Neben dem tatsächlichen Charakter deiner Figuren ist ihr Aussehen wohl das Zweitwichtigste, was du ihnen mit auf den Weg in die Welt deines Buches gibst. Doch wie wichtig ist das Aussehen deiner Figuren tatsächlich? Lohnt es sich, für deine Leser ein präzises Bild zu malen oder ist es verschwendete Zeit? Ich habe mir ein paar Gedanken gemacht und kann vielleicht anfangen, ein paar dieser Fragen zu beantworten.
Warum beschreibst du das Aussehen deiner Figuren?
Die Frage mag sich zunächst ein wenig seltsam anhören. Aber ich rate dir, ein paar Sekunden oder Minuten darauf zu verwenden, eine Antwort zu finden. Denn wenn es dir so geht wie mir, dann beschreibst du deine Figuren zwar, hast dir aber noch nie wirklich Gedanken über das warum gemacht. Warum beschreibst du also das Aussehen deiner Figuren?
- Damit deine Leser wissen, wie sie aussehen.
Dieses Wissen kann dann im weiteren Verlauf dazu führen, dass sich deine Leser mit deinen Figuren identifizieren. Allerdings könntest du das auch über das Verhalten deiner Figuren erreichen (und ich würde argumentieren, dass das Verhalten effektiver ist). - Deine Figuren als Teil des Worldbuildings.
In der Beschreibung deiner Protagonisten/Figuren kannst du – besonders in der Fantasy und SciFi bzw. allgemein in fremden Welten – schon ein wenig deine Welt vorstellen. Was sagt die Kleidung und das Aussehen über ihren Stand in der Gesellschaft aus und ähnliche Fragen, können durchaus von Bedeutung sein. - Um späteren Plot vorzubereiten.
Ist es ein wichtiger Punkt, dass sich dein Protagonist und der Antagonist ähnlich sehen? Oder geht es in deiner Geschichte um Rassismus? Oder wird das Aussehen auf eine andere Weise plotrelevant? Dann solltest du früh Zeit in die Beschreibung deiner Figuren investieren. - Charakterisierung des Beschreibenden.
Wenn du aus der Sicht einer Figur schreibst und du als Erzähler eher im Hintergrund bist, dann kann die Art wie deine Figuren über andere reden oder was sie an ihnen betrachten, sehr aufschlussreich für ihren Charakter sein. Achte hier besonders auf Wortwahl und Fokus deiner Figur, so kannst du schon von Anfang an den Charakter deiner Figuren festmachen.
Alle anderen Gründe, die mir eingefallen sind, lassen sich mit diesen vier Punkten abdecken. Sowohl das Aussehen deiner Figuren als Worldbuilding und das Aussehen deiner Figuren als plotrelevantes Detail sind gute Gründe, Zeit und Mühe in ihre Beschreibung zu investieren. Deswegen werde ich im Weiteren nicht näher auf sie eingehen.
Doch was ist mit dem ersten Punkt?
Eine Notiz am Rande: Ich habe die Frage nach dem „Warum überhaupt beschrieben?“ auch auf Twitter gestellt und da sind wahnsinnig spannende Diskussionen entstanden, die sich meistens um Worldbuilding, Charakterisierung und Foreshadowing gedreht haben. Wenn du also mehr zu diesen Themen wissen möchtest, klick auf den Tweet und es wird ein neuer Tab geöffnet, in dem du alles nachlesen kannst.
Hier geht es jetzt weiter mit dem „normalen“ Beschreiben, das wenig bis keine Hintergedanken hat, und nur dem Vorstellungsvermögen der Leser dienen soll.
Augenfarbe und Co, was bringt es dem Leser?
Es ist sehr einfach dem Beschreiben in die Falle zu tappen und für die Figuren nur noch eine Art Checkliste abzuhaken. Haarfarbe, Augenfarbe, Körperbau und noch ein weiteres beliebiges Detail, um sie von den anderen Figuren zu unterscheiden. Doch in dieser Art zu beschreiben, steckt eine Menge verspieltes Potential. Ähnlich wie bei Beschreibungen zum Setting, solltest du versuchen, so zielführend wie möglich zu schreiben. Wie hat das Leben das Aussehen deiner Figuren geformt? Vergleiche die folgenden Absätze.
„Der alte Mann saß vor seiner Hütte und flickte ein Netz. Die dünnen Haare fielen ihm immer wieder in sein wettergegerbtes Gesicht und als er sich aufrichtete, schien es, als wollte sein dürrer Körper unter der Anstrengung zerbrechen.“
und
„Der Mann breitete das Netz auf den Knien aus und machte sich stumm an die Arbeit. Seine Hände waren von Jahrzehnten in der Sonne ledrig, die Gelenke geschwollen und steif. Mit den Fingernägeln trennte er die verknoteten Fäden des Netzes voneinander und sie lösten sich ohne Proteste.“
Welcher Absatz dir von den beiden besser gefällt, sei dahingestellt, aber ich hoffe, dir sind die Unterschiede in der Vorgehensweise aufgefallen. Im ersten Absatz habe ich die Eckpunkte des alten Fischers beschrieben. Im zweiten Absatz habe ich mit der Beschreibung auch noch eine Charakterisierung durchgeführt.
Beschreibe nicht einfach nur das Aussehen deiner Figuren.
Zeige, wie deine Welt ihr Aussehen beeinflusst hat.
Dicht verwoben mit dem Beschreiben ist auch die Benutzung von Adjektiven. Darüber habe ich schon ausführlich in einem Artikel geschrieben, deswegen soll hier der Verweis darauf reichen. → Führen Adjektive zu einem schwachen Schreibstil?
Wann ist der richtige Zeitpunkt, zu beschreiben?
Wie oft schaust du einem Menschen, den du gerade erst kennen gelernt hast, tief in die Augen und nimmst aktiv wahr, welche Farbe sie haben? Nicht allzu häufig nehme ich an. Genauso musst du über die Beschreibungen deiner Figuren nachdenken. In welchem Abstand stehen sie zu deinem Protagonisten? Worauf würde dein Protagonist achten? Und kannst du die Beschreibungen deiner Figuren vielleicht mit Aktionen „verstecken“? Macht die Figur etwas, das die Aufmerksamkeit deines Protagonisten auf ein bestimmtes Detail lenkt?
Es spricht nichts dagegen, die Beschreibungen zu staffeln und deinem Leser nach und nach Informationen zukommen zu lassen. Fange mit den auffälligsten Punkten an und arbeite dich nach und nach zu kleineren Details. Behalte dabei im Hinterkopf: Die Menge an Informationen sollte dem Wichtigkeitsgrad der Figuren entsprechen. Viele Informationen signalisieren deinem Leser: Diese Figur ist wichtig, diese Figur sollte ich mir merken!
Mein absolutes Horrorbeispiel ist in einem Buch von Karl May (welches habe ich leider vergessen), in dem auf zehn Seiten die Beschreibung einer Figur stattfand. Von Gürtelschnallen bis Länge der Augenbrauenhaare wurde wirklich alles durchzelebriert. Und dann ist sie ein paar Kapitel später gestorben. Absolut verschwendetes Potential.
Aktionen statt Beschreibungen
Wenn das Aussehen deiner Figuren wirklich nicht von großer Bedeutung ist, versuche die Beschreibungen durch Aktionen zu ersetzen, die Aufschluss über ihr Aussehen geben. Du könntest schreiben, dass Figur A groß ist, oder du könntest zeigen, dass sie sich bei ihrem ersten Auftreten bücken muss, um durch die Tür zu passen. Beides erreicht letztendlich dasselbe, aber eines davon ist bildlicher und wird damit deinem Leser eher im Gedächtnis bleiben.
Letztendlich bleibt es dennoch eine Frage des Geschmacks. Einige Leser gehen in seitenlangen Beschreibungen auf und andere überfliegen sie, sobald sie länger als ein paar Sätze sind. Und noch manch andere (und zu denen zähle ich) lesen sich die Beschreibungen durch und stellen sich dann doch etwas ganz anderes vor. Wichtig ist nur: Sei dir im Klaren darüber, was du mit den Beschreibungen deiner Figuren erreichen möchtest.
Wie hältst du es mit den Beschreibungen deiner Figuren? Wie viel beschreibst du?
Hallo.
Das stimmt: Karl May und JRR Tolkien beschreiben wirklich jeden „Schaß im Wald“ (sorry für die direkte Ausdrucksweise), so dass für die Handlung wenig Raum bleibt.
Manche Autoren machen es genau umgekehrt, da hapert es an der Beschreibung des Aussehens. Was nützen mir die Charaktere, wenn ich sie mir nicht vorstellen kann ?
Lucy Maud Montgomery schreibt über eine Figur: „Seine immer noch dichten Locken waren in den letzten Jahren ziemlich grau geworden.“
Gemeint ist eine der Hauptfiguren der Anne-Serie, nämlich Gilbert. Zum Zeitpunkt dieser Aussage ist er etwa Anfang bis Mitte 50.
Die Handlung spielt während des 1. Weltkriegs.
So muss eine Aussehensbeschreibung sein. Nicht zuviel und nicht zu wenig.
Dafür hat die Autorin bei anderen Punkten so ihre Schwächen, doch das ist ein zu weites Feld.
Ich schreibe auch gerne, jedoch nur Fanfiction.
Herzliche Grüße
Andrea
Toller Beitrage! Habe ihn mir direkt mal abgespeichert, denn Figurenbeschreibungen und ich sind so ne Sache. Ich mochte Beschreibungen von Aussehen noch nie und mir fallen sie immer noch nicht leicht und ich merke, dass ich an ihnen arbeiten muss. Bin in Büchern nie ein Fan von ewigen Beschreibungen des Aussehens, weil vor meinem inneren Auge die Figuren eh immer anders aussehen. Und ob die Haare nun blond oder braun sind könnte ich ein paar Seiten später nicht sagen. Ich versuche mir beim Schreiben bestimmte Merkmale herauszupicken, die für die jeweilige Person kennzeichnend. Oft verschiebe ich Beschreibungen auch auf die Überarbeitung und überlege länger, wie ich es am besten angehe. Daher danke für den hilfreichen Input 🙂
Liebe Grüße
Nadine
Freut mich, dass dir der Beitrag einen neuen Input geben konnte!
Beschreibungen (egal ob von Figuren oder Umgebung) bleibt auch mein ewiges Kryptonit, deswegen mache ich mir da immer unverhältnismäßig viele Gedanken, wie ich Beschreibungen schreiben kann, die mich nerven^^“
Oft tue ich auch beim ersten Schreibdurchgang „[hier Beschreibung einfügen]“ in den Text, damit ich ungestört schreiben kann und mich später mit mehr Ruhe, Zeit und Gedanken dem Beschreiben widmen kann. Da bist du also nicht alleine bei deiner Strategie 😀
LG Sina