Wie schreibst du Zeitsprünge in deinen Geschichten?

Als Schreiberling wirst du früher oder später mit einem Zeitsprung konfrontiert werden. Je länger Geschichten werden, desto wahrscheinlicher wird es, dass du irgendwann Zeitsprünge einbauen musst, denn die meisten Geschichten finden nicht am Stück statt. Ein super Beispiel dafür ist die Witcher-Serie, die im Moment auf Netflix läuft (auch wenn es ein anderes Medium ist). Denn die Zeitsprünge darin haben mich in den Wahnsinn getrieben.

Warum brauchst du Zeitsprünge?

Zeitsprünge sind für deine Geschichten wichtig, wenn du deinen Leser nicht andauernd mit dem unwichtigen Geplänkel nerven möchtest, das zwischen deinen Szenen stattfindet. (Auch wenn das Geplänkel manchmal durchaus zu der Geschichte beitragen kann. Aber dazu in einem späteren Artikel mehr.) Du brauchst sie also, um deinem Leser nur die wichtigen Teile deiner Geschichte zu präsentieren.

Aber wenn es dir geht wie mir, dann stehst du vor einem Problem: Wann baust du sie am besten ein? Und wie schreibst du einen Zeitsprung überhaupt?

Wann solltest du Zeitsprünge einbauen?

Wo und wie setzt du da aber an? Ich habe lange gebraucht, bis ich mich mit Zeitsprüngen wohl gefühlt habe. Dabei habe ich mir dann ein „Rezept“ geschrieben, das glücklicherweise nur aus zwei Zutaten besteht. Trotzdem kann die Umsetzung kompliziert werden. Deshalb bevor wir mit den zwei Zutaten anfangen:

Wie groß ist der Zeitsprung?

Meine Faustregel: Je kleiner der Zeitsprung, desto weniger musst du ihn vorbereiten oder nachbereiten. Das liegt vor allem daran, dass in einem kleinen Zeitsprung weniger passieren kann, was den Leser interessiert. Eine Figur geht nur eben etwas holen? Ein einfaches „Ein paar Minuten später kehrte er zurück und […]“ reicht in diesem Fall vollkommen aus. Auch etwas größere Sprünge von einigen Stunden können mit einem einfachen „Nach der Schule […]“ , „Kurz vor dem Mittagessen […]“ , „Am nächsten Morgen […]“ eingeleitet werden.
Handelt es sich bei dem Zeitsprung aber um mehrere Tage oder sogar Wochen oder Monate, musst du mehr Arbeit hineinstecken.

Der Sommer war in einem Wimpernschlag vorbei. Gestern hatte ich mich noch am Strand in Spanien gesonnt und heute war ich zurück in der Schule, saß auf meinem alten Platz und hörte Frau Meier zu, die irgendetwas über Kurvendiskussionen erzählte.

Zwei Sätze und ich habe einen Zeitsprung gemacht. Wie ist das genau passiert?

Zutat 1: Vorbereitung

Die Vorbereitung beginnt vor dem tatsächlichen Zeitsprung – wer hätte es gedacht? – und zeigt dem Leser mehr oder weniger deutlich, dass demnächst ein Zeitsprung kommen wird. (Nicht Teil des Beispiels oben, dafür bräuchte man einen längeren Abschnitt.) Diese Vorbereitung ist je nach Dauer des Zeitsprungs nicht immer nötig, aber oft hilfreich. In meinem Beispiel oben, könnte eine Vorbereitung zum Beispiel den Hinweis beinhalten, dass es auf die Sommerferien zugeht. Das kann in einem Dialog passieren oder in den inneren Gedanken des Perspektivträgers.

Um den Wechsel noch deutlicher zu machen, kannst du von deiner normalen Schreibstimme, in eine etwas neutralere „Erzählstimme“ wechseln. So schaffst du Distanz und zeigst deutlich, dass die folgenden Ereignisse gerafft wurden. Wie diese Erzählstimme genau aussieht, kann ich dir leider nicht genau sagen, weil sie genau wie deine Schreibstimme sehr individuell ist.
Grundsätzlich gilt aber: Wenig Emotionen und viel (sachliches) Erzählen.

