Von den Schreiberlingen, die ich kenne, haben sich alle ihr Handwerk selbst beigebracht. So geht es mir auch. Nach einigen unbeholfenen ersten Versuchen die richtigen Worte aufs Blatt zu bringen, habe ich viel zu viel Zeit im Internet verbracht und mir mein Wissen angelesen oder selbst zusammengereimt. Dabei habe ich viele der herumschwirrenden Schreibtipps angenommen, abgewandelt und schließlich gelernt, wie man mit ihnen umgeht.
Die bekanntesten Schreibtipps
Vor einer Weile habe ich auf Twitter nachgefragt, welche Schreibregeln immer wieder auftauchen und die Antworten waren vielfältig. Chekov’s Gun, Kill your Darlings, Spiegelbeschreibungen der Hauptfigur sind öde, alles muss plotrelevant sein, Infodumping vermeiden, keine Rückblenden, Show, don’t Tell und noch so viel mehr. Für noch mehr bekannte Schreibtipps kannst du die Antworten unter dem Tweet durchzulesen.
Dass diese Tipps so weit verbreitet sind, lässt vermuten, dass sie hilfreich sind und das stimmt bis zu einem gewissen Grad auch. Dennoch sind mir die meisten zu undifferenziert. Deswegen möchte ich diesen Artikel dazu nutzen, dir die Werkzeuge an die Hand zu geben, Schreibtipps selbst zu analysieren, und damit zu entscheiden, ob und an welchen Stellen sie für dich relevant sind. Dazu solltest du dir die folgenden vier Fragen stellen:
- Welchen Fehler soll der Schreibtipp korrigieren?
- Warum ist das ein Fehler?
- Wie würde eine Änderung (durch den Schreibtipp) deine Geschichte verbessern?
- Wann solltest du den Schreibtipp nicht anwenden?
1. Welchen Fehler soll der Schreibtipp korrigieren?
Bevor du dich weiter mit dem Schreibtipp auseinandersetzt, ist es wichtig herauszufinden, an welcher Stelle er ansetzt. Geht es um die Figuren, den Plot oder das rein technische Können? Oder vielleicht geht es um die aktuelle Schreib-Mode. Es ist wichtig, den Schreibtipp direkt zu Anfang einzuordnen, damit du siehst, ob er überhaupt relevant für dich ist.
Am Beispiel
Nehmen wir den Tipp Kill your Darlings, der bei deinen eigenen Gefühlen bzw. deiner Sentimentalität ansetzt. Er soll dich davon abbringen an Figuren, Szenen oder Plotstrukturen festzuhalten, die nichts zu der Geschichte beitragen und die du nur behältst, weil du sie lieb gewonnen hast. Du sollst nicht – wie ich es manchmal erschreckenderweise gelesen habe – deine liebsten Aspekte aus der Geschichte streichen, weil sie dich angeblich von der Geschichte ablenken. Man kann seine Figuren/Szenen gerne haben, ohne dass man ihren Wert für die Geschichte überschätzt.
2. Warum ist das ein „Fehler“?
Mit dieser Frage erkundest du, warum dein Text an der vom Schreibtipp vorgeschlagenen Stelle überhaupt korrigiert werden muss/sollte. Denn es gibt genauso viele Schreibstile wie es Schreibende gibt und vielleicht ist der Fehler des Einen der Stil des Anderen. Trotzdem Vorsicht: Rede dich nicht einfach damit heraus, dass es eben dein Stil ist. (Aber dafür gibt es die nächste Frage.)
Am Beispiel
Bleiben wir bei Kill your Darlings. Warum könnte es ein Fehler sein, an Figuren, Szenen oder Plotstrukturen festzuhalten, die du lieb gewonnen hast? Deine Gefühle könnten dafür sorgen, dass du überflüssige Szenen und Figuren behalten möchtest, obwohl sie deine Geschichte nicht verbessern. Schlimmer noch, sie könnten deine Geschichte durch ihre Anwesenheit aktiv verschlechtern. Aber das zu sehen kann schwierig sein, wenn du die Szenen, Figuren oder Plotstruktur magst. Der Tipp hält dich also dazu an, einen Schritt zurückzugehen und deine Entscheidungen objektiv zu überdenken.
3. Wie würde der Schreibtipp deine Geschichte verbessern?
An dieser Stelle fragst du ein zweites Mal nach der Relevanz des Schreibtipps für dich, doch dieses Mal deutlich spezifischer. Durch das Wie zwingst du dich außerdem explizite Gründe für die Verwendung des Schreibtipps zu finden. So stellst du sicher, dass du den Schreibtipps nicht einfach folgst, weil sie sich gut anhören, sondern weil sie dir tatsächlich helfen. Ein Beispiel ist an dieser Stelle schwierig, weil es die unterschiedlichsten Antworten geben kann. Versuche an dieser Stelle so spezifisch wie möglich zu werden. Wenn es dir hilft, schreibe dir eine Liste; das habe ich schon oft gemacht.
4. Wann solltest du den Schreibtipp nicht anwenden?
Zuletzt halte ich es für wichtig, das Gegenteil zu betrachten. Die drei Fragen davor hast du versucht Gründe zu finden, warum du den Schreibtipp anweden solltest. Aber um ein möglichst rundes und ausgeglichenes Bild von dem Schreibtipp zu bekommen, solltest du genauso gründlich nach Ausnahmen für die Regel suchen. So schaffst du es, dir ein differenziertes Bild zu machen, das gleichzeitig auf deinen persönlichen Schreibstil abgestimmt ist. Denn besonders die Abgrenzung zu der Nicht-Benutzung des Tipps kann sehr individuell sein.
Am Beispiel
Für mich habe ich entdeckt, dass ich bei Kill your Darlings vorsichtig vorgehen muss. Meine Geschichten enthalten viel Weltenbau, der nicht immer aktiv die Geschichte vorantreibt, aber viel für die Stimmung der Geschichte tut. Allein dass ich High Fantasy schreibe, bedeutet, dass mein Plot-Tempo vergleichsweise langsam sein kann, aber notwendig ist, damit der Leser ein Verständnis für meine Welten entwickelt. Außerdem mag ich es gerne, kleine Augenblicke des „Lebens“ in meine Geschichten einzubauen, die zwar nicht unnütz sind, aber auch den Plot nicht aktiv vorantreiben. Ich beschreibe zum Beispiel, dass die Hauptfigur kein scharfes Essen verträgt oder eine Nebenfigur beim Reden kleine Figuren in den Küchentisch ritzt. Solche kleinen Momente finde ich wichtig, damit sich die Figuren rund und lebendig anfühlen.
Das mag der nächste Schreiberling anders empfinden, aber das ist das Schöne daran, wenn du diese Tipps auf dich zuschneidest. Jeder kann sie für sich interpretieren und anwenden.
Mit welchem Schreibtipp konntest du noch nie warm werden? Konnte dieser Artikel dich überzeugen, ihn nochmal näher zu betrachten?