Die Macht von „Man soll“ – Eine notwendige Analyse

„Man soll“. Es ist eine Formulierung, die man schnell übersieht. Das Wort „man“ zählt zu den Pronomen und beschreibt eine unbestimmte und unbenannte Person oder im Weiteren Sinne „die Allgemeinheit“ oder Gesellschaft.

Der Duden hat Folgendes zu seiner Bedeutung zu sagen:

man - Bedeutungsübersicht

In letzter Zeit habe ich mir viele Gedanken um das Wort man in all seinen Formen gemacht und dabei ist mir die unglaubliche Macht der Formulierung „Man soll“ bewusst geworden.

„Man soll“

Diese kleine Formulierung schafft drei Dinge gleichzeitig.

  1. Sie zeigt die Norm der Gesellschaft, genauer gesagt: Die Normen der Eltern- oder noch früheren Generation.
  2. Der Sprecher entfernt sich aus der Situation und ersetzt sich mit der „ominösen“ Gesellschaft.
  3. Außerdem macht der Sprecher deutlich, dass er seine eigene Meinung entweder nicht teilen möchte oder gar keine eigene Meinung zu dem Thema hat.

Diese Behauptung wirkt auf den ersten Blick vielleicht etwas dramatisch, aber ich möchte sie an einem Beispiel verdeutlichen.

Stell dir vor es geht in einer Geschichte um zwei Kinder, die sich nachts herumschleichen. Das Eine möchte die Abkürzung über den Friedhof nehmen, aber das Andere widerspricht. „Man soll doch nachts nicht mehr auf den Friedhof gehen.“

„Man“ ist eine anonyme und gleichförmige Masse.

Norm der Gesellschaft: Nachts auf dem Friedhof herumzuschleichen ist, aus was für einem Grund auch immer, nicht angesehen.

Sprecher wird durch die Gesellschaft ersetzt: Das Kind hätte genausogut sagen können „Ich möchte nicht über den Friedhof gehen.“, aber stattdessen hat es eine unbegründete Regel aufgezählt. Vielleicht um nicht wie ein Angsthase zu wirken oder weil es einfach nicht weiß, warum es diese Regel gibt, womit wir beim letzten Punkt wären.

Sprecher hat keine Meinung/will sie nicht teilen: In diesem Beispiel ist es wohl so, dass das Kind seine eigene Meinung nicht teilen möchte und deswegen die Normen der Gesellschaft vorschiebt. Das kann aus Angst vor dem Friedhof oder den Konsequenzen beim Erwischtwerden oder wegen etwas ganz Anderem sein.

„Man soll“ als Werkzeug beim Schreiben

Ich sehe zwei Große Gelegenheiten beim Schreiben, in denen dir „Man soll“ weiterhelfen kann. Zum einen für Kontraste und zum Anderen beim Worldbuilding.

Kontraste
Eine Figur, die häufig in „Man soll“-Sätzen spricht, ist wahrscheinlich der Inbegriff von lawful good, also einer Figur, die sich an das Gesetz hält und im Allgemeinen einfach „gut“ ist. Sie kann belehrend vielleicht sogar besserwisserisch sein. Das bietet einen schönen Spielraum für Kontraste.
Nur als Anregung: Entweder die Figur entwickelt sich im Laufe der Geschichte weiter und bildet sich eigene Meinungen („Man“-Sätze werden durch „Ich“-Sätze getauscht) oder die besserwisserische Einstellung bringt Konflikte gegenüber einer „Ich“-geprägten Figur (hier würde der Fokus auf den Kontrasten zwischen zwei Figuren stehen).

Gibt es eine einfachere Methode, die Regeln einer neuen Welt zu erklären, als sie einfach durch einen „Man soll“-Satz zu formulieren?

Worldbuilding
Gerade in der Fantasy kann es schwierig sein, neue Kulturen ausreichend einzuführen und zu erklären. Abhilfe schaffen, könnte eine gesetzestreue Figur, die die Regeln der Gesellschaft in „Man soll“-Sätzen darstellt.
Es ist vielleicht nicht die eleganteste Lösung, aber ein strategisch eingestreuter „Man soll“-Satz, kann dir das Leben und Schreiben deutlich erleichtern.

Schwierigkeiten
Ich habe es eben schon angedeutet: „Man soll“-Sätze sind kein Allheilmittel. Sie klingen schnell hölzern oder nach alten Weisheiten („Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.“ oder „Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist.“), deswegen solltest du sie mit Bedacht einsetzen.

Fazit

Es lohnt sich, hin und wieder über Formulierungen nachzudenken und sie in ihren Einzelheiten zu analysieren. So kann man neue Wege finden, Figuren zu charakterisieren und das Setting zu verdeutlichen. Vor allem unscheinbare Formulierungen können den Leser stark beeinflussen, ohne dass er es merkt.
Genauer hinzuschauen und zu hinterfragen, ist also immer eine gute Idee!

 


Versuch doch mal, dir eigene „Man soll“-Sätze auszudenken und sie in den Kommentaren nach meinen Drei Punkten aufzudröseln. Ich bin gespannt, ob du einen Satz findest, der nicht in mein Schema passt! 🙂

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5 Replies to “Die Macht von „Man soll“ – Eine notwendige Analyse”

  1. Elizzy says:

    Unglaublich, darüber habe ich mir nie genau Gedanken gemacht! Aber du hast absolut Recht – Wörter haben grossen Einfluss umso wichtiger ist es diese vor allem beim Schreiben richtig einzusetzen.

    Antworten
  2. Katharina says:

    Spannend. Soviele Gedanken habe ich mir über die Formulierung noch nie gemacht.
    Ich werde mal drauf achten, wo ich das so verwende. 🙂
    Grüße, Katharina

    Antworten
    1. Sina Bennhardt says:

      „Man soll“ ist nur eine von vielen solcher Formulierungen, über die man gar nicht nachdenkt, aber die trotzdem viele Implikationen mit sich tragen … ich habe mir tatsächlich mal überlegt, dazu eine kleine Serie zu machen …

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  3. Babsi says:

    Ohh ja!
    „Man muss/Man soll“ usw. – in meinem zweiten Praktikum in einer psychosomatischen Klinik hat eine Therapeutin immer gesagt, dass wir vermeiden sollten solche Formulierungen zu benutzen. „Man muss sowas doch aushalten/Man muss doch irgendwann mal wieder glücklich sein“ – um eben solche toxischen Glaubenssätze abzulegen, um Normen loszulassen.
    Fürs Storytelling ist das natürlich super interessant, wieder eine neue Perspektive. 😀
    Also danke für diesen Beitrag!

    LG
    Babsi

    Antworten
    1. Sina Bennhardt says:

      Freut mich, dass er dir gefallen hat 🙂

      Dass ich damit tatsächlich ein schon bekanntes Thema aus der Psychologie getroffen habe, war unerwartet, aber irgendwie bestätigt mich es gerade sehr in meinen Gedanken 🙂

      Antworten

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