Des Glückes Schmied, Kapitel 4

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Es hat etwas gebraucht, bis ich dieses Kapitel geschrieben hatte. Ich hatte meine Inspiration verloren, aber mit einer Reggae-Playlist ist es dann voran gegangen und ich habe meinen Groove wieder gefunden. 🙂 Falls das letzte Kapitel in der Zwischenzeit in Vergessenheit geraten ist, gibt es *hier* noch einmal einen Link dazu (öffnet sich in neuem Tab).

Viel Spaß beim Lesen.

 

Glück und Glas, wie leicht es bricht

Die leise Melodie des Fahrstuhls hallte durch Sinthias Kopf. Fast war es, als hätte jemand ihre Wahrnehmung auf Zeitlupe gestellt. Die Töne zogen sich in die Länge, spannten sich wie pinkes Kaugummi um ihren Kopf. Unwillkürlich musste sie grinsen. Ihr war noch nie aufgefallen, wie schön diese Musik war. Sie schloss die Augen und wiegte sich im Takt, jeder Gedanke an die letzten Stunden war vergessen.
Es zählte nur der Augenblick. Die Musik, die wie Wassertropfen von einem Sektglas von den glänzenden Fahrstuhlwänden abperlten. Mit einem frischen Ping! glitt die Fahrstuhltür auf. Sinthia öffnete die Augen. Ein Mann in einem edlen Anzug stieg zu ihr in den Aufzug und drückte den Knopf für das Erdgeschoss.
Sinthia lächelte ihn breit an. Sie konnte nicht anders. Ihn schien eine goldene Aura zu umgeben, als würde eine Sonne hinter ihm brennen. Er lächelte zurück und ein neues wohliges Gefühl, das jede Faser ihres Körpers erzittern ließ, durchflutete sie.
Sie wollte etwas sagen, aber ihre Zunge war schwer und so sie lächelte nur noch breiter, wiegte sich im Takt der leisen Musik. Sinthia machte eine kleine Pirouette und erhaschte einen Blick auf ihre Silhouette im Spiegel des Fahrstuhls. Sie hielt inne und sah sich an.
Sie war wunderschön. Ihre Wangen leicht gerötet, wie man es mit Rouge kaum hinbekam, große Augen und das teuerste Lächeln, das sie in ihrem Leben je gesehen hatte. Sinthia machte noch eine Pirouette, ließ sich dabei nicht aus den Augen. Den Mann, der sich mit ihr im Aufzug befand, hatte sie vergessen. Er war nicht mehr als ein Schatten im Hintergrund.
Ein erneutes Ping! ließ sie aufschauen. Das Erdgeschoss. Stinkende Abgase wehten ihr entgegen, aber sie erkannte die Schönheit in den widerlichen Aromen. Es war nicht irgendein Gestank, es war der Geruch des Lebens, der eine ganz eigene Schönheit hatte. Ihr Lächeln war so breit, dass ihre Augen tränten. Eine Maske zu tragen wäre Verschwendung. Die ganze Welt sollte wissen, dass sie glücklich war.
Sie hüpfte hinaus auf den Bürgersteig, die Flasche mit Glück fest mit der Hand umklammert.
Die Menschenmassen, die sich auf dem Bürgersteig befanden, teilten sich vor ihr. Sinthia schenkte jedem von ihnen ihr breitestes Lächeln. Ob es erwidert wurde, wusste sie nicht, denn die anderen trugen Masken. Aber es war egal. Die Welt war ein perfekter Traum, die Kakophonie der Autos ein grandioser Soundtrack.
Neben ihr hielt ein Taxi.
»Meine Herrin! Darf ich Ihnen eine Fahrt anbieten?«
Sinthia sah zu ihm hinüber. Ein gezwungenes Lächeln war auf dem Gesicht des Fahrers. Wie konnte er nicht glücklich sein? Die Welt war doch perfekt!
Sie stieg zu ihm ins Taxi und nannte ihre Adresse. Die Luft im Auto war frisch und kühl. Sinthia atmete tief durch und gönnte sich noch einen Schluck des flüssigen Glücks. Der Rausch erfasste ihren Körper mit neuer Stärke. Ihre Muskeln spannten unfreiwillig. Ihre Wangen schmerzten. Sie liebte jede Sekunde. Die köstlichen Schmerzen ergriffen ihren ganzen Körper.
So fühlten sich die hohen Level den ganzen Tag. Sie konnte es kaum glauben.
Sinthias Augen rollten in ihren Höhlen zurück. Ein Kaleidoskop aus Farben schloss sie von allen Seiten ein. Jede Farbe hatte seine eigene Melodie, jeder Ton seinen eigenen Geruch. Rosen, Jasmin, ein Hauch von Tabak. Pfirsich, Orange und Rosen. Rosen. So viele Rosen.
»Wir sind da!«
Sinthia lächelte zur Antwort und zog sich aus dem Taxi. Der Mann hatte ein Trinkgeld verdient. Sie war ja gerade erst spenden gewesen. Geld hatte sie genug. Sie überließ ihm drei Credits und wankte auf die Eingangstür zu. Ihr war nie aufgefallen, wie viel Talent in die Graffittis geflossen war. Die leuchtenden Farben. Der ausgefallene Stil.
Sie musste stehen bleiben, um sie zu bewundern.
Warum war sie nur so müde?
Von einem inneren Lied getrieben, tanzte sie den Flur entlang. Ihre Schlüssel klimperten eine frohe Melodie. Sie nahm noch einen Schluck, bevor sie ihre Tür aufschloss. Sie kickte ihre Schuhe von den Füßen und groovte weiter voran. Heute war ein wirklich guter Tag. Der erste gute Tag seit Jahren. Alles lief perfekt.
Sie hatte noch nicht einmal Hunger. Nein, sie war vom Haaransatz bis zu den Zehenspitzen gefüllt mit Glück und mochte fast platzen. Mit einem unterdrückten Lachen stellte sie das flüssige Glück auf dem Tisch ab. Sie brauchte Platz um zu tanzen und das tat sie.
Sie spürte den Schweiß in kleinen Perlen an ihrem Körper hinablaufen. Egal. Ihrer Freude musste Ausdruck verliehen werden. Ihre Bewegungen wurden schneller und wilder. Eine Umdrehung mit ausgestreckten Armen. Sie streifte die blaue Flasche und sie fiel mit einem herrlichen Klirren zu Boden. Ach, was würde sie geben dieses Geräusch nochmal zu hören.
»Sinthia?«, rief ihr Vater, »Bist du das?«
Nicht jetzt, alter Mann, siehst du denn nicht, dass ich glücklich bin?
Sinthia tanzte durch die Scherben und zog weitere Gläser aus den Schränken. Klirr, Krach, Pling! Sie zersprangen auf dem Boden und hinterließen einen glitzernden Teppich aus Regenbogen-Spitzen.
»Sinthia?«Ihr Vater klang besorgt.
»Alles gut, Paps!«, säuselte sie über das Klirren hinweg, »Alles ist perfekt!« Sie lachte ausgelassen.
Sinthia spürte nicht, wie der Regenbogen auf dem Boden ihre Füße aufschnitt. Sie tanzte weiter. Die Sonne verschwand und sie tanzte immer noch. Die Neonröhren flackerten auf und sie tanzte immer noch.
Irgendwann packte sie die Müdigkeit. Sie rollte sich auf dem glitzernden Boden zusammen. Und in ihrem Traum trieb sie auf einem Meer aus tausend Diamanten, das sie direkt zur Sonne brachte.

 


Wie wird Sinthia wohl am nächsten Morgen reagieren, wenn das flüssige Glück nicht mehr wirkt?

Kapitel #5 »

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2 Replies to “Des Glückes Schmied, Kapitel 4”

  1. Levi says:

    Hui, das Zeug hat ja echt eine extrem berauschende Wirkung. Kein Wunder, dass die Reichen das immer und immer wieder trinken wollen. Es macht vermutlich auch extrem süchtig. Wenn man einmal weiß, wie es ist, so voller Glück zu sein, will man vermutlich auch nicht wieder aufhören. Für Sinthia wird das bestimmt nicht einfach werden, zumal sie ja immer noch das Problem hat, dass sie die Flasche ja geklaut hat.
    Ich nehme mal an, dass sie am nächsten Morgen erstmal extrem erschrocken sein wird, zumal ihr Gesicht und ihre Füße ja noch voller Schnittwunden sind. O_O

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    1. Sina Bennhardt says:

      Ja, auf Sinthia kommt noch einiges zu. Und nach dem High, das sie dieses Mal hatte, wird es wohl auch nicht besser :/

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