Fiktion und vor allem Fantasy wird gerne interpretiert und analysiert. Die Fragen sind vielfältig: Wo kommt die Inspiration des Autors her? Gibt es Parallelen zur „echten“ Welt? Und was wollte der Autor eigentlich sagen? Man kann sich lange mit diesen Fragen beschäftigen und versuchen Antworten zu finden. Aber was, wenn sich der Autor gegen diese Analysen wehrt?
Hat der Autor in solchen Diskussionen ein Vetorecht gegen bestimmte Meinungen?
Der zweite Weltkrieg, Mittelerde und der Autor
Die Herr der Ringe Bücher wurden 1954 veröffentlicht, kaum zehn Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, und die Thematik lässt eine Verbindung vermuten. Tolkien hat sich allerdings gegen diese Interpretation gewehrt:
“I cordially dislike allegory in all its manifestations, and always have done so since I grew old and wary enough to detect its presence. I much prefer history – true or feigned– with its varied applicability to the thought and experience of readers. I think that many confuse applicability with allegory, but the one resides in the freedom of the reader, and the other in the purposed domination of the author.”
Tolkien stellt also die Gedankenfreiheit des Lesers über den Kontrollwahn des Autors. Trotzdem bestand er darauf, dass Herr der Ringe ganz seiner Fantasie entsprungen sei und keine Wurzeln in aktuellen Ereignissen habe.
Es lässt sich dennoch nicht abstreiten, dass die Übertragung von Herr der Ringe auf den zweiten Weltkrieg außerordentlich gut funktioniert. Saruman als Hitler, die freien Völker als die Alliierten, Sam als einfacher Soldat und Frodo als sein Vorgesetzter. Ich könnte die Vergleiche endlos fortsetzen. Wenn die Interpretation so gut funktioniert, warum sollte sie dann nicht stimmen?
Ist es überhaupt relevant, dass Tolkien sagt, dass sein Werk keine Metapher ist?
Bewusstes und Unterbewusstes Schreiben
Ich, als europäische Frau Mitte zwanzig, bringe in jede meiner Geschichten meine eigenen moralischen Vorstellungen, Meinungen, Vorurteile und Erfahrungen ein.
Bewusstes Schreiben – Das sind für mich die geplanten Punkte der Geschichte. Der Plot, das Setting, die Figuren, das Thema, die Spannungskurve… Eben alles, worüber man sich von Anfang an Gedanken gemacht hat.
Unterbewusstes Schreiben – Das sind die Sachen, die die Lücken füllen. Diese kleinen Momententscheidungen, die scheinbar gar keine Bedeutung oder Einfluss auf den Plot haben. Zum Beispiel (ohne die Entscheidung in irgendeiner Weise werten zu wollen), dass viele (Liebes)Romane damit enden, dass das Pärchen am Ende Kinder bekommt/plant.
Das Heilmittel? Gibt es nicht wirklich. Braucht es auch nicht. Nicht alle unterbewussten Entscheidungen sind schlecht oder „falsch“, sondern einfach ein weiterer Teil der Geschichte. Du musst dir nur im Klaren darüber sein, dass deine Geschichte analysiert werden wird.
Fazit
Der Autor hat natürlich immer das Recht zu sagen, was er mit seiner Geschichte ausdrücken wollte. Trotzdem wandert bei den 80.000 bis 100.000 Worten des durchschnittlichen Romans viel Unterbewusstes auf die Seiten. Die Leser haben die Möglichkeit das Werk aus einem objektiveren Blickwinkel zu betrachten als der Autor und können so Sachverhalte aufdecken, die vielleicht gar nicht bedacht waren.
Ich halte es (aus der Sicht einer Schreibenden) für besonders wichtig für jegliche Art der Interpretation ein offenes Ohr zu haben. Auch wenn man ihnen persönlich nicht zustimmt, ist es definitiv wichtig zu wissen, welche Art der Assoziationen seine Geschichten hervorrufen.
Was meint ihr? Darf der Autor das letzte Wort in der Interpretation seines Werkes haben? Oder steckt so viel Unterbewusstes in einem Buch, dass selbst dem Autor das eigentliche Thema entgehen kann?
Hallo Sina,
danke für den Artikel. Du sprichst mir damit in weiten Teilen aus der Seele. Wir Menschen sind nie objektiv. Wir neigen dazu, unsere Erfahrungen absolut zu stellen und als normal zu anzusehen. Als Autor*innen können uns zwar bemühen, fremde Erfahrungen aufzugreifen und in unsere Werke einfließen zu lassen. Trotzdem bleiben blinde Flecke. Wir können nicht alles recherchieren. Wir wissen teilweise gar nicht, dass es etwas gibt, das recherchiert werden müsste. Und wenn wir Fantastik schreiben, können wir unsere Welten ohnehin so schaffen, wie wir wollen. Gerade im Weltenbau und der Wahl der Konflikte zeigt sich daher oft die Weltsicht des/der Schöpfer*in.
Genau das Gleiche gilt aber auch bei der Rezeption. Auch Leser*innen sind nicht objektiv, sondern füllen die Leerstellen in der Erzählung mit ihren eigenen Erfahrungen und Erwartungen. Daher ist es für mich ganz logisch, dass die Interpretation in Teilen von der Intention abweicht. Als Autor*in kann man sich dann natürlich hinstellen und versuchen, zu erklären, was man eigentlich gemeint hat. Aber für sinnvoll halte ich das nicht. Besser ist es, zu sich zu fragen, warum man so und nicht anders interpretiert wurde – und zu überlegen, wie man Missverständnisse vermeidet, wenn die Abweichung zu groß wird.
Danke für deinen langen Kommentar 🙂
Du hast vollkommen Recht, die Frage nach dem *warum* ist bei der abweichenden Interpretation von Autor*in und Leser*in besonders interessant. Dabei kann man als Schaffender/Kreativer tatsächlich eine ganze Menge über sich selbst lernen.
Ein interessanter Beitrag!
Ich gehe schon davon aus, dass mehr in jedem Text steckt als das, was die einzelnen Wort sagen. Bestimmt soll bewusst oder unterbewusst den Lesern etwas gesagt werden, über Fallstricke einer Beziehung, darüber, was Kindheitserlebnisse bei Erwachsenen verursachen können, wie man sich selbst verleugnet oder wieder entdeckt und so weiter.
Ich bin aber auch fest überzeugt, dass man mit einem Buch bei vielen Lesern Gedanken und Empfindungen auslöst, die man so überhaupt nicht beabsichtigt hat. Weil man einen Nerv beim Leser trifft, ganz zufällig, und ihn oder sie da auf ganz eigene Erfahrungen zurückgreifen lässt, von denen der Autor bzw. die Autorin gar nichts wusste.
Ich finde, ein Buch lässt man frei, wenn es fertig geschrieben ist. Und wen es wie beeinflusst, kann man nur bedingt vorhersehen. Wenn es klappt wie geplant, wunderbar. Aber viel interessanter finde ich tatsächlich, wenn unerwartete Dinge beim Leser passieren. Und die sind dann genauso gut und richtig wie die beabsichtigten.
Deshalb muss keiner „Angst“ vor einer Interpretation seines Buches haben. Denn man kann nichts falsch oder richtig interpretieren und alles, was ein Buch auslöst, hat seine Berechtigung. So sehe ich es jedenfalls – und das gibt Autoren, Lesern und Bloggern jede Menge Freiheit, ein Buch auf sich wirken zu lassen.
Liebe #Bloggernetzwerk-Grüße von
Gabi
Danke für deinen langen Kommentar! 🙂
Ich tue mich immer schwer, auf so lange Gedanken angemessen zu antworten. Du hast absolut Recht, man lässt ein Buch frei, sobald man es fertig geschrieben hat und ab diesem Zeitpunkt kann man eigentlich nur noch beobachten, wie es bei anderen ankommt.
Auch das Beobachten kann eine spannende Aufgabe sein, ber der man bestimmt noch viel über sich selber lernen kann.