Rote Haare, grüne Augen – Was macht eine Figur besonders?

Beim Schreiben gibt es eine Kurzhand, um zu zeigen, dass eine Figur besonders besonders ist: Rote Haare und grüne Augen. (Lustigerweise hauptächlich bei jungen Frauen, aber das zu analysieren, ist eine andere Geschichte.) Und das ist auch verständlich. Rote Haare und grüne Augen sind – statistisch gesehen – die seltensten Haar- und Augenfarben. Aber macht das deine Figur wirklich außergewöhnlich?

Die Normalität des Ungewöhnlichen

In dem Versuch, das Ungewöhnliche hervorzuheben, passiert in Geschichten stattdessen etwas Interessantes. Merkmale wie rote Haare und grüne Augen sind auf einmal alltäglich. Jeder Protagonist hat irgendeine äußerliche „Besonderheit“ – meist zusammenhängend mit Haar- oder Augenfarbe, aber auch wohlplatzierte Narben sind  verbreitet. Die Leser sind schon so abgestumpft von so viel „Besonderem“, dass es schon gar nicht mehr auffällt und – schlimmer noch – schon zu einem Klischee geworden ist.

Aber auch ich kenne den Wunsch, den Protagonisten von den anderen Figuren hervorheben zu wollen. Und was wäre da einfacher, als es durch etwas Äußerliches zu tun? Man kann zum Beispiel die innere Veränderung der Figur an ihrem Äußeren markieren.
Ein ungewöhnliches Aussehen gibt dem Schreiberling außerdem die Möglichkeit, der Figur weitere Hindernisse in den Weg zu legen. Ob es daran liegt, dass sie leicht erkannt wird oder es Vorurteile gegen dieses Aussehen gibt.

Dennoch sind diese Besonderheiten langweilig, weil eben viele viele Figuren gleich ungewöhnlich aussehen.

Die Moden des Außergewöhnlichen

Jedes Genre hat seine eigenen Moden, was das „Außergewöhnliche“ angeht und ich bin mir sicher, dass dir am Anfang dieses Textes schon welche eingefallen sind. Der Krimi hat den männlichen Ermittler mittleren Alters und YA-Bücher oft eine braunhaarige, „ganz normal aussehende“, introvertierte und ungeschickte Protagonistin, die ihren Weg direkt in das Herz des Love Interest stolpert. Aber auch diese Moden ändern sich alle paar Jahre.

Anstatt sie einfach als Klischees abzutun, finde ich es besonders wichtig sie zu analyieren und herauszufinden, warum und wie diese Moden entstanden sind.

Sollten deine Protagonisten besonders sein?

Auf diese Frage gebe ich meine Lieblingsantwort: Jain. Das Aussehen des Protagonisten hat aber wenig Einfluss auf seine Besonderheit. Viel wichtiger ist es, dass der Protagonist etwas besonderes leistet, als dass er besonders aussieht. Und das Schöne daran ist, dass auch „normale“ Menschen Außergewöhnliches tun können und deswegen ist es mir letztendlich auch nicht so wichtig, dass meine Protagonisten sich von der breiten Masse meiner Figuren abheben.

Kultur und der Einfluss auf Besonderheit

Eine spannende Beobachtung ist Folgende: In den meisten westlichen Geschichten werden Figuren besonders geboren oder durch einen äußeren Umstand besonders, der nicht in ihrer Macht liegt. Denke an Superhelden wie Captain America, Thor oder Superman.  In den meisten Geschichten aus dem asiatischen Raum kommen Figuren durchschnittlich auf die Welt und werden durch ihre Taten besonders. Denke an Naruto oder eigentlich jeden beliebigen Protagonisten aus Shonen-Animes.
Es ist durchaus interessant darüber nachzudenken, was dieser grundlegende Unterschied für die Ansicht auf die Welt bedeutet. Aber darum soll es in diesem Artikel nicht gehen. Kehren wir zu dem Thema der äußerlichen Besonderheiten zurück.

Die aktuelle Mode: Was wäre heutzutage besonders?

Ich habe viel darüber nachgedacht, was die aktuellen moderenen Besonderheiten sind und wovon ich eigentlich – unabhängig von Genre – noch nie gelesen habe. Deswegen habe ich aus Spaß mal eine kleine Liste mit äußerlichen Besonderheiten angelegt.

  • zusätzliche Finger/Zehen
  • natürliche Augenringe
  • dünne Haare
  • Körpermodifikationen wie Piercings und Tattoos
  • Schiefe Zähne
  • Plattfüße
  • Resting Sad Face ( = bei neutralem Gesichtsausdruck sieht die Figur traurig aus)
  • Körperbehaarung
  • etc.

Meine Liste demonstriert relativ gut, was die äußerlichen „Besonderheiten“ in Büchern meistens gemein haben: Sie sind attraktiv. Dinge wie Sommersprossen oder Narben werden in Geschichten gerne als ein Makel dargestellt, sind es allerdings nur selten. Attraktivität wird nach wie vor mit der erwarteten Moralität einer Figur gleichgesetzt, wie es in Märchen getan wird.

(Und nur um es deutlich gesagt zu haben: Was attraktiv und nicht attraktiv ist, ist eine sehr subjektive Wahrnehmung. Wenn ich diese Worte benutze meine ich sie verglichen mit dem „Schönheitsideal“, wie man es in der Werbung sehen kann. Schlank, jung, reine Haut usw.)

Wenn (Haupt)Figuren unattraktiv sind, dann dreht sich mindestens ein Plotpunkt aber meistens die gesamte Geschichte darum. Die Norm ist, dass Figuren schön sind. Warum?

Die Macht der Gewöhnlichkeit

J.R.R. Tolkien hat es bei seinen Büchern Der Hobbit und Herr der Ringe schon bemerkt: Es macht für eine spannendere Geschichte, wenn der Protagonist nicht zum Helden geboren, sondern fast schmerzlich gewöhnlich ist. Der Leser kann sich in viele Figuren hineinversetzen, egal wie sie aussehen oder wer sie sind. Trotzdem lässt sich nicht bestreiten, dass es immer eine Freude ist, Kleinigkeiten an Figuren zu entdecken, die man auch von sich kennt und sonst kaum sieht.

Ich erinnere mich noch ganz deutlich an das erste Mal, als ich dieses Gefühl hatte. In den Chroniken von Araluen gibt es eine (Neben)Figur namens Alyss. Sie ist klug und hübsch, aber das hat mich relativ wenig interessiert. Nein, sie war groß. Das ist bei mir hängen geblieben. Sie war groß und stand trotzdem stets aufrecht. Und später war sie auch größer als ihr Freund. Das hatte ich bis dahin noch nicht gelesen. Eine Frau, die auch groß sein darf?!
Mit 14 Jahren hatte ich meine großen Wachstumsschübe schon hinter mir und war mit 1,81 m lange die Größte in meiner Klasse. Und auch wenn mich niemand in bösartiger Weise darauf aufmerksam gemacht hat, war mir doch immer bewusst, dass das eher ungewöhnlich war. Sprüche wie: „Du musst dir aber einen großen Freund suchen, sonst sieht das komisch aus.“ waren normal.
Von einer Frau zu lesen, die groß und selbstbewusst war, hat mich sehr in mir und meinem Selbstwertgefühl bestätigt.

Wenn ich mir jetzt vorstelle, welchen Einfluss eine Figur mit ungewöhnlichen Besonderheiten auf Leser haben kann – besonders, wenn es sich dabei um Unsicherheiten der Leser handelt – dann sehe ich keinen Grund, es nicht zu tun.

 


Was denkst du? Gibst du deinen Figuren lieber ein besonderes oder ein gewöhnliches Aussehen?

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