Zutat 2: Ankunft in der neuen Zeit

Am wichtigsten für den Leser ist es, sich nach dem Zeistprung zu orientieren. Dazu musst du möglichst schnell, also am besten in den ersten paar Sätzen folgende Fragen beantworten:

  1. Wann befinden wir uns?
  2. Wo befinden wir uns?
  3. Wer ist Perspektivträger? (nur relevant, wenn du mehrere Perspektivträger hast)

Nachdem du diese Fragen beantwortet hast, ist dein Zeitsprung schon vorbei. Das klingt im ersten Moment alles sehr einfach, aber das Schwierige ist – wie bei jedem Schreibtipp eigentlich – die Umsetzung und Anpassung an den eigenen Stil. Hier hilft dir vor allem Übung und auch das Analysieren, wie andere Autoren die Probleme gelöst haben.

Ein Wort zu Zeitsprüngen zwischen Szenen oder Kapiteln

Um die Vor- und Nachbereitung eines Zeitsprunges zu umgehen, ist es auch möglich (und legitim) deine Zeitsprünge zwischen Szenen oder Kapitel zu legen. Damit sparst du dir oft die Vorbereitung und ähnlich wie bei einem „kleinen“ Zeitsprung reicht beim Neueinstieg meist ein einfacher Hinweis darauf, wie viel Zeit seitdem vergangen ist.

Weil bei einem neuen Kapitel sowieso oft Ort und/oder Perspektivträger gewechselt werden, fühlt sich diese Art des Zeitsprungs für viele Leser sehr natürlich an und wird gar nicht aktiv wahrgenommen.

Noch eine Möglichkeit: Der erzählerische Zeitsprung

Hin und wieder ist es von Bedeutung, dass der Leser weiß, was während des Zeitsprunges passiert ist. Und falls es, aus welchem Grund auch immer, nicht möglich sein sollte, es natürlich in die Geschichte einfließen zu lassen, dann kannst du zum erzählerischen Zeitsprung greifen.

Anstatt also deinen Zeitsprung vorzubereiten und dann mit der Ankunft in der neuen Zeit fortzusetzen, unterbrichst du die Geschichte mit einer kleinen Erzählsequenz. Hier ein kurzes Beispiel:

Auch Tage nach unserem Streit sprach Jonas nicht mehr mit mir. In der Schule ging er mir aus dem Weg und auch auf meine Nachrichten reagierte er nicht. Ich wusste, dass er sie las. Das musste er, aber er ließ sich nichts anmerken. [etc.]

Wichtig ist bei dem erzählerischen Zeitsprung aber, dass du dem Leser keine neuen Informationen präsentierst. Natürliche Entwicklungen, wie in dem Beispiel oben, sind hingegen in Ordnung solange sie keine große Auswirkung auf die Figuren und ihre Beziehung haben. Die Beziehung zwischen dem Perspektivträger und Jonas war durch den Streit schon gestört und somit ist es kein Wunder, dass Jonas noch sauer ist. Keine neue Information also. Anders wäre es, wenn sich Jonas‘ Verhalten uncharakteristisch verändern würde. Was genau aber „große Auswirkung auf die Figuren und ihre Beziehung“ in diesem Kontext bedeutet, ist allerdings sehr subjektiv.

Die Fallen des Zeitsprungs

In den Geschichten ungeübter Autoren – und auch leider in der Witcher-Serie – werden Zeitsprünge gerne dafür benutzt, um wichtige(!) Entwicklungen stattfinden zu lassen und das ist sehr gefährlich. Natürlich macht man sich damit den eigenen Job viel leichter, aber es nimmt dem Leser die Möglichkeit an der Geschichte teilzuhaben. Und das führt nur dazu, dass der Leser sich weder den Figuren noch der Geschichte nah fühlt.

Das Vorbeiwinken (engl. hand-waving) wichtiger Ereignisse signalisiert dem Leser nämlich zwei Dinge:

  1. Die Geschichte hätte in jedem Fall diesen Ausgang genommen, nicht weil es unbedingt logisch ist, sondern weil der Autor es wollte.
  2. Der Autor ist in seinem Handwerk nicht geschickt genug, diese Szenen überzeugend darzustellen.

Beide dieser Wahrnehmungen des Lesers sind Dinge, die du auf jeden Fall vermeiden möchtest, denn sie verletzen das Vertrauen, das du mit dem Leser aufgebaut hat. Und ein gebrochenes Vertrauen wieder aufzubauen, deutlich schwieriger als es gar nicht erst zu brechen. Natürlich kann es dir trotzdem gelingen, dass dein Endprodukt – wie beim Witcher – trotzdem spannend und (stellenweise) mitreißend ist, aber deine Geschichte profitiert wahnsinnig davon, Zeitsprünge optimal zu nutzen.

 


Wie stehst du zu Zeitsprüngen? Hast du selbst schonmal Probleme mit ihnen gehabt? Für eine Analyse, wie die Autorin Leigh Bardugo mit Zeitsprüngen umgeht und was ich von ihr gelernt habe, klicke hier.

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4 Replies to “Wie schreibst du Zeitsprünge in deinen Geschichten?”

  1. Alex P. says:

    Der Artikel hat mir gut gefallen! (Und hilft mir bei der Entscheidung, ob ich doch noch mit der Witcher-Serie anfangen soll, was ich bisher nicht getan habe. Wohl eher nicht. 😉
    Was mir Probleme bereitet sind Rückblicke, im Prinzip also Zeitsprünge nach hinten. Wenn sich einer meiner Charaktere zum Beispiel daran erinnert, was er als Kind erlebt hat und ich gerne diese Szene gleichberechtigt erzählen will wie eine, die zur aktuelle Handlung gehört … wie leite ich da über? Es wäre toll, wenn du einen Tipp hast.
    Liebe Grüße

    Antworten
    1. Sina Bennhardt says:

      Hey Alex,
      Freut mich, dass dir der Artikel gefallen hat!

      Ich muss zugeben, dass ich – weil ich persönlich kein großer Fan von Rückblenden bin – noch nicht allzu viel Zeit damit verbracht habe, sie zu analysieren. Deswegen hier nur ein paar oberflächliche Tipps und Gedanken:

      Auch eine Rückblende kannst du nach denselben Reglen vorbereiten, wie einen Zeitsprung auch. Das kann durch Dialog passieren (z.B. „Das habe ich als Kind mit meinem Vater auch immer gemacht!“, sagte sie.), durch inneren Monolog (z.B. „Das Rascheln der Blätter und der Geruch von frisch gebackenem Lebkuchen versetzte ihn zurück in seine Kindheit“) oder durch den Erzähler (z.B. „Sie tollten durch den Schnee, als wären die letzten zwei Jahre niemals passiert. Damals hatten sie immer …“)
      Versuche einen Ankerpunkt zu finden, warum der Rückblick an dieser Stelle relevant ist bzw. warum sich die Figur gerade jetzt erinnert/davon erzählt etc.

      Je nach Art der Rückblende – wenn es z.B. ein ganzes Kapitel sein soll – kann es auch reichen, einfach mit der Rückblende anzufangen und bei der Kapitelüberschrift eine Zeitangabe zu machen.

      Generell habe ich das Gefühl, dass Rückblenden etwas „schreib-freundlicher“ sind als Zeitsprünge nach vorne, weil sie eine deutliche (zeitliche) Trennung zum eigentlichen Erzählungsstrang haben. Bei einer Rückblende ist oftmals ein bisschen Abstand zum eigentlichen Erzählstrang gewollt und das wird auch äußerlich gerne durch doppelte Absätze oder Textzierden deutlich gemacht. Ein Zeitsprung hingegen ist bestenfalls unsichtbar und führt die Geschichte glatt weiter.

      Ich mache mir in den nächsten Tagen (vielleicht auch länger) weitere Gedanken und werde dazu auch gerne noch einen ausführlicheren Artikel schreiben 🙂

      Ich hoffe, meine losen Gedanken sind dir trotzdem schon ein wenig hilfreich!
      LG Sina

      Antworten
  2. Alex P. says:

    Liebe Sina,
    vielen Dank für die schnelle Antwort. Es wären tatsächlich eher kurze Kapitel, die in der Vergangenheit stattfinden und an die Möglichkeit mit der Kapitelüberschrift habe ich auch schon gedacht … Allerdings denke ich dann: Muss das Verhältnis zwischen Gegenwarts- und Vergangenheitskapitel gleich sein?
    Und wenn ich das nicht in Kapitelform mache, habe ich oft das Gefühl, ich müsste in – wie heißt das ? – abgeschlossener Vergangenheitsform schreiben und das tut beim schreiben UND lesen weh.
    Aber der Ankerpunkt ist auf jeden Fall ein gutes Stichwort. Ich werde mir ein paar der Szenen mal unter dem Punkt angucken … vermutlich merke ich dann, dass die Szenen überhaupt nicht wichtig für die Geschichte sind, sondern bloß für mich selbst. 😉
    Ich würde mich freuen, wenn du die Zeit für einen kurzen Beitrag zu demThema finden könntest.
    Liebe Grüße und alles Gute
    Alex

    Antworten
    1. Sina Bennhardt says:

      Hey Alex,

      Wie das Verhältnis zwischen Gegenwartskapiteln und Vergangenheitskapiteln aussieht, hängt ganz davon ab, wie groß und wichtig der Handlungsstrang in der Vergangenheit ist. Da kann ich leider keine universelle Antwort geben. Aber, wenn es nur kurze Erinnerungen für Kontext sind, dann reicht es wenn die Rückblenden ebenfalls kurz sind (Größenordnung wenige Sätze bis wenige Seiten) und dann brauchst du wahrscheinlich auch keine eigenen Kapitel dafür. Wenn es aber ein unabhängiger Erzählstrang ist, dann sollte das Verhältnis ein wenig ausgeglichener sein, aber eigene Kapitel sind auch so nicht unbedingt notwendig.

      Für eine schöne Überleitung zu einer Rückblende im Kapitel, ohne ständig im Plusquamperfekt zu schreiben – also so umständliche „hatte gegessen“, „war gewesen“ Konstruktionen – gibt es einen einfachen Trick! Leite die Rückblende mit der vollendeten Vergangenheit ein (ein-zwei Sätze) und wechsle dann einfach zurück ins Präteritum. Als Beispiel:

      „Anne kaute nachdenklich an ihren Fingernägeln. Ihr Vater hatte diese Angewohnheit immer gehasst und alles versucht, um sie davon abzubringen. Er zwang sie Handschuhe und diesen ekligen Nagellack tragen, aber nichts half. Egal was er versuchte, sie kaute weiter. Das führte zu einigen Problemen …“

      Deine Leser*innen verstehen, dass sie sich immer noch in der Vergangenheit befinden. Das kann sich beim Schreiben zwar erst ein bisschen seltsam anfühlen, aber beim Lesen ist das quasi unsichtbar. (Schau mal in Bücher, die du besitzt. Dieser stille Wechsel vo Plusquamperfekt zum Präteritum ist sehr verbreitet 🙂 ) Zur Verdeutlichung kannst du bei der Einleitung auch noch Anzeigewörter wie „damals“, „vor x Jahren“, „als sie noch ein Kind war“ benutzen, um sicher zu sein, dass es alle mitbekommen.
      Aber auch darauf kann ich in den Artikel nochmal in mehr Detail eingehen 🙂

      LG Sina

      Antworten

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