Du hast also beschlossen, das Manuskript eines Autors testzulesen, und jetzt musst du das Geschriebene kritisieren. Aber wie schreibt man gute (lies: hilfreiche) Kritik, ohne dass sich der Autor angegriffen fühlt oder man ihn – wenn auch aus Versehen – beleidigt?
Die Wahl des Testlesers
Diesen Punkt kannst du zwar nicht kontrollieren, aber trotzdem sollte es dir von Anfang klar sein: Wenn dich ein Autor als Testleser auswählt bedeutet das, dass er dich für intelligent und aufmerksam genug hält, dass du ihm bei seiner Geschichte helfen kannst. Er wird darauf vertrauen, dass du Wichtiges und Hilfreiches zu sagen haben wirst. Als Testleser gewählt zu werden, ist vor allem Anderen ein Kompliment.
Als Testleser gewählt zu werden ist auch ein Vertrauensbeweis, denn das eigene Manuskript ist meist etwas sehr persönliches und eine Kritik am Manuskript wird schnell als Kritik an der eigenen Person aufgefasst.
Das bedeutet für dich, dass du nun die Verantwortung hast, den Aufgaben eines Testlesers gerecht zu werden: Das Manuskript mit frischen Augen zu betrachten und respektvolle Kritik anzubringen.
Was kann in der Geschichte verbessert werden?
Im letzten Beitrag habe ich schon gesagt, dass es die Aufgabe des Autors ist, dich darüber ins Bild zu setzen, worauf du beim Lesen zu achten hast. Sollte er es nicht getan haben und du dir aber auch nicht sicher sein, wo du ansetzen kannst, habe ich hier eine kleine Beispielliste, die du dem Autoren vorlegen kannst, damit er auswählen kann, worauf du achten kannst:
- Inhalt
Figuren/-entwicklung, Worldbuilding, Logik, Dialoge, etc. - Technisch
Grammatik/Rechtschreibung, Perspektive, Schreibstimme, etc.
Ich rate dazu, dich beim Testlesen auf zwei bis drei Punkte zu beschränken, denn ansonsten hast du eine unendliche Arbeit vor dir. Aber kommen wir nun zu der tatsächlichen Kritik.
Hilfreiche Kritik geben. Wie geht das?
- respektvoll
Indem du respektvoll bist, zeigst du dem Autoren, dass du ihn und sein Werk wertschätzt. Beleidigungen oder andere Gemeinheiten führen nur dazu, dass sich die Fronten auf beiden Seiten verhärten und deine Kritik auf keinen Fall ihren gewünschten Effekt haben wird. - ausgeglichen
Auch wenn „Kritik“ grundsätzlich negativ klingt, solltest du nicht nur die verbesserungswürdigen Stellen des Manuskriptes hervorheben. Es ist wichtig für Moral und auch für das Selbstwertgefühl des Autors, dass du auch genau schreibst, was dir gefallen hat. - ehrlich
Schrecke nicht davor ehrlich zu sein. Wenn du nicht ehrlich bist, nimmst du dem Autor die Möglichkeit, sich zu verbessern und genau deswegen liest du dir das Manuskript ja gerade durch. Sei also ehrlich, auch wenn du dir dabei hin und wieder gemein vorkommen kannst. - geduldig
Du wirst schnell bemerken, dass sich verbesserungswürdige Punkte wiederholen werden. Wenn der Autor eine Schwäche bei Dialogen zeigt, wird sich das nicht nach den ersten zwei Kapiteln geben, sondern durch das ganze Manuskript ziehen. Das heißt für dich, dass du deine Kritik gut verteilen und nicht bei jedem neuen Dialog genau dasselbe schreiben musst. Das wäre frustrierend für dich und für den Autoren genauso. Wenn sich ein „Fehler“ wiederholt, schreibe einfach genau das in die Kommentare. Du musst es nicht jedes Mal aufs Neue wiederholen. - begründet
Am wichtigsten ist, dass du jede einzelne Aussage von dir begründest. Ein „find ich doof“ oder auch ein „klasse geschrieben“ bringt den Autor nicht weiter. Begründe deutlich, warum dir eine bestimmte Stelle nicht gefällt und, falls es der Autor wünscht, kannst du auch Verbesserungsvorschläge ansetzen. Aber egal ob positiv oder negativ, begründe deine Aussagen!!
Eine Kritik ist die Möglichkeit für dich, jemand anderem zu helfen, und nicht eine Situation, in der du mit deinem (vermeintlichen) Wissen und deiner Erfahrung prahlen solltest.
Der Ton und die Formulierung deiner Kritik
Denk daran, dass alle Kommentare, die du in das Manuskript schreibst, deine eigene Meinung sind, egal wie sehr du dich mit der Materie auskennst. Die letztendliche Entscheidung, welche Punkte deiner Kritik angenommen und welche beiseite gelegt werden, liegt beim Autor und seiner Vision. Versuche also absolute Formulierungen wie „Du musst …“ oder „… ist falsch“ zu vermeiden, außer es handelt sich um objektive Fakten, die falsch geraten sind, z.B. ein Hund hat auf einmal fünf Beine.
Hilfreicher und auch weniger aggressiv wirken Formulierungen im Konjunktiv, weil sie dem Autoren nicht direkt vorschreiben, was er zu tun hat: „Ich würde an dieser Stelle …“ oder „Du könntest …“ oder „Wie wäre es mit … ?“
Im Zweifel ist es eine gute Idee, deine Vorschläge als Fragen zu formulieren, z.B. „Wolltest du an dieser Stelle den Eindruck erwecken, dass …?“ und dann an dieser Stelle genauer auf deinen Punkt einzugehen.
Wann du als Testleser versagt hast
Ich selbst habe oft noch Probleme mit dem Ton meiner Kommentare. Mir wird jedes Mal gesagt, dass ich keine „Wohlfühl-Kommentare“ schreibe, sondern Dinge in der Geschichte, die ich kritikwürdig finde, deutlichst anspreche. Meistens kommt es gut an, aber manchmal schlägt es über. Mir wurde schon gesagt, dass die Person nach dem Lesen meiner Kritik, die Lust auf das Schreiben komplett verloren hat.
Das ist nicht gut und da liegt der Fehler zu 100% auf meiner Seite.
Nach deiner Kritik sollte sich der Autor nicht demotiviert oder gar niedergemacht fühlen. Als Testleser musst du nicht beweisen, dass du es besser kannst/weißt als der Autor, sondern musst dem Autor unter die Arme greifen und neue oder andere Wege aufzeigen, die aber nicht eingeschlagen werden müssen. Wenn sich der Autor fühlt, als würdest du ihn nur benutzen, um deinen eigenen Frust auf ihm abzuladen, hilfst du weder ihm noch dir selbst.
[Natürlich reagiert jeder Mensch anders auf Kritik und ich gedenke dazu auch noch einen Beitrag zu schreiben. Für den Moment soll es jedoch genügen zu sagen: Wenn sich der Autor von deiner Kritik angegriffen fühlt, dann suche den Fehler zuerst bei dir.]
Nächste Woche zeige ich euch an einem Beispiel, wie ein (Teil-)Manuskript aussehen kann, nachdem es testgelesen wurde.