Gute Chemie zwischen deinen Figuren – Wie geht das?

Ob du einen Liebesroman schreibst oder einfach nur eine tiefe Freundschaft darstellen möchtest, Chemie zwischen deinen Figuren ist eine wichtige Grundlage. Denn echte Beziehungen lassen deine Welt realistischer erscheinen.  Aber wie sieht gute Chemie eigentlich aus?

Was meine ich mit Chemie?

Als Chemie bezeichne ich im Folgenden die ungezwungene Interaktion zwischen deinen Figuren, die ein sicheres Anzeichen für eine tiefe Freundschaft oder auch beginnende romantische Beziehung ist. Hierbei ist es wichtig, dass ich bei der Chemie nicht zwischen einer romantischen und freundschaftlichen Beziehung unterscheide. Eine gute romantische Beziehung sollte im Idealfall die meisten (wenn nicht alle) Aspekte einer Freundschaft haben. Und letztendlich soll mit der Chemie zwischen deinen Figuren nur eines erreicht werden: Deine Leser sollen spüren, dass deine Figuren zusammenpassen. Ob das im freundschatlichen oder im romantischen zutrifft, ist dabei zweitrangig.

Das Verhalten untereinander

Die stärksten Freundschaften beginnen oft schon in der frühen Kindheit.

So banal es auch klingt: Um zu zeigen, dass Figuren Chemie haben, müssen sie zeigen, dass sie sich in der Anwesenheit der anderen Person wohl fühlen. Sie müssen ihre Anerkennung/Liebe deutlich zeigen. Das kann sich je nach Persönlichkeit deiner Figuren unterschiedlich ausdrücken. Hier eine unvollständige Liste mit Ideen:

1. Orientierung an anderer Figur.

Wenn man sich bei einer Person wohl fühlt, dann zeigt man das instinktiv, indem man sich in ihrer Nähe aufhält. Das kann sich dadurch äußern, dass sie in Gruppen nebeneinander stehen. Oder auch, dass sie ganz natürlich den Arm umeinander legen, sich berühren – Berührung muss nicht immer romantisch sein! – oder einfach nur anschauen.
Ein interessanter Effekt: Wenn eine Person Bestätigung sucht, dann schaut sie instinktiv zu der Person, die sie am liebsten mag. Um also zu zeigen, dass zwei Personen auf der selben Wellenlänge sind, ist es sinnvoll, wenn sie sich in solchen Situationen gegenseitig anschauen.

2. Freundschaftliches Necken.

Wer kennt nicht die Stadien der Freundschaft: Man ist sich sympathisch. Man redet miteinander. Dann unternimmt man viele Dinge miteinander. Man vertraut sich sein Innerstes an. Und zu guter Letzt fühlt sich so wohl beieinander, dass man sich gegenseitig wüst „beschimpfen“ kann, ohne Angst zu haben, dass es falsch verstanden wird. Nichts zeigt deinem Leser schneller als eine „Jo, Bitch!“-Begrüßung, dass sich zwei Figuren nahe stehen. Natürlich sollte sie zu der Dynamik der Figuren passen, aber ich denke, es ist klar, worauf ich hinaus will.

3. „Gedanken lesen.“

Gute Freunde entwickeln eine eigene Sprache untereinander. Damit meine ich keine eigenen Worte (obwohl das auch passieren kann), sondern die nonverbalen Zeichen, die instinktiv verstanden werden. Auf Uneingeweihte mag dies tatsächlich wie Gedankenlesen wirken, denn viele kennen diesen Effekt nur von Geschwistern oder Zwillingen. Doch wenn sogar Freunde untereinander „Gedanken lesen“ können, demonstriert das, wie nah sie sich stehen und wie viel Zeit sie schon miteinander verbracht haben müssen.

Zwei Figuren, die man für Geschwister halten könnte, sind ein starkes Zeichen für gute Chemie. (Allerdings weniger erstrebenswert, wenn es sich um eine romantische Beziehung handeln sollte.)

4. Vertrauen.

Vertrauen ist eine komplexe Emotion, die auf viele unterschiedliche Weise gebaut werden kann. Sie benötigt eine Grundlage aus Hoffnung oder Glauben, dass der Gegenüber das – höchst subjektive – „Richtige“ macht. Je mehr Risiko eine Situation mit sich bringt, desto stärker muss das Vertrauen in die andere Person sein.

Vertrauen entsteht in Situationen, in denen der Vertrauende mehr verlieren als gewinnen kann. Er riskiert zum Beispiel einen Schaden oder eine Verletzung, indem er sich auf die andere Person verlässt. Das kann mit kleinen Dingen beginnen („Ich vertraue dir, dass du daran denkst, die Materialien für unseren Vortrag mitzunehmen.“) und langsam zu größeren Vertrauensbeweisen eskalieren.
Vertrauen manifestiert sich aber auch in Handlungen, die den Vertrauenden (emotional) verletzlich machen, wie zum Beispiel das Anvertrauen eines Geheimnisses.

Sobald das Vertrauen auf so eine Weise demonstriert wurde, ist der Gegenüber auch deutlich bereiter, sich selbst zu öffnen und anzuvertrauen. So entsteht ein hin und her des Vertrauens, das letztendlich dazu führt, dass sich beide Figuren immer näher fühlen.

5. Frei Reden.

Meine persönlich liebste Art Chemie zu zeigen, ist wenn die Figuren voreinander vollkommen frei reden. Das können sie tun, weil sie keine Angst haben, von der anderen Person verurteilt zu werden. Sie trauen sich komplett offen voreinander zu sein und ihre Meinung selbstbewusst zu vertreten. Gleichzeitig sollte die Meinung von der Anderen Person akzeptiert werden.

