Das Schreiben und die Psyche – Kreativ sein mit Dysthymie

Ich habe gestern von Mel Matthias einen Blogbeitrag mit dem Titel Wenn das Innere leidet über ihre Dysthymie gelesen und da habe ich beschlossen, dass ich auch etwas zu diesem Thema sagen möchte. (Auch Nadine erzählt hier von ihren Erfahrungen.) Das hier wird keiner meiner typischen Beiträge über das Schreiben und Lesen, sondern ein bisschen persönlicher.

Triggerwarnung: Depressionen

Meine eigene Geschichte

Vor etwa einem Jahr bin ich zum Arzt gegangen, weil ich nicht mehr schlafen konnte. Albträume. Und das jede Nacht. Ich habe es nicht mehr aus dem Bett geschafft, hatte ständig Kopfschmerzen, Panikattacken und im späteren Verlauf auch stressbedingte Herzrhythmusstörungen. Kurz: Es ging mir echt nicht gut.
Meine Hausärztin hat mich zur Psychotherapie geschickt und die Diagnose war recht schnell aufgestellt. Eine anhaltende affektive Störung, genauer Dysthymia (oder Dysthymie), die sich bei mir als eine anhaltende ängstliche Depression äußert. Daneben noch krankhafter Perfektionismus, der mich in noch auf ganz andere Weisen einschränkt, und Einiges an Diagnosen mehr, aber darum soll es heute nicht gehen.

Was ist Dysthymie?

Manchmal behaupte ich zynisch, dass mein Perfektionismus so weit reicht, dass sogar die Syptome der Dysthymie bei mir perfekt getroffen sind. Ich bin wirklich ein Vorzeigefall. Deswegen reicht es für die Erklärung auch, meine Symptome aufzuzählen.

Die Psyche

Psychisch äußert sich die Dysthymie, wie im Grunde alle Formen der Depression, durch ein Absterben der Gefühle. Ich beschreibe es gerne so: Stell dir vor, du lebst dein Leben in einem Aquarium. Du bekommst alles mit, du siehst alles, aber alles ist dumpf und weit weg. Du kannst keine Verbindungen zu deinen Mitmenschen mehr Aufbauen und irgendwann hörst du auch auf es zu versuchen, weil du tief in dir weißt, dass immer eine Glasscheibe zwischen dir und den anderen sein wird.
Dazu kommt, dass man vollkommen apathisch wird. Aber gleichzeitig steht man ständig unter Strom. Man ist gestresst, weil man nichts auf die Reihe bekommt, aber es doch eigentlich nicht so schwer sein sollte, verdammte Axt! Deswegen versucht man sich zu beschäftigen und etwas Sinnvolles zu tun, hat aber nicht die Kraft irgendetwas zu beenden. Was zu mehr Stress führt usw.: Ein Teufelskreis. Selbst Hobbys und andere Passionen verlieren ihren Reiz und machen einfach keinen Spaß mehr.
Dann kommen die Konzentrationsstörungen dazu. Es wird immer schwieriger, sich auf die einfachsten Dinge zu konzentrieren. So etwas wie Multi-Tasking ist vollkommen unmöglich. Sogar für eine einzelne Aufgabe am Tag, wie z.B. die Wäsche machen oder Staubsaugen, reicht die Konzentration nicht mehr.

Daraus entwickelt sich ein extrem geringes Selbstwertgefühl, weil man sich schuldig fühlt oder schämt, weil man „nichts auf die Reihe bekommt“ oder „faul“ ist. Hier treten auch häufig lebensmüde Gedanken auf. Die Zukunft hat keinen Reiz mehr. Warum sollte man da noch weitermachen?

Der Körper

Körperlich äußert sich die Dysthymie, wie oben bereits angedeutet, am deutlichsten in Schlafstörungen. Man kann nicht einschlafen. An Durchschlafen ist gar nicht zu denken und falls man es doch schaffen sollte, die Augen für eine „angemessene“ Zeit zu schließen, dann rauben einem Albträume die Möglichkeit der Erholung.

So als Fun Fact: Ich trage ein Armband, das in regelmäßigen Abständen meinen Puls misst und es ist normal, dass mein Puls beim Schlafen auf 180 Schläge pro Minute oder sogar höher steigt. Kein Wunder also, dass man am Morgen erschöpft ist.

Nach den Schlafstörungen verändert sich das Essverhalten. Entweder man hört auf zu essen oder, wie in meinem Fall, isst viel zu viel und ist trotzdem nie satt. Allein im letzten Jahr habe ich über 30 kg zugenommen. Wodurch man sich in seinem eigenen Körper natürlich noch unwohler fühlt als sowieso schon.
Kopfschmerzen/Migräne, eingeschränkte Atmung, Herzbeschwerden und schwacher Kreislauf sind ebenfalls etwas völlig Alltägliches. Und mit solchen Symptomen ist man viel zu erschöpft, um überhaupt produktiv zu sein. Das führt zu mehr Stress und mehr Stress führt zu schlimmeren Symptomen usw. Ein weiterer Teufelskreis.

Was hat Dysthymie mit Schreiben zu tun?

Auf meinem Blog geht es um das Schreiben, also möchte ich das Schreiben auch in Bezug zu meiner Dysthymie bringen. Ich weiß leider nicht mehr, woher ich dieses Zitat habe, aber es passt sehr gut zu meiner Situation:

„The difficult thing to realize is, that pain produces. It can fuel a creativity that can lead to powerful things.“

Ich habe nie geschrieben, als ich glücklich war. Wahrscheinlich war es meine Art mit diesen Gefühlen umzugehen und sie zu verarbeiten. Das mag nicht jedem in meiner Situation so gehen, aber mir hilft es. Ich schreibe von Menschen, die mit Situationen kämpfen, die ich selbst nicht bewältigen kann, und das gibt mir die Hoffnung, dass ich es vielleicht doch schaffen kann aus diesem verdammten Kreislauf auszubrechen.

Und wenn ich nicht schreiben kann, weil ich in einer depressiven Phase gefangen bin, dann lese ich über das Schreiben, denn das ist das Einzige, wofür ich mich noch ein bisschen begeistern kann. So kann ich versuchen mir einzureden, dass ich wenigstens ein bisschen produktiv war.

Ich und meine Maske

Man merkt mir nicht an, dass ich Dysthymie habe. Das habe ich schon oft gehört.

Ich arbeite hart daran, zu funktionieren und dennoch schaffe ich es immer seltener. Das Schlimme ist, dass ich meine depressiven Phasen nicht vorhersagen kann. Sie kündigen sich nicht an. Sie kommen und gehen einfach. Manchmal plane ich mir morgens meinen Tag, bin froh, dass ich endlich produktiv sein kann, und 10 Minuten später kann ich keinen Finger mehr rühren.
Deswegen verschwinde ich manchmal für Tage oder Wochen von Twitter und diesem Blog. Wenn ich wieder zurückkomme, bin ich jedes Mal sehr darauf bedacht, weiterzumachen als wäre nichts geschehen. Ich erwähne mein Verschwinden nicht, mache da weiter, wo ich aufgehört habe.

Ich tue so, als wäre ich gesund.

Meine Maske passt mir gut. Und das soll so bleiben.

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6 Replies to “Das Schreiben und die Psyche – Kreativ sein mit Dysthymie”

  1. Nadine says:

    Ich habe wie gesagt auch Dysthymie und kann dir vieles nachempfinde. Besonders das nicht mehr sich für etwas wirklich begeistern können, alles ist so dumpf, alles ist so mittel, alles entlockt einem nur noch ein Schulterzucken. Das Genießen kommt abhanden, man versucht produktiv zu sein wie die anderen und schafft es nicht mal ansatzweise, von den körperlichen Symptomen, die meine Phobien triggern mal ganz abgesehen. Perfektionismus kann ich auch ein Lied von singen.
    Ich schreibe auch am liebsten gebrochene Charaktere, tragische Geschichten, bittersüße Enden etc. Ein reines Wohlfühlbuch mit Happy Ende kriege ich einfach nicht hin. Ich will meine Ängste verarbeiten können und das gelingt mir durchs Schreiben.
    Ich danke dir für diesen Beitrag, wir sind nicht allein.

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    1. Sina Bennhardt says:

      Ja, es ist schwierig mit so einer Diagnose/Vorgeschichte noch „normal“ zu sein. Und auch wenn ich deine Dysthymie und Phobien auf keinen Fall wünsche, fühlt es sich dennoch gut an, nicht damit allein zu sein. <3

      Ich hoffe, dass wir es als Betroffene durch unserer Geschichten schaffen können, das Bewusstsein des "normalen" Menschen zu erweitern und Achtsamkeit zu schaffen. Das wäre wahnsinnig viel wert.

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  2. Julian Kr. says:

    Ich finde es echt klasse, dass du diesen Beitrag geschrieben hast. Es war bestimmt nicht einfach, das alles zu Papier zu bringen und auch noch zu veröffentlichen. Offen über Depressionen und andere psychische Krankheiten zu reden ist nicht leicht, hilft aber enorm, die Krankheit & Menschen, die daran leiden, zu verstehen, selber damit umzugehen und den Krankheiten auch ein bisschen das Stigma zu nehmen. Ich habe großen Respekt vor Leuten, die so darüber reden können, und es hilft enorm, zu hören, dass es auch andere Menschen gibt, die mit so etwas zu kämpfen haben und trotzdem nicht aufgeben und sich sogar ein freundliches Wesen bewahren können. Auch wenn ich selber keine Dysthymie habe, kenne ich ein paar der Symptome auch selber von meiner Depression und weiß wie schwer es manchmal ist, damit umzugehen. Da hilft es wirklich oft, sich etwas zurückzuziehen, damit man sich auf sich selbst konzentrieren kann. Du solltest dir aber auch ab und zu erlauben nicht „zu funktionieren“, daran ist absolut nichts falsch.
    Und bevor ich dir ’nen halben Aufsatz da lasse, wie gesagt : echt Respekt dafür ! Und lass dich nicht unterkriegen 🙂

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    1. Sina Bennhardt says:

      Dein halber Aufsatz wird bei mir sehr wertgeschätzt 😉

      Du hast genau Recht. Auch wenn das Schreiben und Veröffentlichen dieses Beitrags nicht ganz einfach war, hilft es hoffentlich trotzdem das Stigma, das psychische Krankheiten mit sich bringen, ein wenig zu nehmen. Der Umgang mit meiner Dysthymie ist ein ständig ändernder Prozess und ich bin noch nicht an dem Punkt angelangt, wo ich es zulassen kann „nicht zu funktionieren“. Aber das ist mein kurz- und längerfristiges Ziel für die nächsten Jahre, mich einfach so zu akzeptieren wie ich bin. 🙂

      Ich wünsche dir auch für deine zukünftige Entwicklung nur das Beste! 🙂

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