Der Spagat zwischen Erwartung und Innovation

Neulich habe ich ein neues Fantasy-Buch angefangen und nach kaum hundert Seiten direkt wieder weggelegt. Dabei war an der Geschichte gar nichts auszusetzen. Das hat mich zum Nachdenken gebracht, denn ich habe das Buch tatsächlich nur zur Seite gelegt, weil es meine Erwartung an das Genre Fantasy nicht getroffen hat. Wie schafft man es als Autor*in die Erwartung an das Genre zu erfüllen, aber gleichzeitig eine neue/innovative Geschichte zu erzählen?

Die Ablehnung von Genres

Was ich in letzter Zeit häufiger gesehen und gelesen habe, ist dass Schreiberlinge sich aktiv von Genres abwenden oder aktiv einen Genremix oder sogar ganz ohne Genre schreiben wollen. Ihre Gründe dafür sind sind vielfältig und gerechtfertigt. Genres fördern das Schubladendenken in der Literatur. Sie beschneiden die Federn der Schreibenden und zwingen dazu immer bei ähnlichen Geschichten zu bleiben.

Ein genreloses Buch hilft dem Schreibenden Klischees und Genre-Konventionen abzulegen oder wenigstens abzuwandeln oder zu mischen. Schon das allein kann zu anders erzählten Geschichten führen und somit zu kreativeren und außergewöhnlichen Kombinationen. Trotzdem können ewig lange Genre-Namen á la „mystische Fantasy-Krimi-Dystopie“ abschreckend wirken. Denn man stellt sich unwillkürlich die Frage: Weiß die schreibende Person selbst überhaupt, was sie eigentlich schreibt? Und auch wenn so ein Genre nichts über das Können des Schreiberlings aussagt, liegt die Vermutung nahe, dass die Geschichte thematisch ähnlich undefiniert ist wie der Name des Genres.

Außerdem wählen viele – und da bilde ich keine Ausnahme – ihre Bücher explizit nach dem Genre. Und auch das ist sehr verständlich, denn immerhin zeigt einem das Genre an, was man von der Geschichte im Allgemeinen zu erwarten hat. Und damit stellt sich die Frage, um die es in diesem Artikel gehen soll:

Wie entspricht man „seinem“ Genre und ist gleichzeitig innovativ?

Genre und Erwartung – Grenzen einhalten oder brechen?

Jedes Genre bringt seine eigenen Erwartungen und Klischees mit sich. In einem Krimi zum Beispiel erwartet der Lesende ein Verbrechen, oft einen Mord, und dann ein Katz und Maus Spiel von Täter und Polizei, das meistens von den Ermittlenden gewonnen wird und der Täter am Ende seiner gerechten Strafe zugeführt wird. Willst du nun einen Krimi schreiben, dann solltest du dich an dieses Gerüst halten. Oder?

Wie immer ist meine Antwort ein sehr hilfreiches Jain.

Warum du dich an die Erwartungen deines Genres halten solltest

Oft bringen Genres ein Gerüst für den Ablauf der Geschichte mit und so wissen die Lesenden in etwa, was sie von einer Geschichte zu erwarten haben. Und das ist viel wert. Denn wenn du weißt, dass dich Geschichten mit einem Krimi-typischen Ablauf nicht reizen, dann kannst du bestimmte Bücher von deiner Wahl von Anfang an ausschließen. Aber das funktioniert auch anders herum. Wenn du speziell auf der Suche nach einem Krimi-typischen Ablauf bist, dann erleichtert dir das Genre ebenfalls die Auswahl.

Aber ich würde argumentieren, dass dieser äußere Ablauf gar nicht das ist, was ist die Lesenden im Kopf haben, wenn sie sich ein Buch nach Genre aussuchen. In meiner Erfahrung mögen die meisten Menschen nicht ein bestimmtes „Genre“, sondern die implizierten Gefühle, die es mit sich bringt. Was meine ich im Speziellen damit? Ich bleibe bei dem Beispiel des Krimis.
Was für Gefühle bringt ein Krimi mit sich? Es ist spannend, aber weil die Hauptfigur meistens nicht persönlich in den Fall verwickelt ist, besteht eine gewisse Distanz zu dem Verbrechen. Indizien werden analysiert und führen entweder zum Täter oder den Ermittler auf eine falsche Fährte. Es ist im Grunde also ein großes (soziales) Rätsel, bei dem der Leser mitfiebern kann. Die Essenzen eines Krimis sind also: Spannung auf Distanz und Rätsel.

Der typische Ablauf eines Krimis ist bedingt durch diese Gefühle, die erreicht werden wollen und die, wenn möglich, unangetastet bleiben sollten, damit man den Kern des Genres nicht verliert.

