Ein Buch auf eine Art und Weise zu schreiben, dass die Leser die Geschichte nicht nur einmal sondern mehrmals lesen lässt, ist wohl die Königsdisziplin des Schreibens. Wie unterscheidet sich der erste Lesedurchgang von den weiteren und wie viel musst du dein Schreiben überhaupt ändern, damit die Leser dein Buch mehrmals lesen wollen?
Ein Lesedurchgang vs. Mehrmaliges Lesen
Ist der Unterschied im Schreiben wirklich so groß, wenn man ein Buch für mehrmaliges Lesen schreibt? Meine Antwort ist ein sehr hilfreiches „Ja und Nein“. Im Idealfall sollte deine Geschichte von Anfang an packend und geschickt genug geschrieben sein , dass jeder Lesedurchgang spannend ist. In meiner Erfahrung allerdings verlässt man sich nur allzu leicht auf einfache Spannung, die – wenn man den Ausgang schon kennt – eher langweilig und schleppend ist. Deswegen ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass es Leser geben wird, die deine Geschichte beim Lesen bereits kennen und die dennoch unterhalten sein wollen.
Ein zweiter, dritter oder vierter Lesedurchgang wird alle Schwächen deines Buches betonen. Denn wenn deine Leser die Geschichte bereits kennen, haben sie genug Raum, alle anderen Details wahrzunehmen. Somit werden zum Beispiel Lücken in der Plotstruktur oder nur halb ausgearbeitete Figuren überdeutlich.
Das bedeutet für dich, dass du dich nicht mehr auf Plottwists, Deus Ex Machinas oder nicht ganz durchdachte Entscheidungen deiner Figuren stützen kannst. Stattdessen musst du sicherstellen, dass deine Geschichte immer noch interessant ist, selbst wenn man alle Wendungen der Geschichte schon kennt.
Was bringt deine Leser dazu, deine Geschichte mehrmals zu lesen?
Ich möchte nicht das Pferd von hinten aufzäumen. Ewig aufzuzählen, was nicht funktioniert, halte ich für wenig sinnvoll und auch nicht besonders hilfreich. Wie ich schon oft auf meinem Blog gesagt habe, bin ich der festen Überzeugung, dass jede Strategie ihren Platz und ihr Publikum hat. Etwas also konsequent zu „verbieten“ oder schlecht zu reden, weil es angeblich schlechte Form ist, fühlt sich engstirnig an.
Anstatt also die Schwierigkeiten aufzuzählen, halte ich es für sinnvoller, zu zeigen, was einen Leser dazu bringt zu deiner Geschichte zurückzukehren. Und das sind für gewöhnlich drei Dinge: Die Figuren, die Welt und der Schreibstil.
1. Die Figuren
Figuren tragen deine Geschichte. Sie können einen durchschnittlichen Plot genial machen oder einen genialen Plot nur durchschnittlich. Es sind die Figuren, die deinen Leser emotional an deine Geschichte binden werden und somit sind sie ein wichtiger – wenn nicht sogar der wichtigste – Bestandteil des Schreibens. Da ist es offensichtlich, dass du ihnen für mehrmalige Lesedurchgänge Tiefe und Komplexität geben solltest.
Wie diese Tiefe und Komplexität entsteht, ist allerdings nicht einfach zu erklären, weil sie von vielen Faktoren abhängt, die alle ineinandergreifen. Mein wichtigster Tipp für den Anfang: Gib jeder Figur, auch der unwichtigsten Nebenfigur, ein Ziel und eine Motivation, denn so stellst du sicher, dass sie gleichzeitig einen Platz in der Szene hat und eine Aktion durchführt, die (im besten Fall) bei der Charakterisierung hilft. Diese Aktion muss nichts allzu Komplexes sein. Es mag für eine Szene ausreichen, dass eine Figur die Unordnung wegräumen möchte oder in ein Buch vertieft ist. Dennoch wird dieses Ziel (besonders wenn du es im Text nicht explizit erwähnst) einen roten Faden durch deine Szene und das Verhalten der Figur spannen, und somit zu einem runderen Gesamtbild führen.
