 2: Win-Lose
Endet der Konflikt in der zweiten Phase wird es einen „Gewinner“ geben, also eine Partei, die den Konflikt in einer besseren Position verlassen wird als der Andere. Diese Phase zeichnet sich dadurch aus, dass beide Parteien Hilfe von außen suchen, um in eine bessere (Macht)Position zu kommen.
- Bündnisse → die Parteien suchen sich außerhalb der Konfliktbeteiligten Sympathisanten, die einen unterstützen können; weil man sich selbst im Recht glaubt, ist es verbreitet, dem „Gegner“ auch Unwahres aber aus eigener Sicht Wahrscheinliches zu unterstellen; es geht nicht mehr um den eigentliches Auslöser des Konfliktes; Ziel ist es, dass die andere Partei verliert
- Entmenschlichung → der Gegner soll durch (falsche) Unterstellungen jegliches Maß an Vertrauen, Moralität und Menschlichkeit verlieren; so wird die geplante Zerstörung gerechtfertigt
- Drohungen → beide Parteien versuchen durch Drohungen Herr der Lage zu werden und die Kontrolle über die Situation zu erlangen; es werden Forderungen gestellt, denen mit der Umsetzung der Drohungen Glaubwürdigkeit gegeben wird; die Drohung muss der Situation angemessen sein, sonst wird sie unglaubwürdig
Wirken die Drohungen nicht, findet eine weitere Konflikteskalation statt.
Phase 3: Lose-lose
Gelangt ein Konflikt in die dritte (und letzte) Phase der Konflikteskalation, werden beide Parteien verlieren. Dessen sind sich beide Parteien auch empfindlich bewusst – sonst hätten sie in Phase zwei bereits die Notbremse gezogen. Es geht nur noch darum, dass der Gegner größeren Schaden davonträgt als man selber.
- begrenzter Schaden → die Parteien nehmen eigenen Schaden in Kauf, solange die Konsequenzen absehbar sind und die negativen Auswirkungen den Feind härter treffen als einen selber
- Zerstörung → der Feind soll mit allen Mitteln zerstört werden; die einzige Bedingung ist, dass man selbst danach noch existiert
- gegenseitig zugesicherte Zerstörung → um dem Feind ausreichend zu schaden (oder zu zerstören) nimmt man den eigenen Untergang in Kauf
Der Konflikt kann nicht weiter eskalieren, da am Ende beide Parteien zerstört sind.
Wie kann ein Konflikt gelöst werden?
Die Konflikteskalation nach Friedrich Glasl liefert auch Lösungsvorschläge, wie die einzelnen Phasen eines Konfliktes unterbrochen/beendet werden können.
In der ersten Phase (Win-Win) braucht es nicht viel. Ein neutraler Vermittler oder Beobachter ist oft schon ausreichend, damit der Konflikt in dieser Phase beendet wird. Die Aufgabe des Vermittlers ist es, vor allem auf den Ton zu achten und eine Verhärtung der Fronten – und damit eine Eskalation zu Phase 2 – frühzeitig zu erkennen und zu umschiffen.
Die zweite Phase (Win-Lose) ist ein wenig komplizierter und oft müssen mehrere Strategien parrallel laufen: Je nachdem wie heftig die einzelnen Stadien ablaufen, braucht es einen oder mehrere Vermittler, die den Prozess weiterhin aufmerksam beobachten und, falls möglich, als Mediator auftreten. Falls möglich können an dieser Stelle auf Schiedsverfahren oder Gerichte stattfinden.
Die dritte Phase (Lose-Lose) lässt sich nur durch einen Machteingriff einer dritten Partei beenden. Dadurch wird die gegenseitige Missgunst allerdings selten gelöst, sondern brodelt unterschwellig weiter und kann schnell wieder hochkochen, falls die dritte Partei ihre Machtposition verliert.
Warum ist diese Konflikteskalation zum Schreiben so hilfreich?
Das Modell der Konflikteskalation ist vielfältig einsetzbar. Egal ob, bei Kleinkindern – die relativ schnell durch die Phasen fliegen –, Ehestreitigkeiten und Scheidungen oder Konflikte zwischen ganzen Ländern, lassen sich dieselben Phasen finden. Als Schreiberling musst du nur die Parteien ausfüllen und schon hast du einen dynamischen und gleichmäßig eskalierenden Konflikt, der sich über eine einzelne Szene oder sogar ein ganzes Buch erstrecken kann.
Außerdem ist es sehr hilfreich, dass das Modell direkt die Konfliktlösungsstrategien mitliefert. So kannst du viele verschiedene Konflikte in deine Geschichten einbauen, die auf sehr unterschiedliche Art und Weise gelöst werden können.
Allerdings darfst du nicht vergessen, die Persönlichkeiten und die Vorgeschichte deiner Figuren in die Eskalation des Konfliktes einzurechnen. Je nachdem ob und wie oft sich die Figuren schon gestritten haben, kann der Konflikt explosiv verlaufen oder gar nicht wirklich anfangen.
Was hältst du von diesem Modell? Möchtest du es mal ausprobieren?
Ich finde das Modell super hilfreich und denke, es ist ein guter Anhaltspunkt, um daraus Konflikte zu erstellen bzw. auch zu experimentieren, wie solche Konflikte sich entwickeln können und auch wieder gelöst werden.
Ich werde es auf jeden Fall irgendwann damit herumspielen :3. Vielen Dank für den Artikel.
Darf man erfahren, welche Quellen du benutzt hast? Ich frage nur interessehalber.
Viele Grüße,
Desiree
Wenn ich mich über neue Modelle informiere, fange ich immer bei Wikipedia für eine Übersicht an, schaue da die Quellen durch und gucke danach (wenn das noch nicht ausreicht) was Google so ausspuckt. Ich weiß noch, dass ich hier auch ein paar Materialien verschiedener (englischsprachiger) Unis gefunden habe, kann dir aber leider nicht mehr sagen, welche das genau waren, weil ich sie mir nicht abgespeichert habe.
Aber es ist tatsächlich sinnvoll, dass ich in der Richtung mal ein bisschen aufmerksamer werde und meine Quellen aufliste, damit man auch selber nachlesen/-forschen kann. Vor allem wenn es um so offizielle Modelle geht und nicht nur eigene Meinungen.
Lg Sina 🙂
Ach, das freut mich aber, dass meine Anregung so gut angekommen ist. Mir fällt übrigens noch ein: Wenn man die Konflikttreppe von Glasl mal „in Action“ sehen will, dem empfehle ich den Film „Der Rosenkrieg“ mit Kathleen Turner, Michael Douglas und Danny de Vito. Ein wirklich wunderbares Lehrstück zum Konfliktmanagement. Aber Achtung! Der Film ist nicht ohne und nicht umsonst erst am 16 Jahren freigegeben 😉
Den Film kenne ich noch nicht! Aber wie sich das anhört, sollte ich da mal reinschauen 🙂