Notiz am Rande: Die Entwicklung von Buch-Reihen

Interessant zu beobachten ist, dass sich in Buch-Reihen oft schleichend das Genre ändert. Trilogien sind meistens kurz genug, dass es dort noch nicht so stark auffällt, aber bei längeren Buchreihen – was Krimis oft sind, weshalb ich sie auch als Beispiel genommen habe – findet man bei späteren Titeln oft starke Einflüsse von anderen Genres. Eine sehr beliebte Mischung ist beispielsweise der Krimi-Thriller.
Im Unterschied zum Krimi ist bei einem Thriller die Bedrohung explizit auf die Hauptfigur ausgerichtet und die Spannung somit intensiver. Das „Rätselraten“ aus dem Krimi wird meistens durch eine Art „Wettstreit der Geister“ von Hauptfigur und Täter ersetzt, der ebenfalls deutlich intensiver ist als im typischen Krimi. Die Entwicklung von Krimi zu Thriller ist also natürlich, um die Spannung auch über Bücher hinweg eskalieren zu lassen.

Diese schleichende Genre-Entwicklung ist auch der Grund, warum sich spätere Bücher auch oft so „anders“ anfühlen oder man von nachfolgenden Büchern enttäuscht ist. Aber dazu werde ich irgendwann einmal einen eigenen Artikel schreiben, denn dieses Thema würde die Grenzen dieses Artikels sprengen. Zurück zum Thema also.

Wo kannst du mit der Erwartung an dein Genre spielen?

Diese Frage habe ich oben bereits indirekt beantwortet, aber ich möchte es hier noch einmal expliziter machen. Das Wichtige ist, dass der emotionale Kern deines Genres getroffen ist. Dabei ist der tatsächliche Ablauf fast egal, auch wenn der typische Plot-Ablauf meistens dadurch begründet ist, dass er eine effektive Methode ist, eine Geschichte mit dem entsprechenden emotionalen Kern zu erzählen.

Innovation passiert dort, wo du beginnst auf kreative Arten und Weisen an den emotionalen Kern heranzutreten. Wie das geht, muss jeder für sich selbst herausfinden, denn wie bei jedem kreativen Prozess, sind die Möglichkeiten endlos.

Welches Genre solltest du als Beschreibung wählen?

Kehren wir zurück zu meinem Ausgangspunkt. Was solltest du tun, wenn du einen Genremix schreibst? Welches Genre schreibst du dann eigentlich? Und welches solltest du als Beschreibung wählen?

Die Erklärung ist so simpel, wie die Umsetzung schwierig ist. Ich würde – und ich möchte hier betonen, dass ich hier nur meine eigenen Vorlieben präsentiere – mich bei der Beschreibung eines Genres auf ein Hauptgenre und ein „erweiterndes“/erklärendes Unter-Genre beschränken. Denn so kann man zeigen, dass die Geschichte vielfältig ist, aber geichzeitig überwältigt man den Leser nicht mit zu vielen Eindrücken. Man kennt diese Unterteilung bereits aus dem Buchmarkt, wenn man an Genres wie „Romantasy“ ( = romantische Fantasy) oder ähnliches denkt.

Am Beispiel

Oben hatte ich als Beispiel das „mystische Fantasy Krimi-Dystopie“ gewählt und daran möchte ich meinen Prozess zeigen. Zuerst würde ich die genannten Bestandteile thematisch (nach Erwartung der Leser) sortieren. In diesem Fall wären es Mystik und Fantasy als eine Kategorie, Krimi als eine weitere und Dystopie als eine dritte. Dann würde ich überlegen, von welcher dieser Kategorien ich am ehesten nur die Struktur ohne emotionalen Kern übernommen habe und diese streichen. Angenommen das wäre in unserem Fall der „Krimi“, dann bleiben noch Fantasy, Mystik und Dystopie und weil Fantasy und Mystik näher aneinanderliegen, würde ich hier für eine weitere Reduktion ansetzen. Mystisch ist als Beschreibung spezifischer und ruft eher die Assoziation von Geheimnissen und Geistern hervor und die Fantasy kann durchaus mystische Elemente einschließen, ist aber breiter gefächert. Welches hier gewählt wird, ist ganz von der Geschichte abhängig.

So wird also aus der „mystischen Fantasy Krimi-Dystopie“ eine „fantastische Dystopie“ oder eine „mystische Dystopie“ und das, ohne den emotionalen Kern der Geschichte bei der Beschreibung und damit die Erwartung der Lesenden zu verfälschen. Dass es in der Geschichte thematisch um einen Mord/ein Verbrechen geht, ist dabei eher zweitrangig.

 


Für eine gute (strukturelle) Erklärung der Genres kannst du mal bei der Liste der wichtigsten Büchergenres der Schreibtrainerin vorbeischauen.

Fällt es dir schwer, dich an ein Genre zu halten? Welche Genres liest du am liebsten? Und was würdest du sagen, ist der emotionale Kern des Genres?

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One Reply to “Der Spagat zwischen Erwartung und Innovation”

  1. Elizzy says:

    Hallo Sina!
    Ein wundervoller und sehr interessanter Beitrag! Ich finde es immer sehr schwierig, als Autorin kann man meistens nicht allen Lesern recht machen. Und Genres sind zwar toll aber meiner Meinung nach gibt es wie du erwähnst schon so viele Mix‘ das es manchmal schwer fällt da noch den Überblick zu haben. Ich selbst lese ja wirklich Querbeet und versuche möglichst ohne grosse Erwartungshaltung an ein Buch zu gehen. Was mir aber auch nicht immer gelingt 😀

    Antworten

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