Schwäche als Dreh- und Angelpunkt deiner Figuren

Es gibt tausende Wege deine Figuren zu erstellen und alle haben ihre Daseinsberechtigung. Je nachdem welchem Prinzip du folgst, kommst du früher oder später dazu, über die Schwächen deiner Figuren nachzudenken. Die Schwächen deiner Figuren, genauer gesagt deiner Protagonisten, sind mit das Wichtigste Unterscheidungsmerkmal. Denn worum geht es in Geschichten? Im Grunde ist es immer dasselbe. Eine Figur kämpft mit einer eigenen Schwäche. Ob die Figur gewinnt oder verliert, kommt auf die Geschichte an, aber ohne charakterliche oder physische Defizite würde sie nicht stattfinden.

Der Rollenspielansatz

Am Anfang steht der Held. Er (oder sie) ist unfehlbar, sieht gut aus, kann mit Worten und/oder Waffen geschickt umgehen und ist auch ansonsten einfach toll. Aber so kann er natürlich nicht bleiben. Du möchtest nicht in die Falle tappen und eine Mary Sue oder einen Gary Stu erschaffen. Also füllst du die Schwächen nach, bis du das Gefühl hast, dass er ausreichend negative Charaktereigenschaften hat, um realistisch zu sein.

Auch eigenbrötlerisch zu sein, ist keine Schwäche, solange es keine Auswirkungen auf die Geschichte hat.

Das mag eine etwas überspitzte Darstellung einer Charakterentwicklung sein, aber ich hoffe, du verstehst gleich, worauf ich hinauswill.

Viel zu oft fühlen sich die Schwächen von Figuren an wie Nachgedanken, die nur da sind, weil die Helden ja nicht perfekt sein dürfen. Aber was bringen dir Schwächen, die deine Figuren nicht fordern? Was bringen dir Makel, die nicht dazu führen, dass dein Protagonist über sich hinauswächst oder es zumindest versucht? Ohne passend gewählte Schwächen wird sich dein Protagonist nicht entwickeln. Und wenn dein Protagonist keine Veränderung durchmacht, riskierst du, dass er platt und langweilig bleibt.

Was zählt als Schwäche?

Ich sehe sehr oft, dass jede negative Charaktereigenschaft als Schwäche gezählt wird und, obwohl ich verstehe, wie man zu diesem Schluss kommen kann, bin ich dennoch anderer Meinung.

Stell dir vor, du hast eine Figur mit Höhenangst, aber das kommt in deiner Geschichte nicht zur Sprache, weil die Figur in keine Situation gebracht wird, die diese Angst hervorruft. Dann ist Höhenangst keine Schwäche. Wenn deine Figur arrogant ist und es den Lauf deiner Geschichte nicht verändert, dann ist es zwar eine unsympathische Charaktereigenschaft aber keine Schwäche.

Wie sieht eine gute Schwäche aus?

  • Relevant für die Geschichte. Das bedeutet, dass die Geschichte anders verlaufen würde (oder gar nicht stattfinden würde), wenn deine Figur diese Schwäche nicht hätte.
  • Positive Charaktereigenschaft, die so stark ausgeprägt ist, dass sie ins Negative schlägt. Als Beispiel: Deine Figur fühlt sich verantwortlich für das Wohlergehen ihrer Freunde und möchte sie beschützen. Das ist ein Gefühl, das grundsätzlich jeder nachvollziehen kann. Deine Figur übertreibt es aber und geht so weit, sich die eigene Zukunft zu verspielen, nur damit die Freunde es besser haben. In diesem Punkt hast du unglaublich viel Spielraum. Jede positive Charaktereigenschaft hat unzählige Möglichkeiten ins Negative abzurutschen. Sei nur vorsichtig, dass du Klischees vermeidest.
  • Deine Figur ist sich ihrer Schwäche am Anfang (oder auch bis zum Ende) nicht bewusst. Die Schwäche sollte nichts sein, woran deine Figur aktiv arbeitet, denn das nimmt den Anfang der Charakterentwicklung vorweg.
  • Ist verknüpft mit der Motivation deiner Figur. Ich habe es gerne, wenn Schwäche und Motivation meiner Figuren verknüpft sind, denn so fühlt sich die Richtung der Geschichte deutlicher und stärker an. Dieser Punkt ist aber zugegebenermaßen optional.