Vor seinen wahren Freunden, muss man sich nicht verstellen oder seinen eigenen Mund verbieten.

Diese Kombination aus Ehrlichkeit und Akzeptanz kann wunderbar starke Szenen schaffen, die das Innenleben deiner Figuren beinahe perfekt zeigen kann. Das ist für den Leser schön und für die Figuren ebenso, muss aber sparsam eingesetzt werden, um seine Wirkung zu entfalten. (Wie du fesselnde Dialoge schreibst, kannst du übrigens hier lernen.)

Gemeinsamkeiten und Grenzen

Wenn du die Möglichkeit hast, entweder eine Gemeinsamkeit zwischen zwei Figuren zu zeigen oder ihre Grenzen zu demonstrieren, rate ich immer zuerst zu den Grenzen. Gute Chemie zeigt sich dadurch, dass die Figuren ihre gegenseitigen körperlichen, emotionalen und moralischen Grenzen kennen (lernen).

Die Grenzen des Anderen zu wissen und zu akzeptieren zeigt, dass sich die Figuren respektieren. Und Respekt impliziert zu einem gewissen Grad auch Vertrauen. Es demonstriert außerdem, dass sich die Figuren gut kennen und mit den Eigenheiten des Anderen umgehen können Zusätzlich bieten Grenzen auch bei Figuren, die sich gut verstehen, Konfliktpotential, das deine Geschichte vorantreiben kann.

Gemeinsamkeiten können zeigen, dass deine Figuren auf einer Wellenlänge sind und sich ergänzen. Das Konfliktpotential bleibt allerdings aus.

Ein Beispiel

In meinem aktuellen Fantasy Manuskript geht es um die Freundschaft zwischen Rouka und Tomo. Seit ihrer Kindheit sind sie beste Freunde und genau das versuche ich in jeder ihrer Interaktionen zu betonen. Hier könnt ihr einen kleinen Auszug lesen, der hoffentlich einige meiner oben genannten Ideen demonstriert.

»Was ist los?«, fragte Tomo.
Rouka drehte sich zu ihm um und zog die Bettdecke ein wenig höher. »Was soll los sein?«
Er sah müde aus.
»Du hast beim Abendessen gar nichts gegessen. Freust du dich nicht auf morgen? Wir haben Unterricht zusammen!«, versuchte Tomo, ihn aufzumuntern.
»Nein, doch. Ich freue mich«, sagte Rouka und drehte sich von ihm weg.
Die Sonne war bereits untergegangen und das Zimmer lag in grauem Dämmerlicht. Geduldig wartete Tomo, dass Rouka erneut das Wort ergreifen würde, aber es drangen nur die gedämpften Unterhaltungen ihrer Mitschüler durch die Wände.
»Willst du darüber reden?«, fragte er schließlich.
Sein Freund rührte sich nicht.
»Rouka?«, hakte Tomo behutsam nach.
Wieder gab es eine lange Pause. Der dürre Junge atmete stockend und angestrengt. »Ich–«, begann er und seine Stimme brach. Er räusperte sich, machte jedoch keine Anstalten sich zu Tomo umzudrehen. »Ich«, er klang nun gesammelter, »Ich war im Krankensaal und habe die Magier gefragt, ob sie mich heilen können.« Er schwieg wieder.
Roukas Zurückhaltung konnte nur Eines bedeuten: Die Magier waren machtlos. Leise schlüpfte Tomo unter der Decke hervor und kniete sich neben ihn.
»Was kann ich für dich tun?« Er legte ihm eine Hand auf die Schulter und spürte, wie Rouka von lautlosen Schluchzern geschüttelt wurde. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals. »Vielleicht können wir noch jemand Anderes fragen. Vielleicht–«
»Geh weg«, flüsterte Rouka.
»Rouka, ich–«
»Bitte, geh. Ich möchte allein sein.«
Tomo senkte den Kopf. Wortlos zog er die Schuhe an und schlüpfte aus dem Zimmer. Als er die Tür hinter sich schloss, hörte er Rouka leise weinen.

 


Was sind deine Lieblingsmethoden, Chemie zwischen Figuren zu zeigen?

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2 Replies to “Gute Chemie zwischen deinen Figuren – Wie geht das?”

  1. Yvonne says:

    Liebe Sina,
    ich finde das einen richtig tollen Beitrag, der mir super weiter hilft, weil ich eine Reihe über vier Freundinnen schreibe und zum zweiten möchte ich dir sagen, dass ich dein Beispiel großartig finde. Da merkt man sofort, dass die beiden sich schon länger kennen und das sie befreundet sind und deine Beispiele kommen im Text vor! Oh und ich möchte das bitte weiter lesen 😀
    Ganz liebe Grüße
    Yvonne 🙂

    Antworten
    1. Sina Bennhardt says:

      Liebe Yvonne, ich bedanke mich immer bei dir, weil du so liebe Kommentare schreibst und ich kann mich nur wiederholen! Kommentare wie deine sind der Grund, warum ich diese Artikel noch schreibe und nicht schon längst aufgehört habe. Mir geht richtig das Herz auf, wenn ich von dir lese <3
      Vor allem, dass du mein Beispiel toll findest, freut mich extrem!!
      Das Manuskript, aus dem dieser Ausschnitt stammt, liegt zur Zeit zwei Verlagen vor und wenn ich Glück habe, wird es vielleicht angenommen. Und dann kannst du noch ganz viel von Tomo und Rouka lesen 🙂
      Ganz liebe Grüße, Sina 🙂

      Antworten

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