[Worldbuilding] Flora – Ein paar Erklärungen und Definitionen

Die Anfänge eines neuen Worldbuilding-Themas beginnen bei mir immer mit einer allgemeinen Übersicht  und ein paar Definitionen. Die Übersicht zu Flora und Fauna kam im letzten Artikel deswegen habe ich hier einen ganzen Artikel nur für Definitionen und Erklärungen. Das mag im ersten Moment ein wenig übertrieben wirken, aber ich durfte/musste in meiner Studienzeit Botanikvorlesungen besuchen, die ein Erlebnis für sich waren. Und ich möchte meine Überraschung mit euch teilen, wie viel man über Pflanzen sagen kann. Keine Sorge, es ist tatsächlich interessant, wenn auch ein wenig länger als ein durchschnittlicher Artikel von mir.

[Trotzdem der Hinweis: Ein einzelner Artikel kann offensichtlich nicht Semester (Pl.) an Uni-Stoff verarbeiten. Die Informationen sind hier also stark gekürzt und z.T. sehr stark vereinfacht.]

Verholzung des Stammes

Ein Baum mit schmalen, aber hohen oberirdischen Wurzeln
So sehen die Anfänge Brettwurzeln aus. In großer Ausprägung können sie bis zu zehn Meter hoch wachsen. (Eine Erklärung gibt es weiter unten.)

Grundsätzlich kann man Pflanzen in mehr- und einjährige Pflanzen einteilen. Wichtig zu wissen ist dabei: Einjährige Pflanzen verholzen niemals. Sie haben also weder Stamm, noch Äste oder hölzerne Zweige. Der Umkehrschluss, dass mehrjährige Pflanzen immer verholzen, ist aber falsch. Es gibt durchaus mehrjährige Pflanzen, z.B. Tulpen, die nicht verholzen. Aber diese haben meist Knollen oder ähnliche Methoden entwickelt, dass die „Pflanze“ absterben und in einer zweiten, dritten oder vierten Wachtumsphase „neu“ wachsen können.

Übrigens verwende ich den Begriff mehrjährig hier in seiner umgangssprachlichen Form – und werde es auch weiterhin tun. In der Botanik bezeichnet der Begriff „zwei- oder mehrjährig“ explizit Pflanzen, die zwar zwei Jahre oder älter werden, aber in dieser Zeit nur ein einziges Mal blühen. Aber das nur am Rande.

Warum sollte die Flora verholzen?

Warum sollten Pflanzen überhaupt verholzen? Wenn es die einjährigen und einige mehrjährige Pflanzen gut ohne Verholzung hinbekommen, was sind die Vorteile davon den Stengel/Stamm und Äste zu verholzen?
Verholzung bedeutet nichts anderes, dass die äußeren Zellen der Pflanze sich versteifen und letztendlich absterben. Aber auch wenn sich das zunächst gefährlich oder sogar krankhaft anhört, bringt es tatsächlich ziemlich viele Vorteile mit sich. Hier vier der wichtigsten:

  1. Festigung und Stabilität
    Offensichtlich ist Holz ein sehr stabiles Baumaterial. Es ermöglicht den Pflanzen höher und weiter zu wachsen als ihre unverholzten Verwandten. Damit haben sie die Möglichkeit über andere Pflanzen hinwegzuwachsen und sich somit den besten Platz an der Sonne zu sichern.
  2. Erhaltung der oberirdischen Struktur im Winter
    Zu wachsen (vor allem, wenn es hoch hinaus geht) kostet viel Energie. Anstatt aber abzusterben und den Fortschritt jedes Jahr zu verlieren, ermöglicht es es die Verholzung einen großen Teil des Wachstums über „unvorteilhaftere klimatische Verhältnisse“ zu erhalten. Außerdem gibt es der Pflanze einen schnellen Start in der nächsten Wachstumsphase.
  3. Schutz
    Eine wortwörtliche „harte Schale“ schützt vor Fressfeinden, Parasiten, klimatische Einwirkung und auch bis zu einem gewissen Grad vor Feuer. Natürlich haben sich mit der Zeit Tiere auf genau diesen Schutz spezialisiert und wissen ihn zu umgehen, aber für viele pflanzenfressende Wesen ist das Holz unüberwindbar.
  4. Wasserleitung
    Durch sogenannte Tracheen und Tracheiden (spezialisierte hydrophile Strukturen im Holz der Pflanze) wird das Wasser von den Wurzeln bis hinauf in die Blätter geleitet. Diese Strukturen sind darauf ausgelegt die Ko- und Adhäsionsfähigkeit des Wassers auszunutzen und gemeinsam mit dem Transpirationssog kann das Wasser bis zu hundert Meter – bei Mammutbäumen – in die Höhe transportiert werden.

Blatt und Wurzel

Um – besonders für den nächsten Artikel – ein Grundverständnis für die Funktionsweisen der Flora zu schaffen, muss ich in diesem Abschnitt ein bisschen präziser werden. Ich bin mir sicher, dass du Einiges davon schon wissen wirst, aber es ist wichtig, dass ich hier einen Absprungpunkt schaffe, zu dem du in späteren Artikeln zurückkehren kannst, falls Fragen zu Begriffen entstehen.

Das Blatt – Aufbau und Funktionsweise

Das Blatt ist quasi nichts anderes als die Energiequelle der Pflanze. Hier wird Photosynthese betrieben. Außerdem wird hier der Transpirationssog verursacht. Aber ich greife voraus. (Und nur als Hinweis: Ich beschreibe hier den Aufbau eines Laubblattes. Verschiedene Arten von Blättern sind ein wenig unterschiedlich aufgebaut, aber die Bestandteile sind im Großen und Ganzen dieselben.)

Die Cuticula

Die Cuticula ist eine wachsartige, wasserabweisende Schicht auf der Oberfläche eines Blattes, die einen unkontrollierten Wasserverlust verringert. Je nach Dicke der Cuticula kann das Blatt sogar vollkommen wasserabweisend sein (man denke an den Lotoseffekt) oder auch vor Fressfeinden schützen. An gewissen Stellen, meist an der Unterseite des Blattes um die Spaltöffnungen herum, kann die Cuticula rissig oder durchlässig sein.

Die obere und untere Epidermis

Die Epidermis eines Blattes ist eine dünne, größtenteils chlorophyllfreie Zellschicht, die durch ihre besonders verdickte Außenwand, das Pflanzengewebe darunter schützen soll.

Das Palisadengewebe

Das Palisadengewebe besteht aus länglichen, etwa zylinderförmigen Zellen, dessen Chlorophyllgehalt etwa fünfmal höher liegt als im Schwammgewebe. Die Funktion des Palisadengewebes ist – unüberraschenderweise – die Photosynthese. Je nach Pflanze kann das Palisadengewebe auch mehrschichtig liegen oder auch an der Unterseite des Blattes sein.

Das Schwammgewebe

Auch im Schwammgewebe passiert Photosynthese, aber die Hauptaufgabe des Schwammgewebes liegt wonaders: Die Zellen liegen relativ weit aneinander sondern lassen viel interzellulären Raum frei. Dieser Raum dient dem Gastaustusch bei der Photosynthese, bei der Kohlenstoffdioxid aufgenommen und Sauerstoff abgegeben wird. Durch die erhöhte Oberfläche findet hier auch verhältnismäßig viel Wasserverdunstung statt.

Das Leitbündel

Das Leitbündel transportiert das Wasser und die darin gelösten Nährstoffe zu den Blätterzellen. Sie werden von den Wurzeln gespeist. Sie „ernähren“/versorgen die Blätter.

Die Spaltöffnung (= Das Stoma)

Durch die Spaltöffnungen der Epidermis, die sich meist nur an der Unterseite des Blattes befinden, und auch nicht von der Cuticula verdeckt werden, findet der Gasaustausch mit der „Außenwelt“ statt. Hier entkommt auch das verdunstete Wasser und schafft den Transpirationszug, den ich vorher schon einmal erwähnt habe. Grundsätzlich lässt sich sagen: Je weniger Stoma ein Blatt hat, desto wasserärmer ist der Lebensraum der Pflanze, denn weniger Stoma sorgen für weniger Wasserverlust.

Optional: Speichergewebe

Nicht auf der Zeichnung abgebildet sind die sogenannten Speichergewebe, die je nach Pflanze sehr unterschiedlich aufgebaut sein können. Dort können Stärke, Proteine, Fette oder auch Wasser gespeichert werden.

Die Wurzel – Was ist eine Wurzel?

Vielleicht hast du nach dem Blatt gedacht, dass ich hier auch den Aufbau und die Funktionsweise der Wurzel beschreiben werde, aber Wurzeln sind ungleich komplexer in ihrer Funktion als ein Blatt. Deswegen hier die grundsätzliche Funktion einer Wurzel in kurz:

Ein aufrecht wachsender Buam, mit lianenartigen Wurzeln, die von den hohen Ästen hängen.
Ein Beispiel für Luftwurzeln.

Wurzeln sind verantwortlich für den Halt der Pflanze im Boden, die Aufnahme von Wasser und Nährstoffen und je nach Aufbau sehr vielen anderen Dingen, die ich hier in einer unvollständigen Liste im Schnelldurchlauf benennen werde.

  • Haft- und Rankenwurzel → zum oberirdischen Ranken und Haften; meist für vertikales Wachstum; z.B. Efeu
  • Stelzwurzeln → zur Stabilisierung, oft in Regionen wechselnder Wasserstände; z.B. Mangroven
  • Brettwurzeln → zur Erhöhung der Standfestigkeit, falls der Boden (aus verschiedenen Gründen) keine tiefe Wurzelbildung zulässt; z.B. bei Ficus-Bäumen
  • Zugwurzeln → zum Herunterziehen einer Knolle ins Erdreich; der genaue Mechanismus ist noch unerforscht
  • Speicherwurzeln → zur Speicherung von Nährstoffen und/oder Wasser; meist zur Überwinterung; z.B. Rüben
  • Wurzeldornen → zum Schutz von (meist oberirdischen) Wurzeln; z.B. verschiedene Palmenarten
  • Luftwurzeln → zum Austausch von Wasser und Nähstoffen aus der Luft; meist ein Zeichen dafür, dass die Bodenversorgung mit Wasser und Nährstoffen unzureichend ist; können z.T. auch photosynthesefähig sein; z.B. Orchideen
  • Atemwurzeln → Wurzeln für den Gasaustausch; werden benötigt, wenn der Boden zu nass für Gasaustausch ist; z.B. Mangroven
  • Symbiosen mit Pilzen oder Bakterien → Austausch von Wasser und Nähstoffen untereinander; z.B. Wurzelknöllchenbakterien und Mykorrhiza („Pilzwurzler“)

Musst du die „richtigen“ Begriffe benutzen?

Wenn in deinem Buch nun irgendein Busch vorkommt, aber es aus botanischer Sicht eigentlich eine Staude wäre, solltest du es dann einen Staude nennen? Eine sehr spezifische Frage, mit einer sehr unspezifischen Antwort: Es ist deine Entscheidung. Letztendlich hast du mehrere Dinge zu bedenken:

Die meisten Definitionen, die ich dir hier gezeigt habe sind relativ modern. Das heißt, dass Menschen in einem Äquivalent des Mittelalter die Begriffe, die wir heute verwenden, gar nicht so präzise benutzen könnten, wie wir es tun. Ob es nun eine Staude oder ein Busch ist, ist egal, solange es seinen Zweck erfüllt und z.B. Beeren trägt. Das heißt, aus der Sicht der Figuren ist es herzlich irrelevant, ob sie vor einem Busch oder einer Straude stehen. Es könnte tatsächlich die Glaubwürdigkeit deiner Figuren unterstreichen, wenn sie einige Begriffe falsch verwenden.
Andererseits, wenn es für die Figuren irrelevant ist, kannst du die Gelegenheit als Autor:in nutzen, um deinen Lesern vielleicht etwas Neues zu zeigen, oder sie auf einen häufigen Fehler hinzuweisen. Man denke an den Tiffany-Effekt. Ist es wichtig, dass Bananen zu den Beeren zählen, Erdbeeren technisch gesehen Nüsse sind, und Brokkoli erst im 18. Jahrhundert gezüchtet wurde? Nein, aber es ist interessant und kann deine Leser dazu bringen, selbst Nachforschungen anzustellen.

Es gibt bei dieser Entscheidung kein richtig oder falsch. Trotzdem solltest du dir Gedanken darüber machen, warum du dich in die eine oder andere Richtung entscheidest.

 


Der nächste (auf den ersten Blick erschreckend unspektakuläre) Artikel Das Wachstum von Pflanzen – Wasser und Nährstoffe, hat mich über 50 Stunden Arbeitszeit gekostet. Das wollte ich nur schonmal gesagt haben, weil ich so sehr verzweifelt bin, das Thema verständlich und einfach zugänglich zu machen.

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2 Replies to “[Worldbuilding] Flora – Ein paar Erklärungen und Definitionen”

  1. Ally says:

    Boah, was für ein Artikel! Das ist echt ein komplexes Thema, was du richtig toll und verständlich rübergebracht hast. Vielen Dank dafür! Mir war nicht so ganz klar, wie wenig ich über Pflanzen weiß. ^^“

    Zum Thema richtige Begriffe: Ich finde, dass man Charaktere daran auch super unterscheiden kann. Für einen belesenen Charakter wäre es eine Staude, für einen unbelesenen dann eben ein Busch. 🙂

    Antworten
    1. Sina Bennhardt says:

      Um das erklären zu können, habe ich es studiert^^ 😛

      Ich spiele auch gerne damit, dass manche Figuren Sachen „falsch“ sagen und andere richtig. Das ist zwar nix großes, macht die Figuren aber nochmal ne Spur tiefer 🙂

      Antworten

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