Das Problem mit nicht-menschlichen Protagonisten

In meinen Kindheits- und Teenagerjahren habe ich einige Bücher mit nicht-menschlichen Protagonisten gelesen. Die meisten davon waren aus der Sicht von Walen und Delfinen (meine damaligen Lieblingstiere) und waren so unbedeutend, dass ich mich weder an Cover, Titel oder die Story erinnere. Aber damals hat es gereicht, dass ich ein Fan der Tiere war und ich war zufrieden.
Etwas später habe ich einen zweiten Anlauf gewagt und habe die Fledermaus-Bücher von Kenneth Oppel gelesen: Silberflügel, Sonnenflügel und Feuerflügel.

Eine Geschichte mit nicht-menschlichen Protagonisten

Wenn ich hier von „nicht-menschlich“ spreche, dann meine ich präziser „nicht-humanoid“. In einem Fantasy-Setting würden zum Beispiel Zwerge, Elfen und zu einem gewissen Grad auch Orks zu humanoiden bzw. menschlichen Protagonisten zählen, denn bis auf einige kulturelle Unterschiede erleben sie die Welt so wie Menschen sie auch erleben würden.

Wie würdest du ein Geweih beschreiben, wenn es für deinen Protagonisten etwas Alltägliches wäre? Wie fühlt es sich an, auf allen Vieren zu laufen?

Anders ist es da bei Fledermäusen, Einhörnern oder Drachen. Schon allein ihre physischen Eigenschaften unterscheiden sich so sehr von den menschlichen, dass das Erleben der Welt nicht mit unserer Wahrnehmung verglichen werden kann.

Warum über nicht-menschliche Protagonisten schreiben?

Die Frage ist für mich schwierig zu beantworten, weil ich noch nie einen nicht-menschlichen Protagonisten schreiben wollte. Trotzdem kann ich mir einige Gründe vorstellen:

  • Eine neue und unbekannte Welt.
    Neue Horizonte, eine ganz neue Welt, die nur in der bekannten versteckt sind. Das gibt dem Leser Einiges zu entdecken.
  • Kritik an der Menschheit und ihrem Handeln.
    Viele Bücher mit nicht-menschlichen Protagonisten behandeln Themen wie Umweltverschmutzung oder generell den Einfluss der Menschen auf den Lebensraum deiner Figuren. Eine Kritik an menschlichem Handeln kann an dieser Stelle leicht angebracht werden, ohne dass sie wie der metaphorische Zaunpfahl rüberkommt, weil deine Protagonisten das Handeln der Menschen möglicherweise gar nicht verstehen, sondern nur auf die unmittelbaren Auswirkungen reagieren.
  • Interessante Fingerübung.
    Einen nicht-menschlichen Protagonisten zu schreiben, ist sehr schwierig. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr möchte ich diese Herausforderung ebenfalls annehmen.

Nicht-menschliche Protagonisten als Perspektivträger

Wenn du einen nicht-menschlichen Protagonisten schreibst, dann musst du im Großen und Ganzen zwei Dinge schaffen: Sie müssen verständlich sein und der Leser muss sich daran erinnern, dass deine Protagonisten keine Menschen sind. Und hier liegt auch schon das größte Problem: Denn in meiner (zugegebenermaßen recht limiterten) Erfahrung schließen sich diese beiden Dinge fast aus.

Entweder konnte ich mich in die nicht-menschlichen Protagonisten hineinfühlen, oder mir war klar, dass es sich um keine Menschen handelt. Beides zusammen hat höchstens für wenige Sätze funktioniert.

Noch dazu kommen die Schwierigkeiten, die vereinzelte Tiere/Kreaturen mitbringen: Was wenn die Wesen, von denen du schreibst, keine Sprache haben, sondern über andere Dinge wie Geruch, Körpersprache etc kommunizieren? Im Buch würdest du es wahrscheinlich trotzdem mit Sprache darstellen und an einigen Stellen mit den Beschreibungen verdeutlichen. Was wenn sie sich nicht auf ihre Augen verlassen sondern auf Echolokation? Wir Menschen sind so visuelle Wesen, dass es den meisten schwer fallen würde, es auch nur ansatzweise zu verstehen.

Was ich für eine bessere Methode halte:

Nicht-menschliche Protagonisten ohne eigene Perspektive

Die einfachste und erstaunlich elegante Methode für einen nicht-menschlichen Protagonisten ohne eigene Perspektive, ist der Dolmetscher.

Ein menschlicher Dolmetscher kann dir bei der Übersetzung deiner nicht-menschlichen Protagonisten helfen.

Der Dolmetscher ist eine menschliche Figur, die die Sicht des nicht-menschlichen Protagonisten für den Leser übersetzt und verständlich macht. Das muss nicht immer durch Dialog geschehen, sondern kann auch durch die Interaktion der beiden geschehen. Als Beispiel kommen mir da direkt verschiedene Drachenreiter in den Sinn wie Eragon mit seinem Drachen Saphira oder Hiccup mit seinem Drachen Ohnezahn.
Zwar hat Saphira eine eigene Stimme und kann auch reden, aber ihre Meinungen und Worte werden stets durch Eragon übersetzt und erklärt, weil er mit Hilfe seines empathischen Links zu ihr, ihre Intentionen und Gefühle versteht.

Ein weiterer Vorteil des Dolmetschers und nicht-menschlichem Protagonisten Gespanns: Es gibt bereits eine feste Beziehung in deiner Geschichte. Wie sie genau aussieht und ob sie positiv oder negativ ist, liegt ganz bei dir. Aber allein durch die Anwesenheit dieser Verbindung ist Potential für Konflikt geschaffen.

Außerdem bleibt mit dem Dolmetscher das Gefühl des Fremdartigen erhalten. Deine nicht-menschlichen Protagonisten bleiben in ihrer Einzigartigkeit erhalten und haben gleichzeitig einen natürlichen Erklärer an der Seite, der ihr Verhalten und ihre Entscheidungen – nun ja – erklärt, ohne dass es allzu sehr danach aussieht, als würde die Übersetzung nur für den Leser stattfinden.

Wortwahl

Das Wichtigste bei einem nicht-menschlichen Protagonisten – ob nun Perspektivträger oder nicht – ist die Wortwahl. Ich kann gar nicht genug betonen, wie wichtig die Wortwahl ist. Denn wenn du deine Worte nicht richtig auswählst, passiert genau das, wovon ich vorhin schon geredet habe: Deine Kreaturen fühlen sich an wie Menschen in einer falschen Haut und der Sinn des Fantastischen geht verloren.

Warum hat deine Geschichte überhaupt einen nicht-menschlichen Protagonisten?

Dazu zählen auch Ausdruck von Gefühlen (wenn sie denn Gefühle vergleichbar mit den menschlichen haben), Redewendungen, Moralität ihrer Handlungen und ihre soziale Struktur. Jedes Mal, wenn dein nicht-menschlicher Protagonist auftaucht, musst du jedes dieser Themen genau im Kopf haben.
Das ist unglaublich schwierig!

Der nicht-menschliche Protagonist im Kinderbuch

Überlege dir genau, was der nicht-menschliche Protagonist in deinem Buch tun soll. Soll er wirklich fremdartig sein, soll er eine neue Kultur einführen, soll es um die Erkundung einer menschen-fremden Lebensweise sein? Oder soll deine Geschichte einen nicht-menschlichen Protagonisten haben, weil er süß und knuffig aussieht?

Behalte auch beim Schreiben von nicht-menschlichen Protagonisten deine Zielgruppe im Auge. Manchmal braucht es gar keinen tiefen und aussagekräftigen Grund, warum denn nun ein Delfin deine Hauptfigur ist. Vielleicht soll sich einfach jemand an seinem Lieblingstier erfreuen können.

 


Hast du schon einmal eine Geschichte mit einem nicht-menschlichen Protagonisten geschrieben? Oder kennst du eine, die dir sehr gefallen hat? Ich freue mich über Tipps in den Kommentaren. 🙂

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2 Replies to “Das Problem mit nicht-menschlichen Protagonisten”

  1. Sabrina says:

    Hallo Sina!

    Dein Beitrag macht klar, warum ich als Leserin immer wieder Probleme mit nicht menschlichen Protagonisten habe. Als absoluter Katzennarr, lese ich meist über Katzen. Diese sind in alltägliche Geschichten, Krimis oder Liebesromane, eingebunden. Das größte Problem ist, dass sie dabei schlicht zu menschlich sind. Sie denken wie wir und oft sprechen sie dann auch noch wie wir. Das führt mich eine unangenehme Zwickmühle in der Mensch und Tier zu sehr schwimmt.

    Liebe Grüße
    Sabrina
    #litnetzwerk

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    1. Sina Bennhardt says:

      Deswegen mag ich die Lösung mit einem „Dolmetscher“ so gerne. Das Tier kann immer noch eine Hauptperson sein, aber weil sie kein Perspektivträger ist, bleibt die Andersartigkeit erhalten 🙂

      Antworten

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