[Worldbuilding] Redewendungen und Sprichwörter

Nichts lässt mich schneller glauben, dass die Welt eines Buches echt ist, als eigene Redewendungen und Sprichwörter. Deswegen lasse ich in meinen eigenen Geschichten immer Redewendungen einfließen, die dem Leser deutlich zeigen, dass er sich in einer anderen Welt befindet. Aber wie schaffst du den Spagat zwischen Neuartigkeit und Verständlichkeit?

Redewendungen und Sprichwörter – Was ist der Unterschied?

Ich werde die Begriffe Redewendungen und Sprichwörter im weiteren Verlauf dieses Artikels meist Synonym verwenden. Trotzdem möchte ich gleich zu Anfang die Unterschiede herausstellen.

Russisches Sprichwort.

Eine Redewendung ist laut Duden eine „feste Verbindung von Wörtern, die zusammen eine bestimmte, meist bildliche Bedeutung haben; Wendung“ (Quelle). Sie bezeichnet eine Überkategorie der sprachlichen Wendungen, zu denen im genaueren auch die Sprichwörter zählen. Die Redewendungen bedienen sich bildlicher Sprache, z.B. „wie ein Elefant im Porzellanladen“, und können einen ganzen Satz oder auch nur einen Teil des Satzes ausmachen.

Ein Sprichwort hingegen ist laut Duden ein „kurzer, einprägsamer Satz, der eine praktische Lebensweisheit enthält“ (Quelle). Die Betonung liegt bei dem Sprichwort deutlich auf dem vollständigen Satz und nicht nur dem Satzteil, wie es bei den Redewendungen häufig der Fall ist. Dazu kommt – auch wenn es nicht Teil der offiziellen Definition ist – dass sich Sprichwörter häufig reimen.

Der Inhalt von Redewendungen und Sprichwörtern unterscheiden sich jedoch nicht: Sie können als Merkspruch, Erfahrung aus dem täglichen Leben, Urteil, Warnung oder Klugheitsregel dienen. Damit äußern sie sich häufig sozial- oder auch religionskritisch.

Wie entstehen Redewendungen?

Die genauen Urspünge der Redewendungen und Sprichwörter lassen sich im Nachhinein nicht immer eindeutig ergründen. Trotzdem lassen sich Gemeinsamkeiten festhalten: Redewendungen beinhalten einen Sachverhalt, eine Situation oder einen Gegenstand, der den Zuhörern bekannt ist. Ein Volk in der Wüste wird zum Beispiel keine maritimen Wendungen haben. Stattdessen werden sie über Sachen sprechen, die im Überfluss oder zumindest meist vorhanden sind. Man denke Sand, lokale Tiere, Hitze und Oasen.
Gerade weil der Sachverhalt allen Zuhörern bekannt ist, wird der restliche Kontext vorausgesetzt. So kann der Sprecher gleich zum tatsächlichen Bild und dem Kern seiner Aussage übergehen, ohne sich erklären zu müssen.

Mongolisches Sprichwort.

Eine geflügelte Formulierung der deutschen Sprache ist zum Beispiel „das hohe Ross“, das zweifelsohne auf die mittelalterlichen Adligen (oder Mitglieder der Oberschicht, die sich Pferde leisten konnten) anspielt. Das „hohe Ross“ wird also mit Arroganz und Überheblichkeit gleichgesetzt und so kann man sprichwörtlich

  • jemandem vom hohen Ross herunterholen,
  • etwas vom hohen Ross herab machen,
  • vom hohen Ross steigen oder
  • auf einem hohen Ross sitzen.

Beginne deine Redewendungen also mit einem aussagekräftigen Bild, das am Besten auch ohne den zugehörigen Kontext verstanden werden kann. Dieses Bild kannst du dann auf vielfältige Weise verwenden und es bleibt verständlich. Außerdem sollte es zu der Kultur passen, aus der es kommt.

Dein Rezeptbuch für eigene Redewendungen und Sprichwörter

Es gibt viele Methoden, eigene Redewendungen zu schaffen. Hier ist meine:

  1. Natur und Kultur.
    Mach dir eine Liste zu den Eckpunkten deiner Kultur und dem „Lebensraum“. Wie ist das Wetter? Was sind die häufigsten Nutztiere? Was wird gegessen? Wie sieht die Umgebung aus? Gibt es eine oder mehr Religionen? Und welche Werte hat deine Kultur? Ausgehend von diesen – zugegebenermaßen sehr oberflächlichen – Fragen, kannst du anfangen, dir deine Grundsteine zu legen. Wenn du weißt, was wichtig ist, weißt du auch, welche Gegenstände oder Situationen Teil einer Redewendung werden könnten.
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    Sprichwort der Aborigines.
  2. Was willst du eigentlich sagen?
    Als zweites solltest du dir überlegen, was dein Sprichwort eigentlich sagen soll. Es sollte einen Zweck in deiner Geschichte erfüllen. Du kannst dir zwar einfach wie ich Redewendungen ausdenken, weil es dir Spaß macht, aber wenn du sie in deine Geschichte einbaust, dann solltest du ihren Sinn kennen. Außerdem ist es einfacher, zu sinnhaften Redewendungen zu kommen, wenn du schon weißt, in welche Richtung du sie entwickeln musst.
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  3. Der Teufel steckt im Detail.
    Aber was genau eignet sich als Redewendungsmaterial? Das ist leider stark situationsabhängig und mit Abstand der schwierigste Teil in der Entwicklung von Redewendungen. Ich mag es gerne, mir Dokumentationen anzuschauen oder Bücher zu lesen, die das Leben und die genauen Arbeitsprozesse des Mittelalters beschreiben. Am besten eignen sich Details, die der Leser zwar im Hinterkopf hat, aber nicht darüber nachdenkt. Zum Beispiel, dass Gerbereien unglaublich stanken. „Das bringt so viel wie ein Bad dem Gerber.“ würde mir spontan einfallen. (Für ein: „Das bringt nichts.“)
    Versuche einfach so viel wie möglich über die kleinsten Details deiner Kultur herauszufinden und du wirst dich wundern, wie vielfältig die Möglichkeiten sind.
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  4. An Beispielen orientieren.
    Für eine kleine Hilfestellung ist es immer eine gute Idee, Sprichwörter aus anderen Sprachen zu suchen. Vermeide dabei das Englische, weil die englische Sprache mittlerweile im deutschen Raum so bekannt ist, dass englische Redewendungen auffallen würden. Ansonsten hast du freie Wahl.
    Für ein paar Anregungen aus dem Internet kannst du bei bk-luebeck.eu nachschauen. Die Seite ist nach Ländern sortiert und hilft super, wenn man gerade eine Ideenflaute hat. Daher kommen auch die Sprichwörter auf den Bildern in diesem Artikel.

Ein paar Beispiele

Sprichwort aus Kamerun.

Hier habe ich zwei Beispiele mit eigens ausgedachten Redewendungen, bei denen ich Bedeutung und Ursprung erkläre. Obwohl sie ausgedacht sind, sollten sie so weit verständlich sein, dass der Leser mindestens im Ansatz begreift, was gesagt werden soll.

„Honig bitter machen.“

Bedeutung: Etwas verderben.
Verwendung: „Beachte ihn nicht. Der macht sogar Honig bitter.“
Ursprung: Honig war vor Zucker eines der am weitestens verbreiteten Süßungsmittel. Er zeichnet sich dadurch aus, der nicht schlecht wird und sogar nach Jahren und Jahrzehnten immer noch süß ist. Wenn es also jemand schafft, den Honig bitter zu machen, dann hat er es geschafft, etwas zu verderben, dass man eigentlich nicht verderben kann.

„Schwindende Wellen jagen.“

Bedeutung: Überstürzt handeln; Einen (tödlichen) Fehler begehen.
Verwendung: „Wir werden uns davor hüten, schwindende Wellen zu jagen. Lasst uns noch einmal über den Plan nachdenken.“
Ursprung: Diese Art von Sprichwort eignet sich nur für ausgewählte Kulturen an Küstengebieten. Bevor ein Tsunami kommt, zieht sich das Meer zurück, viel weiter als es bei einer Ebbe zurückgehen würde. Einheimische würden wissen, dass das schwindende Meer mit großer Zerstörung einhergeht und in die entgegengesetzte Richtung fliehen. Jemand der die schwindenden Wellen jagt, stürzt sich Hals über Kopf und ohne nachzudenken in die Gefahr. Die Unterschiede in Bedeutungen ergeben sich hier aus dem Kontext und der Intention des Sprechers.

Die Bedeutung von Kontext

Schwedisches Sprichwort.

Soweit es geht, solltest du vermeiden, Sprichwörter in deiner Geschichte zu erklären. Vor allem wenn deine Figuren aus der selben Gegend/Kultur kommen, wirkt es gestellt, wenn du die Redewendungen erklären lässt. Der Leser merkt sofort, dass die Erklärung nur für ihn geschieht und wird damit aus der Geschichte gerissen. Genauso wichtig wie ein tolles Sprichwort ist also die Art und Weise, wie du es in deine Geschichte einbindest. Der Kontext ist wahnsinnig hilfreich beim Verstehen von Sprichwörtern. Es macht einen Unterschied, ob du es in einem freundlichen Austausch zwischen zwei Bekannten oder bei einer Kiregsverhandlung benutzt. Stimmung und Sprecher sind meistens hilfreicher beim Verstehen der Redewendung als die Worte, die benutzt werden.

Außerdem: Schreibe keine Sprichwörter, um der Sprichwörter willen. Sondern, wie alles andere in deinem Text, füge sie nur hinzu, wenn sie deiner Geschichte zuträglich sind.

Trotzdem kann es passieren, dass du deine Redewendungen erklären willst (oder musst). Dann musst du dafür sorgen, dass es innerhalb der Geschichte Sinn ergibt, sie zu erklären. Dafür sind Figuren aus unterschiedlichen kulturellen Hintergründen hilfreich, die als Sprachrohr für den Leser dienen können.

 


Hast du dir schon einmal eigene Sprichwörter ausgedacht? Ich würde mich sehr über Beispiele in den Kommentaren freuen. 🙂

Hier geht es weiter mit meiner Reihe über die Entwicklung deiner eigenen Sprache, namentlich Tempus und Aspekt deiner Verben.

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4 Replies to “[Worldbuilding] Redewendungen und Sprichwörter”

  1. Yvonne says:

    Liebe Sina,
    ich finde deinen Blog Beitrag absolut großartig! Das Thema ist toll, deine Ausführungen und Beispiele auch! Ich finde, Sprichwörter machen ein Buch meistens noch lebendiger, die Welt wirkt realer. Ich selbst habe zwar keine Sprichwörter, aber Legenden und Musik und das hat auch schon sehr viel Spaß gemacht zu erfinden. Mich hat dein Beitrag auf alle Fälle inspiriert und auch geholfen, denn bei meinem nächsten Fantasy Projekt wird es auf alle Fälle Sprichwörter geben, weil unterschiedliche Kulturen aufeinander treffen und darauf freue ich mich schon sehr.
    Ganz liebe Grüße
    Yvonne 🙂

    Antworten
    1. Sina Bennhardt says:

      Liebe Yvonne,
      es freut mich wirkich sehr, dass ich dich mit meinem kleinen Artikel zu Sprichwörtern und Redewendungen inspirieren konnte! Wortspiele (und damit auch Redewendungen) sind schon immer ein Hobby von mir gewesen und damit finde ich es umso toller, dass ich diese Freude weitergeben konnte 🙂
      Ich Wünsche dir viel Spaß beim Ausdenken von eigenen Sprichwörtern 🙂
      LG Sina <3

      Antworten

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