Rein äußerlich hast du mit den letzten drei Artikeln schon alle Werkzeuge, um eine eigene Pflanze zu entwickeln. Naja, zumindest für das Aussehen der Pflanze und ihre Anpassungen an das Klima. Über den Nutzen einer Pflanze (für den Menschen) soll es später noch andere Artikel geben. Aber diese Dinge sind meist eher Nachgedanken und bei der Entwicklung zweitranging. Deswegen hier eine Anleitung, wie du am Besten vorgehst.
Mein Vorgehen beim Entwickeln einer neuen Pflanze
Wenn ich damit beginne, eine neue Pflanze zu entwickeln, stelle ich mir immer dieselben drei Fragen:
1. Was für eine Pflanze möchtest/brauchst du?
Hier geht es zum einen um die Optik der Pflanze aber auch um ihre Rolle in der Welt. Vielleicht möchte ich einen (Laub)Baum mit heilenden Blättern. Vielleicht möchte ich einen Farn, dessen Blätter so scharf sind, dass sie durch Kleidung schneiden. Im Grunde stellst du deine Wünsche an die für deine Geschichte ideale Form der Pflanze. Scheue dich nicht davor sehr spezifisch zu werden. Stelle nur sicher, dass du eine Pflanze entwickelst, bei der es Sinn ergibt, dass sie in deiner Geschichte Erwähnung findet. Deine Leser wollen keine botanische Abhandlung lesen, sondern einen Einblick in deine Welt bekommen.
2. Wie sind die äußerlichen Bedingungen deiner Welt/des Settings?
Als nächstes schaust du dir die Umgebung an und versuchst, sie nach den drei Kategorien für pflanzliches Leben einzuordnen. Wie viele Nährstoffe, Licht und Wasser stehen zur Verfügung? Es kann auch helfen, wenn du dir die Gründe dafür aufschreibst. Zum Beispiel gibt es wenig Licht, weil das Setting eine Höhle ist. Das bedeutet auch, dass es wahrscheinlich insgesamt schwierig sein wird dort zu wachsen, weil wenig Erde etc. Oft leitet sich das Eine von dem Anderen ab.
Denke auch an saisonale Unterschiede, also dass es vielleicht kalte trockene Winter aber dafür warme nasse Sommer geben kann!
3. Wie lassen sich beide Dinge zusammenführen?
An diesem Punkt schaust du, wie du die gewünschte Pflanze aus Schritt 1 verändern kannst, um sie spezifisch auf dein Setting anzupassen. Ziel ist in diesem Schritt nicht, dir deine Pflanze auszureden, – denn wir bewegen uns nicht umsonst in dem Genre der Fantastik – sondern zu schauen, durch welche Mechanismen deine Pflanze nahtloser in die Umgebung passt. Denke also in diesem Schritt besonders darüber nach, wie du deine Wünsche an die Pflanze im Hinblick auf das Klima (anders) umsetzen kannst.
Eine eigene Pflanze zu entwickeln
Wenn du dir unsicher bist, wo du ansetzen solltest, dann kannst du dir immer Anhaltspunkte von der echten Welt nehmen. Recherchiere Orte die ein vergleichbares Klima zu dem Ort in deiner Welt haben und lass dich inspirieren. Nutze deine Recherche, um von dort weiterzuspinnen. Und erinnere dich dabei immer an den Grundsatz des Worldbuildings:
Inspirieren, nicht kopieren.
Interessanterweise kann ich gar nicht mehr viel allgemein Umsetzbares zu der Entwicklung einer Pflanze sagen. Stattdessen möchte ich dir an zwei Beispielen zeigen, wie ich selbst vorgehe und die Schritte so weit wie möglich und deutlich herunterbrechen, dass du alle meine Entscheidungen nachvollziehen kannst.
Beispiel 1: „realistisch“
Was für eine Pflanze möchte ich? Ich möchte eine Nahrungsquelle für ein nomadisches Volk. Für ihr Aussehen bin ich sehr offen. Da die Wanderung von einem Volk oft durch schlechte klimatische (und damit Nahrungs-)Bedingungen gebunden ist, wird die Pflanze wahrscheinlich nicht besonders groß sein.
Wie sind die äußerlichen Bedingungen des Settings? Wir befinden uns in einer trockenen Steppe. Das heißt viel niedriger Busch, viel Gras, sehr vereinzelt kleine Bäume. Der Boden hier ist relativ nährstoffreich, es gibt viel Sonne. Der begrenzende Faktor ist also das Wasser.
Wie kann ich diese Anforderungen kombinieren? Zuerst die Größe. Damit sich die Pflanze gut in die Umgebung einfügt, denke ich an ein eher kleines, höchstens kniehohes mehrjähriges (also verholztes) Gewächs. Um eine geeignete Nahrungs- und vielleicht sogar Wasserquelle zu sein, muss die Pflanze über Speicher verfügen. Diese allerdings überirdisch und damit zugänglich für die gesamte Tierwelt anzulegen würde wahrscheinlich den schnellen Tod der Pflanze bewirken. Der überirdische Teil der Pflanze ist also denkbar unscheinbar/abschreckend. Kleine harte Blätter (verringert Wasserverlust) und Dornen.
Sie besitzt aber Speicherwurzeln, die besonders wasser- und nährstoffhaltig sind. Um diese Pflanze zu verzehren, muss sie also ausgegraben werden.
Noch ein Wort zur Vermehrung: Diese Pflanze hat keine „Saison“, in der sie blüht. Stattdessen blüht sie nach starken Regengüssen. Dabei entwickelt sie kleinen weißen Blüten, die von Insekten bestäubt werden.
Beispiel 2: sehr fantastisch
Weil der Stil der Erklärung wie im letzten Beispiel nicht so schön funktionieren würde, möchte ich diese Pflanze ein wenig anders vorstellen. Stell dir vor, der folgende Text ist aus dem Tagebuch eines Abenteurers. (CN Blut, Tod)
„Auf meinen Wanderungen bin ich schon vielen seltsamen und gefährlichen Dingen begegnet, aber ich hatte nie geglaubt, dass eine dieser Begegnungen tatsächlich mein Ende bedeuten würde…
In den Tiefen der nördlichen Wälder wachsen die Bäume so hoch, dass kein Licht nach unten dringt. Dunkelheit beherrscht den Tag und die Nacht. Ach, was sage ich. Tag und Nacht verliert an Bedeutung am Boden dieses Waldes. Ich könnte von die Tieren erzählen, die dort leben. Den glänzenden Augen, den seltsamen Geräuschen oder den fluoreszierenden Pilzen, die mit ihren giftigen Sporen alles töten, was an ihnen vorbeikommt. Aber all das verblasst neben der Schrecklichkeit des weißen Würgers.
Ich … ich weiß gar nicht, wie ich ihn beschreiben kann. Alles in mir weigert sich, zu glauben, dass es tatsächlich nur eine Pflanze und nicht die leibhaftige Strafe der Götter ist.
Mit langen Lianen, den Tentakeln eines Oktopusses gleich, zieht sich der weiße Würger die Bäume hinauf. Dort sitzt er und wartet. Er ist fast unsichtbar im Dunkel der nördlichen Wälder, aber ich trug ihn mit mir hinaus und das Licht verrät sein wahres Antlitz. Er ist farblos, weiß, fast durchsichtig und in der Mitte seiner Tentakeln sitzt eine kopfgroße, pulsierende Knospe. Ich habe in meinem Leben noch nie etwas abstoßenderes gesehen.
Aber das Licht erreicht den weißen Würger eigentlich nicht. Nein, er sitzt in völliger Dunkelheit auf dem Stamm eines Baumes und wartet, dass ein Wesen an seinem Baum vorbeikommt. Dann lässt er sich fallen, umschlingt es mit seinen Lianen und in Sekundenschnelle wachsen Wurzeln durch die Haut seines Opfers und er saugt sein Blut.
Nach den anfänglichen Schmerzen, könnte man bald fast vergessen, dass man ihn mit sich trägt. Der weiße Würger hat keine Eile. Über Tage und Wochen färben sich die Adern in seinem Inneren rot vom Blut des Opfers. Und mit der Zeit saugt er sein Opfer leer. Dann fällt er ab wie eine fette Zecke und zieht sich den nächsten Baum hinauf. Um zu verdauen. Um zu warten. Auf das nächsten unglückselige Wesen, das unter ihm herlaufen wird.
So traf es auch mich. Der weiße Würger fiel auf mich hinab und schlug mir seine Wurzeln in den Rücken. Ihn abzuschneiden würde meinen Tod bedeuten – seine Wurzeln sind zu eng mit meinen Adern verwachsen. Ihn auf mir wachsen wird mich ebenso umbringen. Ich kann die Adern in der Knospe sehen, die rot von Blut durch die weiße Haut leuchten.
Mein Blut. Ich spüre, wie meine Finger schwach werden.
Ich weiß, dass ich hier sterben werde.“
Wie bin ich vorgegangen?
Ich wollte eine prasitäre Pflanze, die sich bewegen kann und die sich vom Blut anderer Tiere ernährt, ähnlich wie eine Zecke. Das Setting hat sich dafür perfekt geeignet. Es sollte nämlich ein tiefer Urwald sein, dessen Baumkronen so dicht sind, dass kaum/kein Licht den Boden erreicht. Damit war Photosynthese natürlicherweise raus und Parasitismus sehr nachvollziehbar. (Die mangelnde Photosynthese ist übrigens auch Grund für die nicht vorhandende Farbe: Warum Energie in Farbstoffe stecken, wenn sie sowieso nichts bringen?)
Wie/Dass sich die Pflanze bewegt, wollte ich nicht näher erklären, sondern habe ich einfach dem fantastischen Setting zugeschrieben.
Die Pflanze sollte auf die (meist astlosen) Stämme der Bäume hinaufklättern können, um sich von oben auf seine Opfer fallen zu lassen. Also musste sie klettern können. Um das gruselige Bild zu vervollständigen, kamen mir also lianenartige Tentakeln in den Sinn.
Die „Knospe“ auf dem Rücken ist eigentlich nichts anderes als ein Speicher- und Verdauungsmedium, wo der weiße Würger seine Nährstoffe speichert. Auch das Wasser wird aus dem Blut gezogen, eine gesonderte Wasseraufnahme ist also nicht notwendig.
Hast du schonmal eigene Pflanzen erschaffen? Wie bist du vorgegangen?
Im nächsten Artikel soll es um die Namen gehen, die du den Pflanzen geben kannst.