Die Schwäche überwinden oder nicht

Wenn dein Protagonist seine Schwächen überwindet, dann gewinnt er an Freiheit.

Ob dein Protagonist seine eigene Schwäche überwindet oder nicht, ob er aus seinen Fehlern lernt oder nicht, bestimmt maßgeblich den Ton deiner Geschichte. Wenn dein Protagonist es schafft, über sich hinauszuwachsen, dann gibt es meist ein Happy End. Wenn er seinen eigenen Gefühlen und Misserfolgen zum Opfer fällt, dann hast du meist eine Tragödie in den Händen. Beide Entwicklungen haben ihre Vor- und Nachteile und welchen Weg du lieber magst, ist sehr subjektiv. Allerdings würde ich sagen (auch wenn ich vielleicht durch meine eigenen Vorlieben beeinflusst bin), dass das Scheitern deines Helden meist einen tieferen Einblick in seine Psyche zulässt und zu spannenderen Geschichten führt.

Warum sollte dein Protagonist seine Schwächen überwinden?

  1. Befriedigende Charakterentwicklung. Es ist immer schön mit anzusehen, wie sich eine Figur verändert und letztendlich ein besserer Mensch wird. Das gibt deiner Geschichte emotional einen schönen runden Abschluss.
  2. Happy End. Eine überwundene Schwäche sagt viel über die Figur aus, aber auch über die Art der Geschichte, die der Autor erzählen möchte. Wenn deine Figuren über sich selbst hinauswachsen, dann sind deine Geschichten tendenziell hoffnungsvoll und positiv. Und dagegen kann man nichts sagen.

Warum sollte dein Protagonist gegen seine Schwächen verlieren?

  1. Unerwartet. Eine nicht überwundene Schwäche führt zwar nicht unbedingt zu einem traurigen Ende, aber es wird wahrscheinlich mindestens durchwachsen. Und dass eine Geschichte nicht „gut“ ausgehen muss, ist für die meisten Leser immer noch unerwartet. (Allerdings sehe ich in einigen Genres, wie sich da die Konventionen ändern. Es ist also gut möglich, dass in ein paar Jahren das Happy End unerwartet ist.)
    Eine nicht überwundene Schwäche bedeutet übrigens nicht notwendigerweise, dass deine Figur ihr Ziel nicht erreicht hat.
  2. Tragödien. Es gibt viele wissenschaftliche Arbeiten darüber, warum Menschen Tragödien faszinierend finden, aber eine definitive Antwort konnte ich nicht finden. Vielleicht ist es der tiefe Einblick in die menschliche Psyche. Vielleicht ist die Erleichterung, dass es einem selbst anders ergangen ist. So oder so. Tragödien können genau so erfüllend sein, wie eine Geschichte mit Happy End.

Abschluss

Es hat seine Zeit gedauert, bis ich die Signifikanz der Schwächen meiner Figuren erkannt habe, aber jetzt entwickle ich sie kaum noch anders. Sobald ich ein Charakterkonzept im Kopf habe, verbringe ich all meine Zeit damit herauszufinden, was die Schwächen dieser Figur sein könnten und wie sie sich auf die Geschichte auswirken. Wo diese Schwächen herkommen und wie sie sich entwickeln ist noch ein ganz anderes Thema aber auch das solltest du in deiner Planung nicht vergessen. Denn nur, wenn deine Figuren nachvollziehbare Entscheidungen treffen, werden deine Leser ihnen folgen.

 


Was sind die Schwächen deiner Figuren? Und wie äußern sie sich in deiner Geschichte?

Teilen mit:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert