Ein Schreibtipp, der gerne gegeben wird, ist dieses ominöse „Um besser zu schreiben, musst du mehr lesen“. Aber weiter wird dieser Tipp nicht erklärt. Man sollte fast meinen, dass es durch das bloße Lesen von anderen Büchern getan wäre, aber man kann seine Zeit beim Lesen so viel effektiver nutzen.
Schon einmal als Warnung vorweg: Wenn du das Lesen nutzt, um zu lernen, dann wird es sich nicht wie normales Lesen anfühlen und es kann durchaus sein, dass du dir damit die Erfahrung eines Buches verdirbst. Ich bin stark dafür, ein Buch nicht im ersten Durchlauf zu analysieren, damit der Spaß am Lesen nicht verloren geht.
Aber was kannst du nun von anderen Autoren lernen?
Die Struktur der Geschichte
Je mehr du liest, desto vertrauter wirst du damit, wie Geschichten aufgebaut sind. Tatsächlich bin ich der Meinung, dass es gerade bei der Struktur einer Geschichte nicht so wichtig ist, die Begrifflichkeiten dahinter zu verstehen (3-, 5-, 7-Akt-Struktur, Heldenreise, etc.), sondern ein intuitives Verständnis dafür zu entwickeln, wann die Höhe- und Tiefpunkte einer Geschichte erreicht sind.
Frage dich im Nachhinein, an welchen Punkten der Geschichte, wann die spannendsten Stellen im Buch waren. Wann hast du so richtig um die Figuren gebangt? An welchen Stellen ist einfach alles schief gegangen?
Nachdem du diese Stellen identifiziert hast, ist es an der Zeit für dich zu fragen: Was hätte besser gemacht werden können? Wäre es möglich gewesen, die Spannung noch weiter zu steigern? Und wenn ja, was würde dagegen sprechen genau das zu tun? Versuche also die Höhe- und auch Tiefpunkte von allen möglichen Seiten zu beleuchten.
Vielleicht hilft es dir, eine Liste mit Gemeinsamkeiten zu schreiben, die du gerne in deinen eigenen Schreibablauf integrieren möchtest.
Und weiter noch: Sind diese Gemeinsamkeiten in allen Genres gleich? Lassen sich Strategien von einem Genre auf ein anderes übertragen? Wenn ja, wie würden sie das Leseerlebnis verändern?
Einzelne Szenen
Wenn du dein Netz etwas enger auswerfen willst, dann setz dich mit Szenen auseinander, die dich besonders gepackt haben. Warum waren sie so spannend/ergreifend/[„passendes Adjektiv einfügen“]? Lag es an der Wortwahl, der Geschwindigkeit der Szene, den Figuren? Oder an einer Mischung aus allem? Oder vielleicht an der Vorarbeit, die in vorherigen Szenen geleistet wurde?
Einzelne Szenen so zu analysieren ist besonders schwierig, weil die Gründe so vielzählig sein können, dass es unmöglich ist, sie alle zu finden. Dennoch kannst du durch zahlreiche Analysen immer mehr Gründe herausfinden.
Angeblich soll es auch helfen solche Lieblingsszenen, Satz für Satz abzuschreiben. Nicht um sie zu kopieren, sondern um sicherzugehen, dass man auch kein Wort bei seiner Analyse verpasst hat. Hier bietet sich dir eine weitere Möglichkeit: Du kannst die Szene verändern.
Was würde passieren, wenn du die Reihenfolge änderst? Was, wenn du eine Figur veränderst oder streichst? Probiere aus und experimentiere.
Dasselbe solltest du auch für Szenen machen, die dich überhaupt nicht abgeholt haben. Die Fragen bleiben dieselben. Dennoch fällt es oft leichter zu erkennen, was einem nicht gefällt, als etwas herauszufinden, dass gefällt.
Klischees und Trends
Es ist keim Geheimnis, dass jeder Leser seine Lieblingsgenres hat, in denen er sich auskennt. Genauso solltest du als Autor auch dein „eigenes“ Genre in und auswendig kennen. Du solltest stets mit den Klischees und vor allem den aktuellen Trends bekannt sein.
Kritiken und Rezensionen schreiben
Der letzte Schritt ist, deine Erkenntnisse schriftlich und wohl geordnet festzuhalten. Das funktioniert am Besten in Form von Rezensionen. Denn hier musst du deine Gedanken präzise auf einen Punkt bringen und dir deiner Ergebnisse sicher sind.
Das heißt nicht, dass du deine Rezensionen irgendwo veröffentlichen musst. Zu allererst dienen sie dir, deine Gedanken zu sortieren und sicher zu sein, dass deine selbst erlernten Muster und Regeln auch Sinn ergeben. So festigen sich deine Entdeckungen und es wird dir leichter fallen, sie in zukünftigen Werken und vor allem deinen eigenen zu erkennen und vielleicht sogar zu replizieren.
Zum Abschluss
Bei der Analyse der verschiedenen Bücher geht es nicht darum eine objektiv richtige Antwort zu finden, denn ich bin mir sicher, dass 100 verschiedenen Autoren auch 100 verschiedene Gemeinsamkeiten und Unterschiede auffallen würden. Es geht bei dieser Aufgabe auch darum herauszufinden, worauf du als Schreibende*r und Lesende*r dein Augenmerk legst. Und wenn du erst einmal weißt, was dir beim Schreiben am wichtigsten ist, dann bist du auch nicht mehr weit davon entfernt, deinen ganz eigenen Stil zu entwickeln.
Welche Bücher hast du schon zum Lernen gelesen? Ist das überhaupt eine Methode, die du schon einmal angewandt hast?
Liebe Sina,
ein toller Beitrag, dem ich nur zustimmen kann! 🙂
Zuletzt habe ich von „Drei Frauen am See“ viel gelernt. Ich liebe dieses Buch, habe am Ende geweint und es ist eins meiner absoluten Lieblingsbücher geworden. Wie bei meiner eigenen Reihe geht es in dem Buch um eine Gruppe von Frauen und ihre langjährige Freundschaft. Das Konzept in diesem Buch war perfekt, die Geschichte umspannt alle Jahrzehnte, aber ich habe auch gemerkt, dass ich trotzdem anders schreiben will. Ich will eine Reihe schreiben mit vielen Bänden (6-8), die Stück für Stück alle 70 Jahrzehnte grob umfasst, also mit vielen Zeitsprüngen von vielen Jahren dazwischen natürlich. Aber ich möchte, dass der Leser mehr „live“ dabei ist sozusagen. Drei Frauen am See liebe ich, aber es hat mich auch in meinem Konzept bestätigt. Hätte bei Drei Frauen am See auch gerne Fortsetzungen 😀
Liebe Grüße
Yvonne 🙂
Solche Erkenntnisse (dass man eine Geschichte lieben kann, aber es anders umsetzen würde) sind soooo wichtig! Da zahlt es sich einfach aus, dass man viel liest und so viele verschiedenen Schreibstile kennen lernt 🙂