Ein Tabu des Schreibens: Der Autor in seiner eigenen Geschichte

Das wohl größte Tabu in der schreibenden Welt ist das sogenannte self-insert, also eine Figur, die offensichtlich der Autor ist. Ihre Beschreibung entspricht dem idealisierten Aussehen und Persönlichkeit des Autors und oft ist auch der Name nicht allzu weit von dem des Verfassers entfernt. Dem Leser hinterlassen diese Figuren meisten einen fahlen Geschmack im Mund, erinnern sie doch zu sehr an eine Mary Sue (oder einen Gary Stu).

Ich möchte den self-insert (bis zu einem gewissen Grad) verteidigen, denn ich bin der festen Überzeugung, dass im Kern dieses self-inserts eine nicht zu unterschätzende Taktik für das Entwickeln von Figuren liegt.

Woher kommen deine Figuren?

Es gibt 1001 Möglichkeiten Figuren zu entwickeln. Ich z.B. habe meist eine Szene im Kopf, die mit Recht eindimensionalen Figuren besiedelt ist. Dann werfe ich diese Figuren in immer mehr Szenen, bis ich ein Gefühl für sie bekomme und schließlich intuitiv weiß, wie sich diese Figuren verhalten würden.
Doch diese Methode ist nicht der einzige Weg. Ob du dich an Archetypen orientierst, deine Figuren nach einem festen Schema erstellst oder du es noch ganz anders machst, wichtig ist erst einmal, dass du dich selbst in deine Figuren einfühlen kannst und sie verstehst. Denn nur so entstehen glaubwürdige und lebendige Figuren.

Wie verpackst du das Tabu, damit es kein Tabu bleibt?

Jeder der schon ein bisschen Schreiberfahrung gesammelt hat, kennt diese Frage.

„Und? Welche deiner Figuren bist du?“

Wenn ich es schaffe, mir eine sarkastische Antwort zu verkneifen, dann ist meine Antwort: Alle und keine. Und schon haben wir den Kern meiner Figurenentwicklung erreicht.

Wichtig bei dieser Methode ist, dass es bei einem winzigen Ausschnitt deiner Persönlichkeit bleibt.

Such dir einen Aspekt deiner eigenen Persönlichkeit aus und es ist egal ob er „gut“ oder „schlecht“ ist. Dieses Persönlichkeitsattribut wird dann ein bezeichnender Teil des Charakters einer deiner Figur. Dabei ist es sehr wichtig, dass du ehrlich bleibst, denn – wie oben schon erwähnt – willst du nicht in die Falle der Mary Sue rutschen.

Ein Beispiel: In meinem aktuellen (unveröffentlichtem) Buch gibt es eine Figur namens Ronal. Er ist eine durch und durch unsympathische Person. Von Adel, spricht auf alle herab und hat leider genug Talent, um sein Verhalten zumindest ein wenig zu untermauern. Was ihn am meisten ausmacht, ist seine Arroganz. Ein ehrlicher Blick nach Innen sagt mir, dass ich hin und wieder zur Arroganz neige. So kann ich viele der Gedankengänge, die Ronal habe würde, nicht nur entscheiden sondern sogar nachfühlen. Ich kann ihn also als Splitter meiner eigenen Persönlichkeit betrachten. Damit wird Ronal als Figur glaubwürdiger, weil ich in der Lage bin, feine Nuancen in seine Szenen einzubringen.

Schritt für Schritt

Wie gehe ich bei meiner Figurenentwicklung vor?

  1. Es beginnt mit einer Szene.
    Solange du kein Schreiberling bist, der seine Geschichte „sucht“ – also keinen festen Plan hat, wer vorkommt oder was passiert – dann wirst du schon zu Anfang Ideen haben, wie sich deine Figuren verhalten und entscheiden. Ich versuche diese erste Ahnung auf eine besonders aussagekräftige Szene zu reduzieren, um die Figur besser zu erkunden.
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  2. Ein Teil meiner Persönlichkeit.
    Was sagt diese oben genannte Szene über meine Figur aus? Und enthält sie vielleicht schon einen Teil meiner Persönlichkeit? Wenn nicht, dann ist es an dieser Stelle Zeit, ihr eine dir bekannte Charaktereigenschaft zu geben. So kannst du die Figur auch wenn sie sich im Laufe der Geschichte verändern sollte, immer noch nachvollziehen und in ihre Entscheidungen einfühlen.
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  3. Der Hintergrund der Figur.
    Als nächstes lässt du die ausgedachte Szene außen vor und setzt dich an den Hintergrund der Figur. Wer sind ihre Freunde und wie hat es sie beeinflusst? Was ist mit der Kindheit? Auf welche Werte haben die Eltern gepocht? Hat deine Figur diese Werte angenommen oder rebelliert? Gab es einschneidende Ereignisse in dem Leben der Figur? Hat die Figur Geheimnisse? Und so weiter und so fort. Du kannst diese Fragen endlos forsetzen. Aber im Grunde ist die Frage eigentlich nur: Wie haben sich die Erfahrungen deiner Figur auf ihre Persönlichkeit ausgewirkt?
    Eine Notiz am Rande: Ich benutze in diesem Kontext lieber das Wort Erfahrungen als Verganenheit, weil die Vergangenheit oft als etwas Statisches angesehen wird und als etwas, das der Figur passiert. Eine Erfahrung hingegen ist in ihrer Natur aktiver und stößt dich dazu an, deine Figuren als aktiven Teil deiner Geschichte zu sehen.
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  4. Die Figur in der Geschichte.
    Hier geht es ans Ausprobieren. Schreibe ein paar Szenen mit deiner Figur und schaue, ob sich deine Entscheidungen gut anfühlen. Was fühlt sich seltsam an? Lass vielleicht jemand anderen über die Szene drüberlesen und dir seine/ihre Meinung zu der Figur geben. Kommt alles so rüber, wie du wolltest?
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  5. Feinjustierung.
    Basierend auf der Kritik und deinem eigenen Gefühl, ist es jetzt an der Zeit, die Figur anzupassen. Hier kann ich leider keine guten Tipps geben, wie du am Besten vorgehst, denn das ist wirklich von Situation zu Situation sehr unterschiedlich.
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  6. Die fertige Figur.
    Wahrscheinilch ist deine Figur nur noch ein Schatten von der Figur am Anfang, aber im Idealfall ist sie für dich immer noch nachvollziehbar. Je ähnlicher du deinen Figuren in manchen Aspekten bist, desto einfacher ist es, auch die Persönlichkeitsanteile, die du nicht teilst, zu verstehen.
    Und da hast du es: Eine Figur, die auf der Basis eines Tabus entstanden ist.

Zum Abschluss ein Zitat

„I am a writer. The characters, that I create aren’t me. They are a part of me. They are the part of me who is the adventurer, the romantic, the warrior, the princess, the hero, the villain, the freak, the friend. They are the parts that I hide. The parts that I wish to be. The parts that I have been and the parts I will be. Every story is based on a truth. My truth.“ – Unknown

 


Was hältst du von self-inserts? Und wie entwickelst du deine Figuren?

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