Glück braucht den Schatten des Leidens
Sinthia hatte einen schlechten Geschmack im Mund. Sie öffnete blinzelnd ihre verklebten Augen und grelles Neonlicht blendete sie. Jemand hämmerte gegen ihre Tür.
»Sinthia? Bist du da?« Es war Ezri.
Jeder Muskel in ihrem Leib schmerzte, sie roch nach kaltem Schweiß. Vorsichtig begann sie sich zu rühren und ein atemloses Stöhnen korch über ihre Lippen. Die Scherben, die unter ihrem Körper begraben waren, knirschten. Sinthia verzog das Gesicht. Helles Blut floss über ihre Haut und mischte sich mit einer klaren Flüssigkeit auf dem Boden. Sie sprang auf. Das Glück!
Sinthias Füße waren zerschnitten. Bumm, bumm, bumm! Das laute Klopfen hallte dumpf durch ihren Kopf.
»Sinthia! Mach auf!«
Sie hörte im Flur eine Tür knallen.
»Jetzt sei still, du dumme Göre! Andere wollen hier schlafen.«
»Tut mir Leid, aber …«
»Kein Aber, Fräulein! Sie sind jetzt still, oder ich rufe die Polizei!« Die Tür wurde zugeschlagen.
Sinthia humpelte auf die Tür zu. Sie hinterließ blutige Fußabdrücke auf dem Boden. Was hatte sie nur getan? Was war nur über sie gekommen? Mit einer Hand rieb sie sich die Schläfen. Was war eigentlich genau passiert?
Es klopfte erneut an der Tür. Diesmal leise. »Sinthia!«, flüsterte Ezri durch die Tür, »Mach bitte auf, ich mache mir Sorgen.«
Sie tastete sich halb blind an der Wand entlang, denn das Neonlicht biss unangenehm in ihre Augen.
»Sinthia?«, kam Ezris Stimme von draußen.
Sinthia griff nach der Klinke und die Tür schwang auf. Vor ihr stand Ezri mit einem besorgten Gesichtsausdruck, lose Strähnen waren aus ihrem strengen Zopf gefallen. Für einen Moment sah es aus, als wollte sie Sinthia um den Hals fallen, doch sie tat es nicht.
Einen Moment sahen sich die beiden schweigend an. »Du siehst schlimm aus«, sagte Ezri schließlich zögerlich.
Sinthia grunzte. »Nicht so schlimm wie ich mich fühle.«
Sie ließ Ezri an sich vorbei in die Wohnung. »Ich bin gekommen, um … oh mein Gott! Was ist denn hier passiert?!« Ezri starrte auf die Scherben am Boden. Sie waren mit Sinthias Blut benetzt. »Geht es dir gut? Müssen wir ins Krankenhaus?«
Sinthia rieb sich die Augen. »Nein, nein. Alles gut. Das ist nur …«, sie wurde immer leiser und räusperte sich, »Gar nichts. Alles ist gut.«
Ezri schüttelte fassungslos den Kopf. »Bist du dir sicher? Ich kann …«
»Nein!«, unterbrach Sinthia sie ein wenig heftiger als gewollt, »Brauchst du nicht. Warum bist du vorbeigekommen?« Sie schlang die Arme um sich und fröstelte.
»Ich … äh …«, Ezri riss sich von den glitzernden Scherben los, »Frau Valkyrie ist außer sich. Sie will ihr Glück zurück. Ich konnte sie noch davon abhalten direkt die Polizei zu holen, aber wenn du ihr nicht morgen die Flasche zurückbringst, dann …«
»Ich hab sie nicht mehr«, sagte Sinthia dumpf.
»Du hast sie schon verkauft?«, Ezri ging unruhig auf und ab, »Das können wir noch hinbiegen. Gib Frau Valkyrie die Credits, die du dafür bekommen hast. Ich bin mir sicher, wenn du dich ernsthaft entschuldigst, wird sie dich gehen lassen. Und …«
»Du verstehst nicht. Ich habe sie nicht mehr.« Mit einer fahrigen Handbewegung deutete Sinthia auf den Boden.
Ezri folgte ihrem Fingerzeit mit dem Blick und schlug sich dann die Hand vor den Mund.
»Du hast doch nicht …?«
»Nicht absichtlich«, sagte Sinthia und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Allmählich spürte sie die Schmerzen von ihren zerschnittenen Fußsohlen und Unterarmen.
»Natürlich nicht.« Ezri ließ sich neben sie sinken. »Wir kriegen das hin.« Ihre Stimme klang nicht wirklich zuversichtlich. Sinthia presste die Lippen aufeinander. Sie spürte Tränen in ihren Augenwinkeln. Sie hatte alles versaut.
Ezri nickte in Gedanken versunken. »Wir bekommen das hin.« Sie klatschte ihre Hände zusammen. »Erst einmal verarzten wir deine Arme und Füße. Hast du einen erste Hilfe Koffer oder eine Arzneitasche oder so?«
»In dem Schrank da.« Sinthia wischte sich die Tränen aus den Augen und zog die Nase hoch.
Ezri zog die eine kleine Box aus dem Schrank und verteilte den Inhalt auf den Tisch vor Sinthia. Schmerztabletten, Desinfektionsmittel, Verband, Pflaster, Pinzette und Schere. Es war dürftig.
»Dann fangen wir mal an.«
Ezra schien froh, dass sie eine Aufgabe gefunden hatte. Mit Desinfektionsmittel und Pinzette bewaffnet, kümmerte sie sich um die Schnitte auf Sinthias Unterarmen. Sinthia war wie betäubt. Da war ein Ozean an Sorgen und Ängsten, der über ihr hereinbrach, aber sie war unfähig sich zu bewegen. Sie trieb in schwarzem Wasser und es war kein Land in Sicht. Sie konnte keine Medizin mehr kaufen. Die Polizei würde sie holen. Sie würde ins Gefängnis gesperrt. Sie würde ertrinken.
Ezri umwickelte ihren linken Unterarm mit einem Verband. Auf dem Tisch vor ihr lagen zahllose Scherben in unterschiedlichen Größen. Sinthia spürte das Brennen des Desinfektionsmittels, aber sie beschwerte sich nicht.
»Wir kriegen das hin«, murmelte Ezri immer wieder.
Es war ihr eigenes kleines Mantra, das ihr Sicherheit versprach. Sinthia hatte ihr eigenes. Alles ist gut. Alles musste gut sein. Sie war schließlich für ihren Vater verantwortlich. Wenn nicht alles gut war, dann hatte sie versagt. Dann wäre es ihre Schuld.
Ezri verband ihren rechten Arm. »So, Kleines, gib mir mal deinen Fuß. Dass du überhaupt noch laufen kannst.« Sie schüttelte den Kopf und legte Sinthias Fuß in ihren Schoß.
Sinthia protestierte nicht.
Es war sowieso alles egal. Sie war verloren. Sie hatten kein Geld und Frau Valkyrie würde nur denken, dass die zerbrochene Flasche eine Ausrede war. Und das Geld, das Glück zu bezahlen, hatte sie auch nicht. Wie viel wahr flüssiges Glück wert?
500 Credits? 600?
Eine Flasche war ein Vermögen. Mehr als Sinthia in einem Jahr verdienen konnte, selbst wenn sie in zwei Jobs gleichzeitig schuftete. Was würde aus ihrem Vater, wenn sie weg war? Sie würde die Miete nicht mehr bezahlen können. Sie würden die Wohnung verlieren. Ihr Vater wäre obdachlos. Obdachlos und krank.
Er würde kein Jahr in den Abgasen der Straße überleben.
Und wenn sie ihre Zeit abgesessen hatte, würde niemand sie mehr einstellen. Wer wollte schon einen Dieb für sich arbeiten haben?
»Alles ist gut«, flüsterte sie leise, aber das war gelogen. Nichts war gut.
Wie kommt Sinthia da wohl noch raus?
Die Nachwirkungen vom Glück sind ja richtig böse. Bleiben sie ansonsten aus, wenn man immer weiter Glück konsumiert oder haben das die Reichen auch?
Ansonsten, das ist echt eine miese Situation für Sinthia. Dank Ezri hat sie ein wenig Zeit, aber ein halbes Vermögen innerhalb eines Tages aufzutreiben, scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Denn selbst wenn sie in dieser Lotterie gewinnt, dann bekäme sie ja „nur“ ein Ticket zu diesem Reset-Camp. Und wenn sie dort Kontakt zu Reichen herstellen kann, heißt das ja nicht, dass die ihr sofort so viel Credits geben würden…
Da ich ja gerade AC spiele, war mein erster Gedanke die Problemlösung des Protagonisten. Die wäre „Töten“, aber ich glaube weder, dass Sinthia das könnte (von ihrem Charakter her), noch, dass sie es unauffällig schaffen würde. ^^“
Demnach lasse ich mich gern von deiner Lösung überraschen. Vielleicht schafft sie es auch tatsächlich nicht und muss ins Gefängnis. Wer weiß?
Liebe Grüße!
Die Reichen haben diese Nebenwirkungen auch, aber die haben zum Einen direkt die Möglichkeit „nachzufüllen“ und sie fangen mit dem Trinken nicht wie Sinthia direkt nach einer Spende an. Deswegen sind die Nebenwirkungen bei den Reichen wohl eher zu vergleichen mit einem leichten Kater.
Nächste Woche wird es aufgelöst, was passiert 🙂 Mal sehen 😉
Das stimmt natürlich, das habe ich nicht bedacht. ^^ Sinthia ist ja emotional quasi ganz unten gewesen, weswegen der Effekt dann deutlich stärker ist. Die Reichen sind ja immer mehr oder weniger auf einem „normalen“ Level und sie spenden ja auch nicht.
Ich bin mal gespannt. 🙂
Und es freut mich, dass du es zwischen deine 1000 KG Ideen noch geschafft hast, hier weiter zuschreiben. 😀
Es hat ja auch lange genug gedauert, bis ich endlich zu dieser Geschichte zurückgekehrt bin 😀
und jetzt werde ich die KGs immer fertig schreiben, bevor ich das erste hier poste. Man lernt ja aus seinen Fehlern 😉