In den letzten paar Teilen habe ich dir gezeigt, wie du die Götter deiner Religion bauen kannst (Teil 1, Teil 2, Teil 3 und Teil 4). Deswegen ist es jetzt an der Zeit, sich wieder ein auf die Religion als ganzes zu konzentrieren. In diesem Beitrag wird es um das Gebet, die Rituale und die Gebetsstätte deiner Religion gehen.
Die Äußerlichkeiten deiner Religion
Rein äußerlich sind es wohl das Gebet, die Riten und die Gebetsstätte, die eine Religion am ehesten definieren. In unserer Welt tragen religiöse Figuren meist Kleidung, an denen wir sie direkt erkennen können. Auch an der Art zu beten, lassen sich Religionen unterscheiden. Daher bietet sich das für eine ausgedachte Religion ebenfalls an. Auch wenn es wohl die inneren Werte wie moralische Grundsätze und Lebenseinstellung sind, die Menschen zu verschiedenen Religionen ziehen, so ist es doch am einfachsten, sie über äußerliche Ausdrucksweisen, wie das Gebet und die Riten darzustellen.
Doch Vorsicht: Religion und der Glaube an einen Gott kann etwas sehr persönliches sein und diesen Glauben leicht abgewandelt für die Unterhaltung in einem Buch zu sehen, kann verletzen und sich respektlos anfühlen. Deswegen solltest du – außer du hast einen sehr spezifischen Grund dafür – die offensichtliche Anlehnung an bereits bestehende Religionen vermeiden.
Die Frage nach dem „Warum?“
Natürlich sollst du deine Recherche machen. Je mehr du dich mit unterschiedlichen Religionen auseinandersetzt desto besser, aber besonders hier – besonders bei der Religion – gilt:
Inspirieren, nicht kopieren!
Wenn du dich also daran machst, Gebet, Riten und Gebetsstätten zu entwerfen, dann frage dich jedes Mal: „Warum machen die Gläubigen es so und nicht anders?“ Und wenn deine Antwort auf ein: „Das habe ich so gelesen/in einer Dokumentation gesehen!“ hinausläuft, ohne in deiner Welt verankert zu sein, dann solltest du deine Entscheidung noch einmal überdenken. Auch Test- und/oder Sensitivity-Leser können an dieser Stelle hilfreich sein.
Jetzt können wir zum eigentlichen Thema dieses Artikels kommen.
Wie sieht das Gebet aus?
Auch wenn sich die Gebetsarten in den vielen Religionen dieser Welt unterscheiden, gibt es doch ein paar Gemeinsamkeiten. Das Gebet ist in seinem Kern ein Zwiegespräch mit der Gottheit. Dieses Gespräch kann laut, flüsternd oder im Kopf der betenden Person stattfinden. Was dabei gesagt wird, kann stark formalisiert – also ein festes niedergeschriebenes Gebet – oder völlig frei sein. Auch worum es in diesem Zwiegespräch geht, ist sehr unterschiedlich. Ob nun Hilfe (für sich oder andere), aus Dankbarkeit, zur Erinnerung, für ein Sicherheitsgefühl oder für noch etwas ganz anderes, all das sind valide Gründe um zu beten.
Das Gebet kann von Musik und Gesang begleitet werden. Wenn das der Fall ist, dann handelt es sich meistens um ein „formalisierteres“ und kein freies Gebet.
In vielen Religionen wird sitzend oder kniend gebetet, wobei häufig zusätzlich noch die Augen geschlossen werden. Oft gibt es auch formalisierte Bewegungsabläufe, die sich entweder über das ganze Gebet erstrecken oder am Ende eines Gebets durchgeführt werden. Denke dabei besonders an die Position und Haltung der Hände. Auch Opfergaben in der Form von Kerzen, Räucherstäbchen, Alkohol, Blumen, Essen oder Wasser haben oft einen Platz im Gebet.
Doch nur weil die oben genannten Merkmale häufig vorkommen, heißt es nicht, dass es in der Religion, die du baust nicht anders aussehen kann. Stark formalisierte Gebete mit Gesang, Musik und festen Bewegungsablauf können wunderbar neben spontaneren freien Gebeten existieren.
Riten
Um es streng zu sehen, ist das Gebet auch eine Form des Ritus, denn die Definition ist laut Duden wie folgt: „hergebrachte Weise der Ausübung einer Religion; Brauch, Gewohnheit bei feierlichen Handlungen“. Doch für unsere Zwecke werde ich das Gebet, in seiner Form als alltägliche Handlung, nicht zu den Riten ziehen und mich stattdessen besonders auf den zweiten Teil der Definition beziehen.
Riten kennzeichnen besonders wichtige und meist stark formalisierte Gebete und Feiern im Leben eines Gläubigen. Je nach Religion und Kultur können das Geburten und Geburtstage, Sonnen- und Wintersonnenwenden und Erntefeste, aber auch Rituale für Sterbende oder Gestorbene und Bitten nach Wetteränderungen sein. Die Rituale verschiedener Religionen sind in ihrer Vorbereitung und Ausführung so unterschiedlich, dass es sich kaum lohnt wirklich nach Gemeinsamkeiten zu suchen. Dennoch scheinen zwei Dinge oft, aber nicht immer, zuzutreffen:
- Rituale werden von Gruppen von Menschen ausgeführt.
- Es werden Opfergaben gebracht.
Feiertage
Weil es in dieser Serie vor allem um das effektive Worldbuilding gehen soll, möchte ich auf eine Sache hinweisen, die dir helfen kann. Feiertage ermöglichen es dir, deine ausgedachte Religion in ihrer extravagantesten und deutlichsten Form zu präsentieren. Es bietet deinen Figuren, die sich nicht mit der Religion auskennen, die Fragen zu stellen, die auch deine Leser plagen werden. Der Nachteil ist natürlich, dass sie nicht den Alltag deiner Religion darstellen. Trotzdem, die Art und Weise wie und in welcher Form Feiertage verbracht werden, kann sehr viel über deine Religion sagen und deinen Lesern in ihrem Verständnis helfen.
Gebetsstätten
Wo finden das Gebet und die Riten statt? Zu Hause? Auf der Straße? Oder gibt es einen festen vorgeschriebenen und öffentlich zugänglichen Platz? Auch das ist von Religion zu Religion unterschiedlich. Deswegen hier ein paar anhaltspunkte: Je größer und verbreiteter die Religion desto wahrscheinlicher ist es, dass sie formalisiert ist. Je formalisierter die Religion ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es regelmäßige und vorgeschriebene Zeiten für Gebete und Riten gibt. Dann bietet es sich auch an, dass es offizielle Gebetshäuser und Tempel gibt.
Doch darum soll es beim nächsten Mal in mehr Detail gehen.
Gebet, Riten und Gebetsstätte an einem Beispiel: Enda und Hefst
Zuletzt bleibt mir nur noch Gebet, Riten und Gebetsstätte an dem Beispiel der Zwillingsgöttinen Enda und Hefst zu zeigen. Die Religion um die Zwillingsgöttinnen ist auf einer (auf unsere Welt übertragen) Insel im polaren Kreis entstanden. Die Menschen, die dort wohnen, sind viel auf See unterwegs, als Fischer, Wal- und Robbenfänger, aber auch als Kapitäne von Handelsschiffen. Das führt dazu, dass sie ihre Religion vor allem in den Küstenregionen der Welt verbreitet haben. Da aber auf diese Weise die Gläubigen wenig Möglichkeit haben untereinander eine „klare Linie“ zu finden und auch die kulturellen Anforderungen überall anders sind, gibt es viele Splitter-Religionen, die zwar alle denselben Kern haben, aber in ihrer Ausübung sehr unterschiedlich sind.
Deshalb sind weder Gebet noch Riten stark formalisiert. Der Fokus liegt auf Gebeten im kleinen Kreis von Familien und Freunden.
Da der Fokus der Zwillingsgöttinnen auf Enden und Anfängen liegt, liegt auch der Fokus der Gebete und Riten dort. Wird beispielsweise ein Feuer entzündet, dankt man für das Ende der Kälte und dann den Beginn der Wärme. Besonders werden auch neue Lebensabschnitte gefeiert. Bei der Geburt beispielsweise wird das Ende der Schwangerschaft gefeiert, danach erst der Beginn eines neuen Lebens.
Im nächsten Artikel geht es darum, wie du deine Gebetsstätte aufbauen kannst.
Ich finde die Idee, das Ende der Schwangerschaft zu feiern und den Beginn des neuen Lebens sehr cool ;l