Zusätzlich belohnst du die aufmerksamen Leser, wenn du neben deiner Hauptgeschichte einen kleinen unsausgesprochenen Subplot laufen lässt, der im ersten Lesedurchgang vielleicht gar nicht auffällt.
2. Die Welt
Wenn ich von der Welt deiner Geschichte spreche, mag deine erste Assoziation direkt bei der Fantasy oder Sci-Fi landen, in der der Weltenbau natürlich sehr stark ausgeprägt ist. Doch das meine ich nicht unbedingt. Mit der „Welt“ meine ich deine Settings und wie sie sich auf deine Geschichte auswirken. Es ist immer schön zu sehen – vor allem, wenn man in einem zweiten oder dritten Lesedurchgang verstärkt darauf achtet –, dass die Welt nicht willkürlich gewählt, sondern explizit in das Geschehen der Geschichte spielt. Denn wenn deine Settings aufmerksam gewählt sind, dann wird sich auf ganz natürliche Art eine Interaktion zwischen Plot/Figuren und dem Setting entwickeln.
So gibst du deiner ganzen Welt eine eigene Persönlichkeit und sie kann sich tatsächlich wie eine eigenständige Figur anfühlen. Oft sind es die kleinen Details und Aufmerksamkeiten im Setting, die ein Buch erneut lesenswert machen.
3. Der Schreibstil
Zugegebenermaßen ist es mir noch nicht passiert, dass ich allein wegen des Schreibstils zu einem Buch zurückgekehrt bin. Dennoch wäre es falsch ihn zu ignorieren. Ein interessanter und packender Schreibstil kann „langweilige“ Szenen reißerisch machen. Außerdem ist er oft ein Zeichen für gutes Handwerk. Trotzdem unterliegt gerade der Schreibstil dem subjektiven Geschmack deiner Leser. Es hier also jedem Recht zu machen, ist unmöglich. Deswegen hier ein genereller Tipp, der in eine etwas andere Richtung geht:
Mach dir Gedanken darüber, wie die „durchschnittliche“ Schreibstimme deines Genres ist, und woran das liegen könnte. Als Beispiel nehme ich die Fantasy: Die Fantasy ist bekannt für langausschweifende Beschreibungen und Infodumps. Das liegt daran, dass Fantasy-Geschichten meist in einer fremden Welt stattfinden. Daher sind Beschreibungen und auch die Übermittlung von Informationen extrem wichtig, damit der Leser die Rahmen-Regeln der Welt versteht. Dann, wenn du mit der durchschnittlichen Schreibstimme vertraut bist, kannst du sie variieren und auf die Bedürfnisse deiner Geschichte anpassen.
Noch ein Tipp
Zuletzt noch ein Hinweis: In einer Szene sollte nie nur eine Sache passieren. Stattdessen solltest du versuchen, den Leser vielfältig zu fordern. Erzeuge Spannung und lass gleichzeitig Figurenentwicklung passieren. Oder verstecke in deinen Beschreibungen schon Hinweise auf das, was noch passieren wird. Denn wenn du dich in jeder Szene nur einem Aspekt deiner Geschichte zuwendest, passiert es schnell, dass es sich anfühlt, als würdest du nur eine unsichtbare Checkliste abarbeiten und nicht eine Geschichte erzählen.
Das mag im ersten Lesedurchgang noch nicht auffallen, aber das wird es definitiv im zweiten oder dritten.
Letztendlich läuft dieser ganze Artikel eigentlich nur auf einen einzigen Tipp hinaus: Schreibe vielschichtig in allen Aspekten deiner Geschichte. Deine Leser werden es dir danken.
Hast du schon Strategien, damit Leser deine Geschichten auch beim zweiten oder dritten Durchgang interessant finden?