[Worldbuilding] Deine eigene Sprache – Tempus und Aspekt

Wenn du damit fertig bist, die Struktur der Substantive deiner Sprache zu bauen, kannst du dich deinen Verben zuwenden. Beim Bauen deiner Verben solltest du drei Teilbereiche im Kopf behalten: Das Tempus, den Modus und den Aspekt. Was diese drei Unterbereiche bedeuten und wie du sie für deine Sprache nutzen kannst, werde ich dir in diesem und dem nächsten Artikel erklären.

Was sind Tempus, Modus und Aspekt?

Das Tempus wird immer relativ zu dem Zeitpunkt des Aussprechens gesehen.

Das Tempus (lat. Zeitspanne, Zeit, Zeitabschnitt; Plural: Tempora) ist eine grammatische Kategorie, die die zeitliche Lage einer Situation angibt. Die Grundformen des Tempus sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Allerdings es gibt viele Sprachen mit mehr oder mit weniger Unterscheidungen.

Der Modus (lat. Maß, Art und Weise; Plural: Modi) zeigt an, wie der Sprecher zu der Aussage bzw. der Realisierung der Aussage steht. Dabei wird meist unterschieden nach Indikativ und Konjunktiv, doch es gibt zahlreiche weitere Modi, auf die ich später eingehen werde.

Der Aspekt (lat. Blickrichtung) beschreibt die Ausdehnung eines Ereignisses. Dabei wird meist nach einer abgeschlossenen, nicht abgeschlossenen und manchmal auch andauernden Handlung unterschieden. Gerade bei Aspekt und Tempus gibt es in vielen Sprachen Überschneidungen. Manchmal fällt der Aspekt als grammatische Kategorie auch ganz weg und wird mit Hilfe von Anzeigewörtern ausgedrückt. Im Deutschen gibt es beispielsweise keinen Aspekt, sondern er wird mit Wörtern wie immer oder gerade angezeigt.

Der Gebrauch von Tempus

Das Schöne am Tempus ist: Es ist vollkommen optional. Jede Zeiteinteilung lässt sich mit Hilfswörtern darstellen, ohne dass deine Sprache komplexer wird. (Bsp. „Ich lese gestern.“ oder „Ich lese morgen.“ für eine einfache Vergangeinheits- bzw. Zukunftsform) Wenn du deinen Tempus auf diese Weise anzeigen möchtest, dann wird dein Verb stets im Infinitv stehen und die Zeiten werden mit deinen Hilfswörtern angezeigt. Theoretisch könntest du also an diesem Punkt das Tempus schon abgearbeitet haben.

Zwei Tempora

Die nächst-einfache Option ist die Einteilung nach Zukunft und Nicht-Zukunft. Zu der Nicht-Zukunft zählt alles, was – wer hätte es gedacht? – nicht zu der Zukunft gehört. Also Gegenwart und Vergangenheit in allen ihren Formen. Natürlich geht die Einteilung auch anders herum nach Vergangenheit und Nicht-Vergangenheit. Hier solltest du dir überlegen, ob Zukunft oder Vergangenheit in deiner Kultur wichtiger ist und somit seine eigene Verbform bekommt. Die bekannteste Sprache, die (grammatisch!!) nur nach Vergangenheit und Nicht-Vergangenheit einordnet ist Englisch.

Du magst dir jetzt denken, dass Englisch aber eine Zukunftsform besitzt, namentlich die will- und going-to-Future. Aber hier kommt der entscheidende Punkt: Die Verben in der Zukunftsform werden nicht gebeugt, stattdessen wird mit den Hilfsverben will und going to gearbeitet. Genau das ist der Punkt. Die Vergangenheitsform bekommt speziell gebeugte Verben. Präsens und Zukunft hingegen teilen sich eine Verbform. Also: Nur zwei grammatische Tempora. Im sprachlichen Gebrauch kann Englisch natürlich trotzdem deutlich mehr Zeiten ausdrücken.

3+ Tempora

Das Bild führt dich direkt zu dem einem englischen Video mit vielen wunderbaren Beispielen für verschiedene Tempusformen.

Wie bei allen Sprachbesonderheiten kannst du aber auch beim Tempus beliebig komplex werden. Du kannst eigene Tempora für den Tag, die Woche und den Monat vorher und/oder in der Zukunft entwerfen. Die Zeiteinheiten kannst du tatsächlich beliebig wählen, am Besten aber nach Einteilungen, die in der Kultur deiner Welt Sinn ergeben. Eine interessante Beobachtung: Wenn eine Sprache viele Tempora hat, dann hat sie meist mehr Tempusformen für die Vergangenheit, als für die Zukunft. Im Grunde ist das auch sehr logisch. Über die Vergangenheit lässt sich detaillierter und präziser sprechen, weil es schon passiert ist. Über die Zukunft kann man nur spekulieren oder planen, aber letztendlich ist sie wandelbar und benötig somit weniger Tempusformen.

Mein Tipp: Auch wenn viele Tempusformen spannend sind, beschränke dich am Besten auf die, die gebraucht werden. Vieles lässt sich mit Hilfsverben oder -wörtern lösen. Nutze deine Zeit beim Entwickeln deiner Sprache sinnvoll.

Für einige wahnsinnig interessante Beispiele für verschiedene Tempuseinteilungen, kannst du hier auf den Link zu einem Video von Artefexian klicken. Dort wird das Tempus in verschiedenen Sprachen erklärt. Eine super Quelle für Inspiration für deine eigene Sprache!

Perfektiver und Imperfektiver Aspekt

Wie oben schon beschrieben, zeigt der Aspekt die Ausdehnung einer Handlung oder eines Ereignisses an. Dabei wird unterschieden nach dem andauernden (imperfektivem) und abgeschlossenem (perfektivem) Aspekt. Was sie anzeigen, ist im Namen:

Der Imperfektive Aspekt zeigt an, dass eine Handlung andauernd, unabgeschlossen oder wiederholt stattfindet. Beispiele zu zeigen ist schwierig, da es im Deutschen keinen grammatischen Aspekt gibt. Aber in einem Satz wie „Ich gehe jede Woche zu Schule.“ würde das Verb ein Imperfektiven Aspekt anzeigen, weil das zur Schule Gehen wiederholt passiert.
Scheue dich nicht davor, den Imperfektiven Aspekt in deiner Sprache unterschiedlich darzustellen, wenn die Intention deines Sprechers unterschiedlich ist. Vielleicht möchtest du eine eigene Verbmarkierung für unabänderliche Zyklen haben (denke Tag-Nacht-Rhythmus oder ähnliches). Oder baue eine Verbmarkierung, die die Unabgeschlossenheit eines Ereignisses betont. Lass deiner Kreativität freien Lauf.

Der Perfektive Aspekt hingegen zeigt an, dass eine Handlung abgeschlossen, einmalig, überschaubar oder in sich geschlossen ist. Hier ein Hinweis: Den Perfektivischen Aspekt gibt es soweit ich weiß nicht im Präsens. Kein Wunder, denn wenn etwas im Präsens passiert, kann es nicht abgeschlossen sein.

Auch beim Aspekt stellt sich die Frage, ob du ihn tatsächlich als grammatisches Konstrukt für deine Sprache brauchst. Die Antwort ist offensichtlich: nein. Das Deutsche hat schließlich auch keinen Aspekt und funktioniert wunderbar mit einigen Hilfwörtern.

Tempus und Aspekt kombinieren

Wenn es dir so geht wie mir, dann ist ein großes Ziel in der Erstellung einer eigenen Sprache, dass sie sich anfühlt wie eine Sprache, die unter anderen Umständen auch in unserer Welt existieren könnte. Deswegen solltest du die grammatischen Kategorien nicht nur als unabhängige Teile eines Puzzles betrachten sondern als Teilstücke, die sich gegenseitig beeinflussen.

Überlege dir gut an welchen Stellen sich dein Aspekt und Tempus überschneiden. Könnte eine bestimmte Tempusform auch einen bestimmten Aspekt implizieren? Gibt es alle unterschiedlichen Aspekte auch in allen Zeitformen oder ergeben bestimmte Kobinationen einfach keinen Sinn?

Für die Natürlichkeit deiner Sprache gilt außerdem: Wenn du sowohl Aspekt als auch Tempus am Verb markierst, dann ist es für die Sprache sinnvoller eine „neue“ Markierung hervorzubringen, als zwei unterschiedliche einfach hintereinander zu stellen. Anstatt also nur kopflos Suffixe oder Präfixe aneinanderzureihen kannst du schauen, ob du sie vielleicht zu einer neuen Markierung verschmelzen kannst. (Wie Wortverschmelzungen passieren, kannst du in meinem Artikel Realistische Namen für Stadt, Land & Fluss nachlesen.)

 


Zugegebenermaßen war das hier nur ein oberflächlicher Blick auf das Tempus und den Aspekt der Verben. Auch hier lernst du am schnellsten durch das Ausprobieren. Das nächste Mal werde ich über den Modus deiner Verben schreiben.

Teilen mit:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert