Eine Stadt aus der Vogelperspektive zu betrachten, kann dir eine Menge über die Stadt verraten. Wie ist das Klima dort? Wurde sie geplant oder ist sie natürlich entstanden? Außerdem kannst du aus ihrem Grundriss meistens auch ablesen, wie alt sie ist und manchmal sogar, ob sich große Herrscherwechsel vollzogen haben. Aber wie funktioniert das?
Natürliche vs. geplante Entwicklung
Eine Stadt entsteht nicht aus dem Nichts. Aber abgesehen von den im letzten Artikel zu Städten und Stadtplanung erläuterten Punkten, gibt es noch eine weitere Sache, die die Entwicklung der Stadt beeinflusst. Die Absicht. Viele Städte scheinen einfach „aus dem Boden zu wachsen“. Ihr Standpunkt wurde nie im Vorhinein analysiert und so ist die Stadt mehr oder weniger zufällig an einem Ort entstanden, der alle Voraussetzungen für den Standort einer Stadt erfüllt.
Aber es kann auch anders passieren: Vor allem wenn ein Standort von strategischer Bedeutung ist, dann entsteht die Stadt mit Vorsatz. Die Marktplätze, Kirchen oder andere Religionsstätten und Häuser können alle im Voraus geplant werden. Doch kann man diese beiden Entwicklungsweisen äußerlich voneinander unterscheiden?
Natürliche Entwicklung
Städte, die natürlich wachsen, sind „intuitiv“ an das Klima angepasst. Das kann sich unterschiedlich ausdrücken, aber dazu später mehr. Außerdem wirken sie oft durcheinander und ungeordnet. Logisch, sie sind ja auch nicht geplant. Das führt auch häufig dazu, dass wichtige Gebäude wie Kirchen/Tempel, Herrscherwohnsitze oder Markthallen irgendwo in die Stadt gestreut sind und sich nicht in ihrem Zentrum befinden.
Geplante Entwicklung
Die geplante Entwicklung ist, wonach es klingt. Im Idealfall liegt der gesamte Stadtplan vor, bevor der erste Stein für das erste Haus gelegt ist. In dieser Art des Bauens scheint das menschliche Bedürfnis nach Ordnung und Logik durch. Man sieht oft rechtwinklige Straßen und eindeutige Stadtzentren, die von wichtigen Gebäuden geprägt sind.
Die Mischung
Um ehrlich zu sein, gibt es wahrscheinlich keine Stadt, die pur natürlich oder pur geplant ist. Vielleicht hat sie als natürliche Stadt angefangen und nachdem sie eine gewisse Größe erreicht hat, sind mehr und mehr geplante Elemente eingeflossen. Oder sie begann mit einem geplanten Kern, an den ungeplant angebaut wurde. Alles ist möglich, nichts ist verboten. Trotzdem ist die Unterteilung nach geplanter und natürlicher Entwicklung hilfreich, um die Grundzüge deiner Stadt besser planen zu können.
Die Stadt aus der Vogelperspektive
Es gibt so viele Faktoren, die das Aussehen einer Stadt beeinflussen, dass es schwierig ist, einen geeigneten Anfangspunkt zu finden. Ich habe folgenden Ansatz gewählt: An einigen Beispielen aus existierenden Städten werde ich Zeichen für geplante und natürliche Entwicklung herausheben und dir so hoffentlich einige Anregungen verschaffen.
Versailles und die Bedeutung von Straßen
Das Schloss Versailles war bis zum Ausbruch der französischen Revolution die Residenz der Könige in Frankreich. Wie in meiner Zeichnung zu erkennen ist, führen alle großen Hauptstraßen der Stadt zu dem Palast. Damit ist klar, dass der Fokus der gesamten Stadt auf dem Schloss liegen soll. Versaille ist eine Königsstadt und das soll jeder Einwohner und Besucher sofort sehen. Ein netter Nebeneffekt: Als mit Tod von Louis XIV der Begriff des „Sonnenkönigs“ eingeführt wurde, bekamen diese strahlenförmigen Straßen eine zweite Bedeutung. Die Stadt selbst wurde zu einer Repräsentation der Sonne.
Normalerweise würde ich jedem Schreiberling raten, so offensichtliche Bilder zu vermeiden, aber in Maßen eingesetzt, können sie große Wirkung entfalten.
Damaskus, der Einfluss von Klima und die Trennung von Neu und Alt
Wenn man sich die Stadt aus der Vogelperspektive anschaut (mittels Google Maps), wird es einem nicht auffallen, weil die Straßen zu klein sind, um eingezeichnet zu sein. Aber weil Damaskus eine uralte Stadt ist, lassen sich spannende Dinge beobachten. Auf meiner nachgemalten und vereinfachten Karte, die eine Approximation dieser Karte ist, lässt sich Folgendes erkennen:
Die Altstadt ist noch von einer Stadtmauer umgeben und trennt damit den ältesten Teil der Stadt von den moderneren. Für das Klima, das in Damaskus herrscht, ist seine Altstadt perfekt gerüstet. Enge und verwinkelte Straßen sorgen dafür, dass überall Schatten ist. Außerdem kann so auch der heiße Wind nicht die Bewohner der Stadt erreichen. Spannenderweise gibt es keine offenen Marktplätze wie man sie aus dem europäischen Raum mit gemäßigterem Klima kennt. Der Handel findet auf den engen Straßen statt, oft direkt aus den Häusern heraus. Auch wie die Häuser gebaut sind, trägt zur Kühlung der Stadt bei. Stein und Lehm heizen sich nur langsam auf und geben über den Tag ihre Kälte ab. Und und und. Mit den verschiedenen Strategien könnte man ganze Bücher füllen. Ich bin begeistert.
Eine weitere interesssante Beobachtung: Außerhalb der Stadtmauer werden die Straßen breiter und die Viertel geordneter (lese: rechtwinkliger). Sogar offene Kreisverkehre sind zu sehen. Aber warum? In unseren modernen Zeiten ist es nicht mehr so wichtig, die Außentemperaturen zu beachten. Mittels Klimaanlagen kann künstlich nachkorrigiert werden und auf den Straßen, die nicht länger zu Fuß bestritten werden müssen, kann der Fahrtwind oder wieder eine Klimaanlage helfen.
Von Damaskus kannst du also lernen: Die älteren Teile deiner Stadt können sich stark von den moderneren unterscheiden. Diese Unterscheidungen können durch Fortschritte in der Wissenschaft oder auch durch den Einfluss von neuen Kulturen und somit neuen Traditionen entstehen.
Die Römer und der ultimative Plan
Die Römer haben es mit ihrer Stadtplanung, wie auch mit den meisten anderen Dingen, sehr ernst genommen. Angelehnt an den Aufbau ihrer Militärlager – die an jedem Standort gleich aufgebaut waren, damit sich die Soldaten immer zurechtfanden – haben sie ihren Organisationswahn auch auf ihre Städte ausgeweitet. Wenn man die Stadt aus der Vogelperspektive betrachtet, erkennt man schachbrettartige Straßen und zwei breite Hauptstraßen, die sich in der Mitte kreuzten. Im Mittelpunkt das Forum, Tempel, die Markthalle und die meisten öffentlichen Gebäude.
Perfekt geordnet.
Dennoch ist mir keine Stadt bekannt, die tatsächlich nach diesem Plan gebaut wurde. Das zeigt dir: Auch eine perfekt geplante Stadt, wird sich am Ende von ihrem ursprünglichen Konzept unterscheiden.
Ein Wort zum Abschluss
Das Schwierige, wenn man bestimmte Trends in dem Aufbau von Städten identifizieren möchte, ist, dass Dinge wie z.B. enge Straßen nie nur auf einen Faktor zurückzuführen sind. Das hat für dich als Weltenbauer aber etwas Gutes. Allein wegen dieser Komplexität und Vielzahl an Faktoren, ist dir eine gewisse Freiheit in deinen Entscheidungen gegeben. Es wird wahrscheinlich nicht passieren, dass du dich für die Straßenführung in deiner Stadt rechtfertigen musst. Deswegen wird es ausreichen, wenn du dir obeflächliche Gründe für deine Entscheidungen gewählt hast.
Also: Wähle den Aufbau deiner Stadt so, dass er repräsentativ für die Kultur und ihr Denken ist.
Beim nächsten Mal werden wir ein ganz neues Thema anschneiden: Religion und Weltenbau.