Der Testleser [Teil 3/3] – Testlesen an einem Beispiel

In den letzten beiden Artikeln [Teil 1 & Teil 2] habe ich dir gezeigt, was beim Testlesen auf dich zukommt und wie du am besten Kritik schreiben kannst. Jetzt möchte ich zum eigentlichen Testlesen kommen. Alex (@LeviRichter auf Twitter, levirichter_autorin auf instagram) war lieb genug, mir einen kleinen unüberarbeiteten Ausschnitt aus ihrem aktuellen Dark Fantasy Manuskript „Schwarzes Licht“ zu leihen. Zunächst einmal der Original Textauszug (170 Wörter, erstes Kapitel, erster Absatz).

Original Text

Bevor ich mit dem Kommentieren beginne, möchte ich, dass du dir den Textauszug einmal vollkommen unkommentiert durchliest. Du siehst, die Vorlage ist ziemlich gut. Es wird schnell deutlich, dass Alex schon Erfahrung mit dem Schreiben hat. Trotzdem sehe ich direkt einige Dinge, die ich anmerken würde.

Und noch ein Hinweis von mir, weil es sonst in den Kommentaren dieses Beitrages steht:

  1. Ich bin keine Lektorin.
  2. Es gibt nicht den einen richtigen Weg, um testzulesen. Das heißt, wenn du anders vorgehst, ist das absolut in Ordnung.
  3. Alle meine Kommentare sind meine eigene Meinung und müssten nicht umgesetzt werden. Auch hier gibt es kein eindeutliges richtig und falsch.
  4. Ich bin zwecks dieses Artikels absichtlich penibel.
  5. Weiter im Text.

Rechtschreibung, Grammatik und Formulierungsfehler

Zu allererst möchte ich mich um Rechtschreibung und Grammatik kümmern, damit sie mich im weiteren Verlauf nicht ablenken. Es gibt ein paar Kommafehler und die Hände werden nicht „zu einer Faust“ geballt, sondern zu „Fäusten“ geballt. Hier die korrigierte Version:

[Die Änderungen zu der vorherigen Version werden in Zukunft immer eingefärbt, damit du die Unterschiede nicht immer suchen musst.]

Gerade bei Rechtschreibung und Grammatik schreibe ich keine ausführlichen Kommentare. Da markiere ich einfach die betreffende Stelle und schreibe „Komma“ oder „richtig: so weit, nicht ’soweit‘ “ . Aber Rechtschreibung und Grammatik sind mit Abstand die langweiligsten Fehler, deswegen möchte ich direkt zu den meinen nächsten Kommentaren kommen.

Wie gehe ich vor?

Mein Prozess ist in Bildern schwer zu erklären, deswegen hier einmal ausformuliert. Ich nehme mir einen Textausschnitt vor und lese ihn einmal trocken durch, ohne irgendetwas zu kommentieren. Dieser Schritt ist wichtig, weil ich dann den Inhalt kenne und mich beim weiteren Lesen nicht mehr in die Welt einfühlen muss.

Falls du dich fragst, mit welchem Programm ich hier gearbeitet habe: Papyrus Autor.

Beim zweiten Mal Lesen schreibe ich meine Kommentare. Dabei gehe ich Satz für Satz vor. Ich mache mir Gedanken über die Reihenfolge der Wörter im Satz und der Sätze im Absatz. Gibt es Informationen, die überflüssig sind? Fehlt mir etwas, um den Inhalt zu verstehen? Was fühle ich beim Lesen? Könnte man dieses Gefühl verstärken, indem man etwas umstellt?

Dann mache ich das alles ein zweites und ein drittes Mal. Jedes Mal unter Beachtung meiner alten Kommentare. Das kann dann so aussehen, wie in dem Bild. Zwecks Übersichtlichkeit habe ich die Kommentare allerdings nicht ausformuliert und Dinge, die in meinen Augen überflüssig waren, habe ich ohne Erklärung gestrichen. Das sähe bei einem tatsächlichen Testlesen etwas ausführlicher aus.

Ich würde auf jeden Fall noch einen erklärenden Absatz hinterherschieben, der vielleicht so aussehen könnte:

Der erste Satz

Weil ich hier den ersten Satz des ersten Kapitels vor mir habe, bin ich besonders pingelig. Ich bin zwar ein Gegner davon, dass der erste Satz eines Buches reißerisch sein muss, aber der erste Satz in dieser Version ist mir ein bisschen zu verwurschtelt und ohne Verbindung zum restlichen Absatz.

Reihenfolge der Informationen

Ansonsten, auch wenn es nach vielen vielen Kommentaren aussieht, liegt mein Hauptproblem bei der Reihenfolge, in der die Informationen übermittelt werden. Wir springen vom Big Ben, zur Sicht über London, zurück zum Big Ben, dann zum Mond, zum Licht, dann findet der Leser heraus, dass er sich in der Hölle befindet, dann zurück zum Licht und dann zum Ziel der Protagonistin.

Wenn die Informationen zum Big Ben und zu dem Licht zusammengruppiert wären, dann würde sich der Absatz nicht so sehr all-over-the-place anfühlen.

Wie könnte eine überarbeitete Version aussehen?

Zum Schluss möchte ich dir einmal zeigen, wie eine „korrigierte“ Version aussehen könnte. (Sie ist von mir überarbeitet. Alex hat es anders gelöst.) Ein großer Unterschied ganz zu Anfang: Die Länge des Abschnitts ist von 170 auf 137 Wörter geschrumpft.

Mein Versuch bei der Überarbeitung war, den Anfang ein bisschen direkter und gleichzeitig mysteriöser zu gestalten. Deswegen habe ich auch den Anfangssatz „London war vergessen worden“ gewählt.
In Alex‘ ursprünglicher Version gab es einen ähnlichen Nebensatz, der in meinen Augen aber nicht annähernd dieselbe Wirkung hatte.

Außerdem habe ich versucht, alle Bilder und Ideen des Ursprungstextes aufzugreifen und auch Satzrhythmus und Wortwahl ähnlich zu lassen. Ob es mir gelungen ist, kannst du selbst entscheiden.

Aber eigentlich geht es in diesem Beitrag ja nicht um das Überarbeiten selbst, sondern um das Testlesen. 😉 Aber wie sieht es bei dir aus? Hättest du das Testlesen anders gelöst? Sind dir noch andere Sachen aufgefallen?


Falls dich das Projekt „Schwarzes Licht“ von Alex interessiert, habe ich hier noch das Cover samt Klappentext für euch! Das Buch befindet sich allerdings noch in Arbeit, es kann also sein, dass sich einzelne Details ändern.

Coverdesign von Nadine Merschmann (Blog & Twitter)
Teilen mit:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert