Die passable Geschichte – Eine Gefahr für den Buchmarkt

Ich mache mir schon etwas länger Gedanken über ein Phänomen, das mir zuerst in Filmen aufgefallen ist, sich aber auch in Büchern wiederfinden lässt. Die mittelmäßige, nein, die passable Geschichte.

Es gibt immer mehr passable Bücher.

Das ist ein Fakt. Zum einen liegt es daran, dass der Buchmarkt ständig wächst und nicht jedes neue Werk ein Geniestreich sein kann und muss. Dennoch habe ich immer häufiger das Gefühl, dass viele Geschichten nur noch das Mindestmaß erfüllen. Und das halte ich für etwas Schlechtes.

Eine Definition: Was bedeutet „passabel“?

https://www.duden.de/rechtschreibung/passabel

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendeinen Autoren gibt, der absichtlich eine schlechte Geschichte schreiben möchte. Schließlich möchte man seiner eigenen Vision gerecht werden. Man steckt viel Zeit und Arbeit hinein, um das beste Ergebnis zu erzielen. Trotzdem lässt sich die Veröffentlichung eines schlechten Buches (aus dem einen oder anderen Grund) manchmal nicht umgehen. Aber selbst der unerfahrene Leser erkennt eine schlechte Geschichte. Solche Bücher sind nicht von Dauer, verkaufen sich nicht und verschwinden in der Versenkung.

Wenn diese Geschichten doch Popularität erreichen, dann gibt es einen allgemeinen Aufschrei der Empörung. Hier denke ich natürlich an Bücher wie 50 Shades of Grey [das ich selbst nur in Auszügen gelesen, aber nie gekauft habe]. Der Leser weiß, dass es „schlecht“ ist, vielleicht wird es eine guilty pleasure, aber es bleibt, was es ist.
Aber um diese Bücher soll es hier nicht gehen.

Die passable Geschichte

Was gefährlicher ist als ein schlechtes Buch, ist ein annehmbares Buch. Ein Buch, das eben okay ist, aber nicht viel mehr. Ein Buch, das eine Geschichte erzählt, aber aus irgendeinem Grund nicht berühren kann. Passable Bücher finden ihre Zielgruppe, werden gelesen und oft springt genug Gewinn dabei heraus, dass sich eine Fortsetzung lohnt.

Warum stört mich das?

Ich habe eine Gemeinsamkeit identifiziert, die viele passable Bücher und Filme haben: Sie spielen nicht in der richtigen Welt. Und Vorsicht: Damit meine ich nicht etwa Fantasy oder SciFi-Welten, sondern – ich stoße hier echt an die Grenzen meiner Formulierungsfähigkeiten – sondern Welten, voller Klischees und übersprungener Entwicklungen.

Die zerstörerische Kurzhand

Was meine ich mit Kurzhand? Das sind Dinge, die im „wahren“ Leben nie oder kaum passieren, aber in Geschichten  dafür umso häufiger. Ein paar Beispiele:

  • Das Liebespaar, das sich am Anfang der Geschichte hasst, aber am Ende zusammenkommt
  • Der Held und Antagonist sind „gar nicht so verschieden“
  • Stalking ist romantisch?
  • Tod, Gewalt und traumatische Ereignisse hinterlassen keine psychischen Schäden bei den Protagonisten
  • Jeder scheint willig für das „Große Ganze“ zu sterben

Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Man könnte diese Kurzhand auch als Klischees bezeichnen, aber ich halte Klischees nicht für etwas Schlechtes, aber das ist eine Diskussion für eine andere Zeit. Ich nenne es „Kurzhand“, weil sich der Autor an diesen Klischees bedient ohne das Minimum an Substanz dahinter zu stecken und (zu meinem Entsetzen) funktioniert es! Weil diese Klischees schon so in das kollektive Gedächtnis eingebrannt sind, dass sie weder Erklärung noch Entwicklung brauchen, um verstanden zu werden.
Und so kommt es in immer mehr Geschichten zu einer reinen Aneinanderreihung von Klischees und das hinterlässt den Leser … leer. Denn er weiß, was er hätte fühlen sollen. Die Zutaten waren da, aber es wurde nicht richtig zubereitet.

Die Lösung

Die habe ich natürlich nicht. Denn die passable Geschichte kann sich extrem gut tarnen und oft merkt man nicht, dass mein eines von ihnen in der Hand hatte, bis man es zu Ende gelesen hat.

Ist das passable Buch denn dann wirklich schädlich?

Ja.
Denn anders als das schlechte Buch (das leicht zu erkennen ist), verändert das passable Buch die Sichtweise des Lesers. Denn es ist good enough, um als gut bezeichnet zu werden und wenn man wagt es zu kritisieren, dann gibt es genug Leute, die einem widersprechen, dass man an sich und seiner Meinung zweifelt.

Im schlimmsten Fall werden großartige Bücher und passable Bücher auf eine Stufe gestellt, weil sie ja „im Grunde“ dasselbe tun. Nur eben mit dem Unterschied, dass eines von ihnen nur einen Katalog von Klischees abarbeitet und das andere berührt.

 


Was meint ihr? Ist euch die „Epidemie der passablen Bücher“ auch schon aufgefallen? Oder liege ich da vollkommen falsch?
Ich würde mich über eine Diskussion freuen!

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17 Replies to “Die passable Geschichte – Eine Gefahr für den Buchmarkt”

  1. -Leselust Bücherblog- says:

    Liebe Sina,
    Das ist wirklich ein interessanter Beitrag, der viel Stoff zum Nachdenken liefert. Ich habe mir um ehrlich zu sein so zu diesem Thema noch gar keine Gedanken gemacht. Das liegt aber vielleicht auch daran, dass diese Punkte, die du da angesprochen hast, nicht so sehr das Genre betreffen, das ich meistens lese. Trotzdem ein interessantes Thema, über das es sich mal weiter nachzudenken lohnt.
    Liebe Grüße, Julia

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    1. Sina Bennhardt says:

      Danke schön!
      Diese Klischees sind wahrscheinlich am meisten in Fantasy und SciFi verbreitet … und Actionfilmen 😀

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    2. Isabel says:

      Liebe Sina,
      eine interessante Betrachtung. In dieser Form habe ich es noch nicht betrachtet, hatte aber erst kürzlich das Gefühl alle Geschichten „schon zu kennen“ oder „Trendthemen“, die dann in vielen Büchern geballt auftreten, langweilig zu finden. Hatte das Gefühl, dass es an meinem Alter liegt?! Aber Deine Ausführung ist spannend. Man fragt sich halt auch, ob die Verlage die „leichte Kost“ bzw. „Was einmal funktioniert, dass geht auch mehrfach-Methode“ fordern und ggf. die Autoren/ innen wenig Wahlmöglichkeiten haben?
      Bin gespannt, was hier nocv an Kommentaren kommt. Liebe Grüsse Isabel

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      1. Sina Bennhardt says:

        Liebe Isablel,
        Ich denke, du hast sehr Recht mit deinen Vermutungen. Wahrscheinlich ist das Wahrnehmen der passablen Geschichten eine Mischung aus eigener Leseerfahrung und dem daraus resultierenden Anspruch an die Geschichten und der vermeintlichen „Sicherheit“ für die Verlage nach dem Motto „Was einmal funktioniert hat usw.“.

        Schade finde ich es so oder so. Umso mehr freue ich mich, wenn ich ein *richtig* gutes Buch in den Händen habe. Leider sind die oft viel zu schnell vorbei
        LG Sina

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  2. Venja says:

    Das ist eine krasse Analyse, aber absolut nachvollziehbar und beschreibt genau, warum ich in vielen Fällen „Mainstream-Literatur “ meide wie die Pest.
    Bei deiner Beschreibung ist mir als passables Buch sofort „Der Erdbeerpflücker“ eingefallen. Schon als ich es in der Schule lesen musste, hat mich daran etwas ganz extrem gestört und du hast es grade auf den Punkt gebracht. Es ist eben nur ein passables Buch (und nebenbei gesagt ist passabel ein tolles Wort).

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    1. Sina Bennhardt says:

      Den Erdbeerpflücker habe ich nie gelesen (zum Glück wie es aussieht).

      Aber diese Art von Kritik an passablen Büchern/Filmen fällt eben häufig auf taube Ohren und ich werde oft (und das auch, weil ich dann meinen Unmut vokalisiere) als „zu kritisch“ bezeichnet. 😀

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    2. Charlotte says:

      Sehr interessante Sichtweise – habe ich selbst noch nie drüber nachgedacht.. allerdings finde ich auch dass das die Einschätzung eines Buchs als ,,passabel’‘ immer höchst subjektiv ist – zumal gerade die unterschiedlichsten Sachen/ Situationen bei den verschiedenen Menschen unterschiedliche Emotionen und somit Gefühle hervorrufen – den Erdbeerpflücker (sowie einige der Fortsetzungen) fand Ich zum Beispiel mitreißend, spannend und dementsprechend für mich ein sehr gutes Buch.. 😉 allerdings müsste ich es vielleicht in meiner jetzigen Situation nochmal lesen um eine Aussage für jetzt machen zu können 😉 im Gegensatz zu Filmen die man vielleicht mit Leuten zusammenschauen kann (und man durch das Lachen der anderen, etc.) mitgerissen wird und den Film im Anschluss dann auch ,,gut’‘ findet, finde ich es wiederum viel schwieriger einen anderen von einem guten Buch zu überzeugen, da man dieses allein mit seiner eigenen Phantasie liest.
      Mithin denke ich, dass wir noch eine Weile vor einer Schwemme von ,,bloß passablen‘‘ Büchern geschützt sind.
      PS: passabel ist tatsächlich ein sehr hübsches Wort!

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      1. Sina Bennhardt says:

        Du hast natürlich Recht, wie man ein Buch bewertet ist immer sehr subjektiv. 🙂
        Und ich hoffe, dass du Recht hast mit deiner Prognose: Hoffentlich sind noch viele gute Bücher in unserer Zukunft! 😀

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  3. Susanne says:

    Liebe Sina,
    ich muss grad grinsen, denn „Fifty Shades of Grey“ habe ich gemeint bei meinem letzten Kommentar als es um das Thema Rezensionen ging. Da hab ich es nicht über das erste Kapitel hinaus geschafft. 😉 Deinen Artikel finde ich sehr spannend und muss gestehen, dass ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht habe. Mhmm. Ich kann nur wieder sagen, dass ich nur noch Bücher lese, die mich persönlich begeistern und dafür weniger. Passabl. Klingt übel. Wenn mein Buch einmal das Licht der Welt erblickt, dann hoffe ich, dass es zu mehr gehört, als zu den passablen. 😉
    Liebe Grüße,
    Susanne

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    1. Sina Bennhardt says:

      Es ist auch das Beste, wenn man einfach seiner eigenen Nase folgt, bei den Büchern, die man liest.

      Ich hoffe einfach auch, dass mein Buch (falls es denn jemals veröffentlicht wird) besser als passabel ist 😀

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  4. Nise says:

    Hallo Sina!

    Genau die von dir aufgeführten Punkte stören mich auch immer mehr. Ich denke, es liegt am Viellesen. Zum einen entsteht dadurch Übersättigung. Zum anderen weiß man dadurch auch, dass es viel besser geht. Doch diese besseren Bücher finden sich in der schieren Masse an Neuerscheinungen kaum.

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  5. Sina Bennhardt says:

    Genau das finde ich auch so schade:

    Dass potenzielle Perlen gar nicht entdeckt werden (oder wenn, nur durch pures Glück), weil es einfach „zu viele“ Bücher gibt. Natürlich freue ich mich immer über Nachschub, aber es ist immer traurig, wenn man darüber nachdenkt, was man alles verpasst. :/

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  6. Elena says:

    Schöner Beitrag, der auf meine volle Zustimmung trifft. Es gibt so viele passable Bücher, auch im Fantasy-Bereich, aber es fehlt an wirklich überragenden Büchern. Wie oft lese ich Geschichten, wo einige Elemente wirklich gelungen sind, aber andere leider schwächeln. Von mir aus könnte es viel weniger Neuerscheinungen geben und stattdessen Zeit und Energie in noch viel mehr Überarbeitungen gesteckt werden. Aber ich gebe natürlich zu, dass ich mich schwer täte, den doppelten bis dreifachen Preis für ein Buch zu bezahlen, auch wenn es doppelt bis dreimal so gut ist. Und für die Autor*innen wäre es wahrscheinlich auch schwierig, weil um die Qualität zu steigern, viel mehr Menschen an ihren Texten mitarbeiten müssten.

    Jedenfalls ist es wie mit Fernsehen aus meiner Sicht: Es ist jeden unbenommen, sich von „Sturm der Liebe“, „Unter uns“ oder „Alarm für Cobra 11“ unterhalten zu fühlen, aber ich strebe stärker nach Klasse statt Masse.

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    1. Sina Bennhardt says:

      Ja, leider ist diese Restriktion auf weniger aber überarbeitetere Bücher wohl kaum umsetzbar. Und da müsste ich auch dreimal gucken, ob ich bereit wäre den höheren Preis dafür zu zahlen.

      Ich muss aber auch sagen: Das passable Buch hat sein Publikum, wie alle anderen auch. Die einen wollen sich beim Lesen berieseln lassen und nicht nachdenken, die anderen wollen lachen und die anderen wollen emotional mitgerissen werden. Und genau wie du strebe ich eben auch nach „Klasse statt Masse“ und ein *passables* Buch ist da irgendwie eine Zeitverschwendung :/

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  7. Claus Vaske says:

    Danke! Mich nerven diese passablen, ich nenne sie „naheliegenden“, Stoffe auch ungemein, auch im Fernsehen, gerade bei Komödien und Comedy. Ein Beispiel war neulich für mich „Klassentreffen“ in der ARD. Das ist eine derart beliebige Idee, dass ich sie gar nicht erst angefasst hätte, und in der Umsetzung sind die Klischees eher altbacken. (Allerdings ist „Klassentreffen“ ein Impro-Versuch und deswegen vielleicht doch mutig und damit anschauenswert.) Allgemein diese Reisen in die Vergangenheit bei Hochzeiten von Freunden et cetera: beliebig, austauschbar. Die meisten Roadtripps: völlig beliebig, reine Nummerngala. Vor ein paar Jahren waren gleichzeitig drei Bücher am Markt, in denen jemand eine Reise mit einem Esel unternahm, und dann wanderte Michael Kessler auch noch mit einem Esel durch Ostdeutschland. WARUM? Das ist so feige, so denkfaul. Vorbild war „Zwei Esel auf dem Jakobsweg“ des wundervollen Tim Moore, der allerdings immer ein klarer Lesetipp ist, wenn man auf Comedy und/oder Radsport und/oder Geschichte steht.
    Ich weiß aber aus eigener, bitterer Erfahrung auch, dass originelle Stoffe aus Verlagssicht schwerer zu verkaufen sind, weil das Marketing schwieriger ist: Man hat mehr zu erklären, der Weg in den Einkaufskorb der Kundin ist länger. Mein letzter Roman ist eine Gespenstergeschichte für Erwachsene. Hat am Büchertisch nicht jeder verstanden. Zumindest in Deutschland ist das breite Publikum auch genügsamer, und ich fürchte darüber hinaus: Jene Konsumenten in Deutschland, die an komplexeren Stories interessiert sind, sind längst zu Netflix abgewandert. Die lesen kaum noch und schauen auch keine deutschen TV-Sender mehr.
    Ein weiterer Aspekt: Eine komplexe Story erfordert viel Arbeit, die aber nicht entlohnt wird. Der Vorschuss bleibt immer gleich, ob Du nun die Buddenbrooks schreibst oder den lauen Abklatsch eines Hera-Lind-Romans von 1995 ablieferst. Folgt man einem Kosten-Nutzen-Ansatz, dann fällt die Entscheidung vermutlich gegen eine radikale Idee aus. Und wenn die Verlage dann auch noch diese klaren Ideen bevorzugen, weil sie sich besser vermarkten lassen, wird es für originelle Ansätze schwierig. „Starke“ Ideen werden dann aus dem Ausland zugekauft.
    Bücher werden auch weniger gut ausgearbeitet, da die Autorentätigkeit mehr und mehr als Hobby betrachtet wird oder als Marketing für jene Bereiche, in denen Autorin/Autor Geld verdienen kann. Und wenn Bücher eher nebenher, vielleicht auch von weniger qualifizierten Autorinnen und Autoren geschrieben werden, leidet nun mal das Qualitätsniveau insgesamt, auch wenn im Einzelfall noch tolle Stories entstehen können.
    Leider verprellt man damit: Dich. Womit die Branche sich selbst schadet, denn das Angebot insgesamt wird mainstreamiger und weniger faszinierend, wodurch man wiederum Kundschaft verliert. Siehe oben. Eine echte Lösung sehe ich nicht.

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    1. Sina Bennhardt says:

      Wow Claus! Erst einmal danke für deinen langen und ausführlichen Kommentar!

      Ich wünschte, ich könnte noch etwas Intelligentes hinzufügen, aber du hast es perfekt zusammengefasst. Ein Heilmittel sehe ich leider auch nicht, nur den langsamen Qualitäts-/Ideenverfall des deutschen Buchmarktes. Man kann nur hoffen, dass es in der (hoffentlich) nahen Zukunft ein paar Verlage geben wird, die bereit sind ein Risiko mit komplexen und neuen Geschichten einzugehen.

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  8. Claus Vaske says:

    Gern geschehen. Ich habe einfach nur Deine Steilvorlage genutzt. 😉 Ich liebe Unterhaltung, gute Stories liegen mir am Herzen und ich würde gerne mehr davon sehen und lesen!

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