Die Moralität deiner Geschichten – Die Pflicht als Autor

In den letzten Tagen und Wochen habe ich mir viele Gedanken über die Moralität von Geschichten gemacht. Wie kann man als Autor (seine eigenen) Sichtweisen in einem Plot verpacken, ohne gleich wie ein Oberlehrer mit ausgestrecktem Zeigefinger zu wirken? Oder gehören die eigenen Sichtweisen gar nicht in den Text?

Eine kleine Vorwarnung: Dieser Artikel ist nicht so zusammenhängend wie andere Beiträge, die ihr von mir gewohnt seid. Ich bin selbst noch in dem Prozess, meine Meinung zu festigen. Deswegen ist dieser ganze Artikel eher ein loser Gedankenfluss als ein gut durchdachter Aufsatz.

Fiktion und politische Agenda

© Marvel Studios

Einer der Gründe, warum dieser Artikel entstanden ist, ist Captain Marvel. Der Film ist gemischt angekommen. Viele Zuschauer waren der Meinung, dass eine politische/feministische Agenda nicht in einen Film gehört. Um nur ein paar Beispiele zu zeigen:

„First off I believe a movies job is to entertain, not try to push some political agenda.“

„Hidden liberal nonsense.“

„How much harder could they shove feminist views in my face? They built this movie around a political views not a plot.“

Doch gerade bei der Begründung, dass eine politische Agenda nicht in einen Film gehört, musste ich stutzen. Es gibt so viele Filme, die einen politischen Hintergrund haben und dennoch keinen derartigen Aufschrei wie Captain Marvel nach sich gezogen haben. Ich denke an Filme wie Schindlers Liste, Hotel Rwanda oder Der große Diktator. Jeder einzelne von ihnen ist hochpolitisch und dennoch finden sich kaum Stimmen, die diesen Fakt kritisieren.

Liegt es allein daran, dass sie Filme über Politik sind, oder gibt es noch einen anderen Grund?

Ehrlichkeit und Moralität

Um meine Frage zu beantworten: In meinen Augen liegt es nicht nur daran, dass Schindlers Liste, Hotel Rwanda und Der große Diktator Filme über Politik sind. Es liegt vor allem daran wie die Geschichten erzählt werden. Ob alles, was nun folgt auf Captain Marvel zutrifft oder nicht, sei dahingestellt. Captain Marvel sollte nur das Sprungbrett zu dem eigentlichen Thema sein, über das ich schreiben wollte:

Sag deinem Leser nicht, was er denken soll. Sag ihm nicht, ob die Meinung der Figuren gut oder schlecht ist. Sag ihm nicht, ob die Handlungen deiner Figuren verwerflich sind oder nicht. Sag ihm nicht, warum die Meinungen und Handlungen gut oder schlecht sind. Damit nimmst du deinem Leser die Möglichkeit selbst zu denken.
Insgeheim sehnt sich der Leser nach Gedanken, die ihn herausfordern und über die Geschichte hinaus begleiten.

Deine Geschichte sollte der Beginn von Diskussionen und moralischen Erkundungen sein. Nicht das Ende.

„Wenn eine Figur rassistisch/etc. ist, dann musst du auch zeigen, dass das schlecht ist.“

Das ist ein Tipp, den ich oft gehört und auch selber weitergegeben habe. Offensichtlich habe ich diese Meinung geteilt, aber mittlerweile bin ich mir über das Ausmaß meiner Zustimmung unsicher. Um deine Leser zu fesseln darfst du, ihnen ihre Schlussfolgerungen nicht vorausnehmen. Damit fällt auch raus zu zeigen, dass ein bestimmtes Verhalten gut oder schlecht ist. Zu leicht tappt man in die Falle, Figuren einseitig darzustellen. Und einseitige Darstellung tut deiner Geschichte nichts Gutes: Es zeigt die Faulheit, Nuancen darzustellen, und demonstriert die Voreingenommenheit des Autors.

Gerade wenn es um fragwürdige Moralität geht, schießt du dir selbst ins Knie, wenn du eine Seite verteufelst. Du nimmst dir selbst als Autor die Glaubwürdigkeit und deinem Leser das Erlebnis, selbst zu denken. Selbst wenn man als Leser mit den Schlussfolgerungen des Autors übereinstimmen würde, macht es keinen Spaß darüber zu lesen. Schlimmer noch, es stellt sich ein Reflex ein, dem Autor zu widersprechen, und das nur weil er die Meinung des Lesers scheinbar vorausgenommen hat.

Dein Leser weiß, was moralisch verwerflich ist. Dazu musst du ihn nicht an die Hand nehmen.

Ich sehe selber, dass die Gratwanderung schwierig ist. Der Mensch kann gar nicht objektiv sein – vor allem bei emotionalen Themen. Und wenn man zu verzweifelt versucht, alle Seiten eines Konfliktes darzustellen, kann es schnell passieren, dass es sich anfühlt, als wolle man die Täter – oder „Schuldigen“, auch wenn beide Wörter schon eine Wertung enthalten – schützen. Und das kann auch nicht das Ziel sein.

„Kunst ist immer politisch.“

Das wird zumindest immer gesagt. Doch ich finde, dass es die Pflicht der Kunst ist, unpolitisch zu bleiben. Gerade als Autor hat man, die einzigartige Möglichkeit die Themen von allen Seiten zu beleuchten und somit ihre Moralität zu erkunden.

Nur damit du mich nicht missverstehst: Unpolitisch bleiben, bedeutet für mich nicht, dass man keine politischen Themen ansprechen darf, sondern dass man dem Leser in seinen Texten keine Meinung vorschreibt. Dass man als Autor objektiv bleibt und keine Seite verteufelt. Wenn du über ein kontroverses Thema schreibst, dann sag nicht „Es ist gut“ oder „Es ist schlecht“. Sag „Es ist einfach“. Und dann lass deinem Leser den Raum, das Thema selbst zu erkunden. Kunst wird erst dann politisch, wenn die Interpretation vorgegeben ist.

Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Captain Marvel so gemischt angekommen ist. Sie trägt ihre politische Meinung klar und unmissverständlich vor sich her. Die Frage bleibt, ob das die richtige Strategie war.

 


Was meinst du? Ist der Autor in der Pflicht, seine eigene Moralität in seinen Geschichten darzustellen oder zu „verteidigen“?

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3 Replies to “Die Moralität deiner Geschichten – Die Pflicht als Autor”

  1. Aurora says:

    Liebe Sina,
    Ich finde deinen Beitrag sehr interessant, danke für den Input. Als Autorin mache ich mir auch oft Gedanken über dieses Thema und ich finde du hast einen wichtigen Punkt angesprochen. Wenn man den Lesern eine bestimmte Meinung in den Rachen schieben will, werden sie sich gedanklich dagegen wehren. Wenn es z.B. darum geht Missstände aufzuzeigen (Diskriminierung, …) finde ich, dass es die stärkste Waffe des Autors ist einfach zu beschreiben, was das mit einem Charakter macht aus seiner Perspektive, sodass der Leser mitfühlen kann und sich im Anschluss Gedanken machen kann, ob nicht irgendwas falsch läuft in der Welt.
    Liebe Grüße, Aurora

    Antworten
    1. Sina Bennhardt says:

      Liebe Aurora,
      ganz genau! Wenn man einfach objektiv (bzw so objektiv wie möglich) über die Situation seiner Figuren schreibt, dann zeigen sich Missstände von ganz alleine auf. Und es fällt den meisten Leuten sowieso leichter die Emotionen zu verstehen, die die Figuren spüren, als irgendwelche herbeigezogenen Argumente.
      LG Sina 🙂

      Antworten

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