Es ist schon ein paar Wochen her, dass ich Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque gelesen habe. Zuerst wollte ich eine Rezension darüber schreiben, aber ich wusste, dass ich dem Buch damit nicht gerecht werden könnte, also habe ich es sein gelassen. Vor ein paar Tagen dann habe ich Dunkirk von Regisseur Christopher Nolan gesehen. Ähnliches Thema. Beide Geschichten behandeln die Schrecken des Krieges. Beides grausame Geschichten, die hervorragend ausgeführt sind.
Also habe ich mich gefragt, warum beide Geschichten so einen emotionalen Einfluss auf mich hatten, und was du als Autor davon lernen kannst.
Worum geht es bei Im Westen nichts Neues und Dunkirk?
Bevor ich beginne, die beiden Geschichten zu analysieren, möchte ich sie für alle Unwissenden zusammenfassen. Offensichtlich werde ich damit die Geschichten spoilern müssen. Wenn du also das Buch oder den Film noch lesen bzw. schauen möchtest, ohne vorher allzu viel darüber zu wissen, ist hiermit meine Warnung ausgesprochen.
Im Westen nichts Neues
Bei Im Westen nichts Neues geht es um den jungen Soldaten Paul (19 Jahre), der sich zusammen mit einigen anderen Jungen aus seiner Schule freiwillig für den ersten Weltkrieg gemeldet hat. Das Buch ist aus seiner Sicht, ähnlich einem Tagebuch, verfasst und spricht in einem seltsam sachlichen Ton über die Schrecken, Geschehnisse und den Alltag des Krieges. Der Leser erlebt also hautnah, wie es ist in den Schützengräben zu stehen und von der anderen Seite beschossen zu werden, sodass einen nichts außer der Zufall retten kann. Über das Buch hinweg sterben Pauls Freunde, ob durch Amputation verletzter Gliedmaßen, unglückliche Kugeln, Gas oder Granaten, und nachdem er ein Jahr an der Front gedient hat, fällt auch er. Doch sein Tod ist so insignifikant, dass er im Tagesbericht seines Offiziers noch nicht einmal erwähnt wird. Darin steht nur „Im Westen nichts Neues.“ und damit endet das Buch.
(Hier eine vollständige Rezension vom Literatur[handbuch] )
Dunkirk
In dem Film Dunkirk geht es um die Evakuierung englischer Soldaten aus der französischen Stadt Dünkirchen (engl. Dunkirk) im zweiten Weltkrieg. Interessant ist der Film besonders dadurch, dass er keiner festen Geschichte folgt sondern zeitlich frei zwischen drei verschiedenen Erzählsträngen hin und her schwingt. Zum einen folgt man einem einfachen Soldaten, der auf Evakuierung vom Strand hofft, dann einem Kampfpiloten, der die feindlichen Angriffe aus der Luft verhindern soll und zu guter Letzt auch einem Boot mit Zivilisten, die bei der Evakuierung helfen wollen.
Warum sind sich diese beiden Geschichten ähnlich?
Außer der Kriegsthematik scheinen sich die Geschichten Im Westen nichts Neues und Dunkirk auf den ersten Blick nicht sehr stark zu ähneln. Erich Maria Remarque hat selbst im ersten Weltkrieg gekämpft und auch wenn sein Buch keine Autobiographie ist, merkt man doch deutlich, dass seine persönliche Erfahrung in seine Geschichte eingeflossen ist. Auf der anderen Seite wurde Christopher Nolans Film Dunkirk dafür kritisiert, dass er sich nur marginal an den tatsächlichen Ereignissen der Evakuierung orientiert hat und die wichtigsten Spieler noch nicht einmal erwähnt wurden.
Wo ähneln sich die Geschichten dann?
Was mich bei beiden Geschichten fasziniert hat, war ihr Erzählstil. Das Gefühl, das die Erzähler vermitteln. Beide Male fühlte ich eine Mischung aus Grauen, Trauer, Angst und Hoffnung, dass es die Protagonisten vielleicht doch aus dieser Hölle schaffen könnten. Es ist eine Mischung, die es fast unmöglich macht, sich von der Geschichte zu trennen. Und gleichzeitig bekommt man niemals das Gefühl, dass der Erzähler irgendeine politische Agenda verfolgt.
In beiden Fällen wird eine Geschichte erzählt. Nicht mehr und nicht weniger. Die gesamte Wertung wird dem Leser überlassen. Niemandem wird die Schuld gegeben. Dennoch ist klar, was diese Geschichten bewirken wollen: Diese Schrecken will und kann man moralisch nicht verteidigen.
Über den Schrecken schreiben
Wie schaffst du es, diese Schrecken in deine eigenen Geschichten zu übertragen? Ich habe meine Analyse auf zwei Dinge reduziert: Den Erzählstil und die Figuren.
Der Erzählstil
„Es ist komisch […] wir sind doch hier, um unser Vaterland zu verteidigen. Aber die Franzosen sind doch auch da, um ihr Vaterland zu verteidigen. Wer hat nun Recht?“ – aus Im Westen nichts Neues
Auf die Frage „Wer hat Recht?“ sucht man in dem Buch vergebens eine Antwort. Die Frage wird von den Figuren angenommen, in den Raum gestellt und ohne Antwort stehen gelassen. Sie wissen es einfach nicht und das große Ganze ist auch nicht von Interesse. Und diese Form des Erzählens zieht sich durch das ganze Buch.
Fragen werden wertungslos in den Raum gestellt und höchstens mit einem „So ist es halt.“ beantwortet. Moralische Fragen werden von den Figuren unbeteiligt zur Seite geschoben, es zählt nur die eigene Erfahrung, die selten über das Wissen, was gerade im eigenen Schützengraben passiert hinausgeht. Oft wissen die Figuren noch nicht einmal das.
Stattdessen konzentrieren sich die Figuren auf die kleinstmöglichen Kleinigkeiten. Was und wann gibt es als nächstes zu essen? Ist mir warm oder kalt? Das müssen sie tun, um nicht verrückt zu werden. Dabei wird es nicht pompös oder heroisch. So etwas existiert in einer Welt aus Tod und Schrecken einfach nicht. Die „Helden“ sterben schnell und unfeierlich genau wie alle anderen auch. Es ist der Zufall, der entscheidet, wer lebt und stirbt. Die Figuren leben von geborgter Zeit.
Und das wird dem Leser von der ersten Seite an klar gemacht. Denn wenn er am Ende eine Sache wissen soll, dann ist es das: Jeder wird sterben. Und wie und wann es passiert, kann niemand vorhersagen.
Die Figuren
Die Wahl der Figuren ist weniger entscheidend als der Blick, den sie auf ihre Situation haben. Sie wissen von ihrer eigenen Machtlosigkeit und müssen sie vollkommen annehmen. Der Tod unterscheidet nicht zwischen dem Fußsoldaten und dem Offizier. Mit dieser erlebten Machtlosigkeit kommt ein übermächtiger Selbsterhaltungstrieb. Aber auch der wird nicht bewertet. Jeder hat ihn und jeder lebt ihn aus. Das ist nicht feige und auch nicht unehrenvoll. Wenn du jemand anderen unter Wasser drücken musst, um nicht zu ertrinken, und derjenige dann stirbt, dann ist das eben so. Die Figuren arbeiten sachlich und pragmatisch.
Sie freuen sich über Essen und über mögliche Pausen von der Front. Aber ihre Moralität haben sie mit Beginn des Krieges verloren. Auch emotionale Ausbrüche gibt es selten.
Von ihrer Gleichgültigkeit werden sie nur in Extremsituationen „erlöst“ und dort können sie dann Panik, Angst und Schmerzen fühlen. Wirkliche Freude, Gelassenheit, Erleichterung und Hoffnung findet sich nur bei den Neuankömmlingen und auch die stirbt schnell.
Abschluss
Ich möchte diesen Beitrag beenden mit einem Zitat, das ich vor einiger Zeit gefunden habe, aber bei dem ich den Autor nie feststellen konnte. Es fasst sehr schön zusammen, was für Gefühl du bei dem Schreiben von unsagbaren Schrecken treffen musst.
Empathy, Sacrifice, Loneliness, Delusions, Promises, Hatred and Confusion.
These feelings cause us to destroy all sanity we ever had in us.
– Unknown
Hast du Im Westen nichts Neues gelesen oder Dunkirk gesehen? Wie hast du diese Geschichten empfunden?