[Worldbuilding] Religion – Monotheismus oder Polytheismus?

Beim letzten Mal habe ich dir eine kompakte Einführung zu Religionen im Allgemeinen gegeben, doch wie solltest du vorgehen, wenn du dich an das Entwickeln machst? Zunächst solltest du dich um die Götter kümmern und mit ihnen stellt sich die Frage: Monotheismus oder Polytheismus?

Monotheismus oder Polytheismus?

Beten die Menschen deiner Welt zu einem einzigen Gott, nennt man sie monotheistisch (griechisch μόνος mónos „allein“ und θεός theós „Gott“). Dieser Gott ist allumfassend und für alles auf der Welt und darüber hinaus verantwortlich. Ihm steht meistens ein Teufel („das Böse“) gegenüber, der das Gegenbild des Gottes bildet. Außerdem solltest du dir Gedanken darüber machen, ob die Gläubigen einen Absoultheitsanspruch an ihren Gott stellen. Soll heißen: Lassen sie auch die Existenz von anderen Göttern aus anderen Religionen zu oder gibt es für sie nur diesen einen richtigen Gott?

Beispiele für Monotheistische Religionen aus unserer Welt sind das Judentum, der Islam und das Christentum.

Beten die Menschen deiner Welt zu mehreren Göttern oder Geistern, nennt man sie polytheistisch (von griechisch πολύς polys ‚viel‘ und θεός theós „Gott“). Die einzelnen Götter haben meistens mehr oder weniger deutlich abgesteckte Zuständigkeitsbereiche. Außerdem sind sie häufig in einer Art Familienstruktur aufgebaut mit einem Göttervater, einer Göttermutter oder den Göttereltern an der Spitze. Es gibt aber auch den Aufbau eines gleichgestellten Götterrates, in dem die Götter zwar eigene Zuständigkeitsbereiche haben, aber einander gleichgestellt sind. Deine Entscheidung an dieser Stelle kann schon viel über die Kultur aussagen.

Polytheistische Religionen treten dem Gedanken von Naturgeistern oder niederen Göttern, aus offensichtlichen Gründen, sehr viel offener entgegen als monotheistische. Diese niederen Götter werden allerdings weniger verbreitet verehrt.

Beispiele für Polytheistische Religionen aus unserer Welt sind der Shintoismus aus Japan, Keltisches Neuheidentum und diverse Religionen aus der Antike, wie bei den alten Griechen und Römern sowie den alten Ägyptern.

Interessante Beobachtung

Spannend zu beobachten ist, dass je weiter die Menschheit in ihrer Technik fortschreitet, desto eher tendiert sie zu Monotheismus. Das kann daran liegen, dass – wie ich im letzten Beitrag erklärt habe – das Unwissen um Prozesse in der Natur nicht mehr existiert. Wir müssen die Tiden nicht mehr mit einem Meeresgott oder -geist erklären, sondern wissen, dass der Mond dafür verantwortlich ist. Wir wissen, warum sich die Sonne über den Himmel bewegt und wir wissen auch, warum die Bäume im Herbst ihre Blätter verlieren. Somit geht der Sinn des Polytheismus mehr und mehr verloren. Deswegen eine Faustregel für dich:

Je weniger dein Volk von der Natur versteht, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie zu Polytheismus neigt, um sich diese Prozesse logisch zu erklären.

Existieren die Götter wirklich?

Ich möchte nur einmal anmerken, dass die Bilder in diesem und den folgenden Artikel rein dekorativ sind und ihre Platzierung im Text nicht notwendigerweise etwas auszusagen hat.

Nachdem du dich für Monotheismus oder Polytheismus entschieden hast, gibt es eine zweite große Frage zu beantworten: Gibt es deine Götter wirklich oder sind sie nur von den Menschen deiner Welt ausgedacht? Oder gibt es vielleicht einige echte und einige ausgedachte?
Diese Frage musst du deinem Leser zwar nicht unbedingt beantworten, aber du solltest die Antwort kennen. Denn so kannst du sehr besser und vor allem konsequenter entscheiden, was deine Götter alles können und worüber es Geschichten gibt.

Wenn es deine Götter nicht gibt

Existieren in deiner Welt keine Götter, dann solltest du dich in deinen Geschichten über die Götter an den natürlichen Ereignissen der Welt orientieren. Ihre „Wunder“ sollten sich zunächst auf Dinge beschränken, die auch auf natürliche Weise geschehen können, wie z.B. Regen nach langer Dürre oder eine unerklärte Plage. Die Geschichten über die Wunder der Götter dürfen natürlich mit der Zeit übertrieber werden. Als Faustregel: Je länger deine Religion mit imaginären Göttern existiert, desto weniger musst du dich an der Realität orientieren. Vor allem wenn deine Kultur keine Möglichkeiten hat, die Vorfälle aufzuzeichnen.

Insgesamt bist du also ziemlich frei in der Gestaltung deiner Götter und ihrer Fähigkeiten. Außerdem hast du den Vorteil: Die Geschichten über deine Götter können sich gerne widersprechen, denn sie sind ja ausgedacht. Wie sich die Aufgaben von Göttern mit der Zeit verändern können, kannst du hier nachschauen an den Beispielen von der Göttin Aphrodite und dem Gott Dionysus.

Wenn es deine Götter gibt

Wenn es Götter gibt, dann kommt eine ganze Menge Arbeit auf dich zu. Denn wenn es sie wirklich gibt, dann solltest du – wie bei jeder anderen Figur – einiges über sie wissen.

  1. Woher kommen deine Götter? Wie sind sie entstanden?
  2. Was macht sie göttlich?
  3. Was sind ihre Fähigkeiten? Und wo liegen ihre Grenzen?
  4. Interessieren sich die Götter für die Menschen und die Welt? Mögen sie die Menschen oder sind sie in ihren Augen eher so etwas wie Ameisen?
  5. Sind die Geschichten über sie wahr? Sind sie gelogen oder übertrieben?
  6. Treten sie offen in Kontakt mit Menschen? Wie oft passiert das?
  7. Wissen die Menschen, dass die Götter echt sind?
  8. Wenn du mehrere Religionen hast: Sind alle Götter wahr? Haben alle Religionen Recht? Oder ist es immer derselbe Gott in unterschiedlichem Kleid?
  9. Kennen sie so etwas wie Moralität?
  10. Haben die Götter selbst die Regeln aufgestellt, die ihre Anhänger befolgen? Oder haben sich die Regeln mit der Zeit verselbstständigt?
  11. Haben sie einen Gegenspieler/“Teufel“?
  12. Falls du Magie in deiner Welt hast: Benutzen Götter Magie oder ist ihre Kraft etwas anderes? Wie würde sich die göttliche Kraft von der Magie unterscheiden?
  13. Können sie sterben? Wenn ja, wie?
  14. Was passiert, wenn ein Gott stirbt?
  15. Können sie sich fortpflanzen? Wenn ja, wie? Können sie mit Menschen/Sterblichen Nachkommen erzeugen?
  16. Haben sie die Welt erschaffen? Oder ist die Welt durch einen Urknall entstanden und die Götter sind erst danach dazugekommen?
  17. usw.

Diese Liste ist offensichtlich weit entfernt von vollständig, aber hoffentlich gibt sie dir einige Anregungen, woran du bei der Erstellung wahrer Götter denken musst.

Warum die Fantasy zu Polytheismus neigt

Wenn ich so an die Fantasygeschichten denke, die ich kenne, dann sind mir bisher eigentlich nur polytheistische Systeme begegnet. Woran liegt das?

Ein großer Punkt ist sicherlich, dass ich hauptsächlich Bücher von „westlichen“ Autoren lese. In Europa und Amerika sind monotheistische Religionen am weitesten verbreitet: das Christentum, der Islam und das Judentum. Der Wechsel zum Polytheismus macht deine Welt also automatisch fremdartiger und damit fantastischer. Und das einfach, weil du eine Religionsform gewählt hast, die für uns ungewöhnlicher ist.

Dazu kommt, dass die Fantasy meist im Mittelalter oder zumindest in der Vergangenheit spielt. Und das ist eine Zeit, in der die Menschen kein gutes Verständnis von der Natur und ihren Vorgängen hatte. Vieles musste durch übernatürliche Kräfte erklärt werden. Und gerade Naturgötter und -geister treten in den meisten Fällen in großen Zahlen auf. Also auch hier: Polytheismus.

Außerdem, und hier kommen wir zu dem ersten richtigen Vorteil für dich als Autor, Polytheismus macht deinen Job um einiges einfacher. Denn im Polytheismus bekommt meist jeder Gott einen mehr oder weniger festen Zuständigkeitsbereich. Das ist für dich einfacher, weil du immer sofort weißt, welcher Gott an jeder bestimmten Stelle passend wäre. Ein monotheistischer Gott wäre zwar für „alles“ zuständig, hat aber meistens keine so enge Bindung zu dem „erdlichen“ und kümmert sich eher um die Moral seiner Anhänger.

Das heißt natürlich nicht, dass Monotheismus in der Fantasy nicht funktionieren würde, aber es ist deutlich ungewöhnlicher und vielleicht genau deswegen die richtige Wahl für dich.

Die Entscheidung liegt allein bei dir.

 


Beim nächsten Mal zeige ich dir, wie du einen eigenen Gott oder eigene Götter bauen kannst. Denn selbst bei verschiedensten Kulturen, lassen sich doch Muster feststellen.

Teilen mit:

2 Replies to “[Worldbuilding] Religion – Monotheismus oder Polytheismus?”

  1. Dirk says:

    Hallo Sina !
    Fantasy ist fantastisch.
    Religionen sind mystisch und passen gut dazu.
    Ist für dich auch eine Fantasywelt denkbar,
    die wissenschaftsorientiert ist und ohne Religionen auskommt ?

    Antworten
    1. Sina Bennhardt says:

      Hey Dirk!

      Denkbar ist sie auf jeden Fall! Dafür müssten natürlich die richtigen Vraussetzungen gegeben sein (z.B. es existieren tatsächlich keine Götter und die Wissenschaft ist schon weit genug vorangeschritten, dass sich natürliche Phänomene ohne Götter/Geister erklären lassen).

      Es gibt ja viele verschiedene Sub-Genres in der Fantasy und für eine religionsfreie Welt bietet sich beispielsweise so etwas wie „Urban Fantasy“ an, das quasi in unserer Welt spielt mit eben dem Zusatz von Magie etc. (denke Harry Potter). Aber auch so etwas wie „Steampunk Fantasy“ würde sich für eine gottlose Welt anbieten (Steampunk -> fiktive Welt, in der der Dampfmotor die beste Quelle ist Energie zu bekommen und deswegen alles auf Dampf läuft, solltest du mal googeln, das sieht echt schön aus). Denn auch beim Steampunk ist der Fokus auf dem wissenschaftlichen Fortschritt und das lässt Götter gerne in den Hintergrund rücken.

      Also die kurze Antwort: Ja, wissenschaftsbasierte Fantasy könnte auf jeden Fall existieren (obwohl man auch da wieder aufpassen muss, denn der Wissenschaftsfokus ist Kern der Sci-Fi)

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert