Die Macht des falschen Plottwists

In diesem Artikel soll es um ein Thema gehen, das mir (nicht zum Ersten Mal) in einem Buch über den Weg gelaufen ist und das auch in Filmen immer häufiger vorkommt. Aber bevor ich anfange:

[Spoilerwarnung für Illuminae von Amie Kaufman und Jay Kristof]

Zuerst müssen wir eine Sache klären.

Was ist ein Plottwist?

„A plot twist is a literary technique, introducing a radical change in the direction or expected outcome of the plot in a work of fiction.“ – wikipedia.org/wiki/Plot_twist

Ein Plottwist ist nichts Anderes als eine überraschende Wendung in der Geschichte, die manchmal sogar das bereits Geschehene in ein anderes Licht rückt. (Man denke an The Sixth Sense.)

Ein guter Plottwist nähert sich dem Leser vollkommen unbemerkt und ist rückblickend schrecklich auffällig. Das ist auch das Schwierige daran: der Leser darf es nicht kommen sehen und es darf gleichzeitig nicht an den Haaren herbeigezogen sein.
Ich möchte allerdings nicht erklären, wie man einen guten Plottwist macht, sattdessen möchte ich auf einen Missstand hinweisen, der besonders in Filmen, mittlerweile aber auch in Büchern, immer weiter Fuß fasst.

Der Plottwist-Plottwist. Oder Fake-Out.

Den Begriff habe ich mir selbst ausgedacht (voll kreativ) und ich möchte ihn an einem Beispiel erklären. [Achtung hier kommen die Spoiler!]

In dem Buch Illuminae wird die Protagonistin Kady von der künstlichen Intelligenz AIDAN dazu überredet, sich in eine wahnwitzige Rettungsaktion für ihren Freund Ezra zu stürzen. Sie hält per Chat Kontakt mit ihm (Ezra) und er sagt ihr, wo sie ihn finden kann. Als sie schließlich an dem Punkt ankommt, wo er sich verstecken soll, ist er nicht aufzufinden und AIDAN eröffnet Kady, dass Ezra schon lange tot ist.
AIDAN hat Ezras Chatverhalten analysiert und imitiert, um Kady hereinzulegen. Die gesamte Zeit hat sich Kady mit AIDAN unterhalten.
*mind blown*

An dieser Stelle war ich wahnsinnig begeistert. Am Boden zerstört und geschockt, aber begeistert. Ich liebe echte Konsequenzen, vor allem wenn der Protagonist nicht immun ist. Und es sah auch so aus, als würde die Geschichte es tatsächlich durchziehen.

Bis 12 Seiten vor Ende.

Da taucht Ezra wieder auf. AIDAN hatte gelogen. Der Plottwist wurde rückgängig gemacht.

Worte können nicht ausdrücken wie enttäuscht ich war.

Das war genau wie in Star Wars: Die letzten Jedi. [Spoiler] Ich hätte kopfschüttelnd aus dem Kino rennen können, als Leia, nachdem sie gefühlt eine halbe Minute „tot“ durch das All getrieben ist, plötzlich die Macht benutzt hat, um sich zurück auf ihr Schiff zu transportieren.

Einmal meine Gedanken, wie sie so ungefähr live waren.

„So stirbt Leia also. 🙁 Ein gutes Ende für sie. Das …

Hä? Was?

… das bedeutet also, dass niemand sterben kann. Toll. *sarkastisches Daumen hoch*“

Und ab dem Punkt war für mich einfach die gesamte Spannung raus und der Film bestenfalls kopfloses Popcorn-Kino.

Warum ist ein Fake-Out so schlimm?

Als Autor kann man nicht beides haben: den emotionalen Herzschmerz, weil eine Hauptfigur gestorben ist, und ein kuscheliges Ende, in dem alle leben. Das schließt sich einfach gegenseitig aus.

Denn wenn man es versucht, fühlt sich der Leser am Ende nur betrogen. Alle Emotionen, die man gefühlt hat sind falsch. Und wenn das keinen bitteren Nachgeschmack hinterlässt, dann weiß ich auch nicht.

Außerdem macht es die gesamte Charakterentwicklung, die nach dem Plottwist Fake-Out passiert ist, sofort wieder rückgängig. Der Protagonist entwickelt sich nicht weiter = langweilig!

Aber leider wird es nur schlimmer. Je öfter ein Leser über einen solchen Fake-Out stolpert, desto weniger wird er einem Plottwist vertrauen. Sobald eine überraschende Wendung kommt, wird er brutal aus der Welt des Buches gerissen werden und das ungute Gefühl haben, dass das alles nicht sein kann. Misstrauen ist der größte Feind Immersion. Gerade bei Illuminae wirkte es so, als wäre Ezra nur „wiederbelebt“ worden, weil es eine Fortsetzung geben sollte und irgendwer nicht wollte, dass es nur mit Kady weitergeht.

Warum schreibe ich das?

Ich schreibe darüber, weil ich bisher noch kaum jemanden habe darüber schreiben sehen. Und es ist eines der Dinge, die ich hasse wie die Pest und die mir auf 12 Seiten fast ein ansonsten absolut exzellentes 600 Seiten Buch vermiesen können.

 


Was ist etwas, das du in Geschichten so gar nicht leiden kannst? Was denkst du über solche Fake-Outs?

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15 Replies to “Die Macht des falschen Plottwists”

  1. Cathy says:

    Ich verstehe dich soooo gut!
    Ich kann das auch nicht leiden. Warum etwas wieder aufheben, was doch so gut funktioniert hat, was so wunderbar Gefühle (welcher Art auch immer) ausgelöst hat? Und gerade diese mindblowing (ich finde es gibt einfach keine gute deutsche Übersetzung für dieses Wort) Plottwists à la M. Night Shyamalan sind es doch, die eine normale Geschichte zu einer genialen machen.
    „The Village“ zum Beispiel war 90 % lang ein durchschnittlicher, an manchen Stellen leicht merkwürdiger Film, der erst durch das Ende genial wurde und einen fassungslos zurück gelassen hat – mich jedenfalls.
    Bücher mit solchen Twists kenne ich kaum – mag aber daran liegen, dass ich häufig Romane lese und dann eher Geschichten erwische, die nicht auf so einen weltzerrüttenden Twist aus sind. Das letzte Buch in dem ich von einem Plottwist begeistert wurde, war „Böses Kind“ von Martin Krist. Wenn du (oder sonst jemand) aber Empfehlungen hat – immer her damit. 🙂
    Illuminae klingt nach einem Buch, das mir durchaus hätte gefallen können, aber ich wäre vom Ende genauso enttäuscht gewesen wie du. Kein Happy End, wo es nicht hingehört. Schade, für die Geschichte.

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    1. Sina Bennhardt says:

      Böses Kind muss ich dann ganz dringend mal lesen!!!
      Leider fällt mir so aus dem Stand auch kein gutes Buch mit einem krassen (richtigen) Plottwist ein :/ Aber ich werde dir auf jeden Fall Bescheid sagen, wenn mir eins einfällt 😉

      Ich werde wohl auch noch (mit ein bisschen Vorbehalt) die Fortsetzung von Illuminae lesen. Mal sehen…

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      1. Cathy says:

        Hach ja, ne Chance kann man der Fortsetzung ja geben. Vor allem wenn einem das Buch ja grundsätzlich gefallen hat.

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  2. Elisa says:

    Hallo Sina,

    ich habe zwar eine andere Meinung zu Star Wars, aber ich kann dir ansonsten nur zustimmen.
    Ich hasse solche Fake Outs. Besonders schlimm ist, wenn ein Charakter erst tot zu sein scheint und dann ein paar Seiten später herauskommt, dass er doch noch lebt. Das wird in Büchern, Filmen und Serien viel zu oft benutzt. Es gibt ja mittlerweile die Regel man soll in Geschichten niemanden für tot halten, solange nicht die Leiche gezeigt wurde und das stimmt leider. Besonders schlimm finde ich Bücher oder Serien, die das von dir beschriebene nicht nur einmal, sondern mehrmals machen. Da glaubt man irgendwann nicht mehr, dass ein Charakter wirklich tot ist.

    Liebe Grüße
    Elisa

    Antworten
    1. Sina Bennhardt says:

      Oh Gott, in welchen Serien passiert das denn mehrmals?!! Ich wurde bisher zum Glück nur mit einmaligen Fake-Outs konfrontiert.
      (Außer bei Supernatural, da ist das ja mittlerweile ein Running Gag 😀 )

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      1. Gabi says:

        Mir fällt dazu die Serie Gotham ein. Da wusste man irgendwann, dass die Gestorbenen wieder auftauchen – meist noch böser oder mit ner neuen Superkraft. Ich glaub Pinguin war mindestens drei Mal tot. In dieser Serie gab es dafür sogar eine eigene Figur, die jeweils in den Plot geholt wurde, wenn wieder mal einer der Protagonisten zu viele Löcher im Bauch hatte.

        Aber ich oute mich: Ich liebe es, wenn die Figuren unbesiegbar sind. Ich gebe es zu. Meine eigenen sind es nicht, aber es gefällt mir, wenn ich es konsumiere. 😉

        Danke für deine informativen Artikeln. Ich lese sie gerne.
        LG Gabi

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  3. Ladysmartypants says:

    Hallo 🙂
    Mir fällt gerade auf Anhieb kein Buch ein, in dem der Autor einen ähnlichen Ablauf gewählt hat, aber ich denke, ich kann deine Reaktion verstehen – irgendwie. Ich persönlich wäre wohl erleichtert (?) gewesen, bin mir jetzt aber selbst nicht sicher, wie ich reagieren würde. Aber, und jetzt kommts, manchmal ist es vielleicht wirklich besser, wenn ein Charakter tot bleibt. Versteh mich nicht falsch, ich liebe Happy Ends, aber wenn die dann total erzwungen wirken, dann brauch ich sie auch nicht. Und genau dieses Gefühl bekomme ich von deiner Beschreibung. Es wirkt erzwungen. Ich denke, als Autor muss man es auch mal wagen, ein nicht ganz so glückliches Ende einfach stehen zu lassen. Es ist, was es ist. Beispiele dafür sind für mich Hunger Games und die Divergent Reihe, wobei ich definitiv nicht mehr zu den Enden sagen möchte, falls du die Bücher nicht kennst.
    Auf alle Fälle ein toller Beitrag 🙂

    Liebe Grüße,
    Smarty

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    1. Sina Bennhardt says:

      Ich mag es eben sehr gerne, wenn ich mich um die Protagonisten fürchten muss! Und da ist es eben (wenn es von der Story her passt) super spannend eine der Hauptfiguren umzubringen und er dann auch tot bleibt.

      Hunger Games habe ich gelesen und fand das Ende sehr mäßig.
      Divergent habe ich noch nicht gelesen, aber nachdem ich den ersten Film davon gesehen hatte, besteht da auch kein allzu großes Interesse von meiner Seite. 😀

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  4. Elena says:

    Mich stören Fake-Outs auch total. Vor allem, weil die ja oft nur dazu dienen, damit es doch noch ein „Happy End“ gibt. Das ist für mich aber KEIN guter Grund. Es ist gefühlt oft so, wie Elisa es geschrieben hat: Es muss mindestens die Leiche vorgeführt werden oder der Charakter lebt höchstwahrscheinlich noch. Und irgendwie entwertet das Tode generell.

    Anders sehe ich das allerdings bei großen Fantasy-Sagas mit vielen Figuren, wo ab und zu mal ein Charakter verschwindet oder tot geglaubt wird. Da geht es dann allerdings meist auch nicht um das Happy End, sondern der Charakter konnte dann in der Zwischenzeit wertvolles Wissen in Erfahrung bringen.

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    1. Sina Bennhardt says:

      Und dieser „Beweiszwang“ mit vorgeführter Leiche geht mir eben total auf den Keks. Sogar MIT Leiche (man denke an die Serie Sherlock, ich hoffe das war jetzt kein Spoiler) kann es sein, dass die Figur noch lebt. Es ist echt zum Mäuse melken.

      Klar, gibt es je nach Genre unterschiedliche Erwartungen und Toleranzgrenzen, aber gerade wenn der Tod der Figur bezeichnend für den Ausgang der Geschichte war, finde ich so einen Fake-Out eine etwas feige und billige Lösung.

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  5. Sarah | Pergamentfalter says:

    Hey Sina,

    endlich spricht es mal jemand aus!
    Ich finde das auch sooo furchtbar. Da leidet man in einer Geschichte mit, ist vollkommen gebannt und dann – puff. Alles weg. Bei Geschichten, die Twists zurücknehmen, geht mir einfach die Glaubwürdigkeit verloren. Selbst wenn es in der Geschichte letztlich alles logisch erklärt wird. Schön und gut, trotzdem komme ich mir am ehesten verarscht vor (auch wenn zB sehr geliebte Charaktere plötzlich wieder lebendig sind und das eigentlich toll ist).
    Was ich dagegen irgendwie cool finde, ist so eine Art dreifacher Twist, sprich Plottwist – Fake Out (cooler Begriff!) – Plottwist, der das Fake Out zunichte macht. Hatte das in einem Buch, was ich vor einer ganzen Weile gelesen habe (wg Spoiler weder Titel noch Namen): Der Freund der Protagonistin wird ermordet. Trauerszenen. Plötzlich wird bekannt, dass er nicht ganz gestorben ist, sondern ein Untoter ist. Erleichterung. Unglauben (von meiner Seite ein wenig „wtf, ernsthaft?!“). Und als sie ihn dann endlich wiedersieht, wird klar, dass er zwar verwandelt wurde, aber danach quasi nochmal ermordet wurde und wirklich tot ist.
    Das fand ich irgendwie ziemlich gut gemacht ^^ Muss aber auch zur Geschichte passen und überzeugend umgesetzt sein …

    Liebe Grüße
    Sarah

    Antworten
    1. Sina Bennhardt says:

      Ach, jetzt hast du mich aber neugierig gemacht 😀 Welches Buch war das denn? Das hört sich nach etwas an, das ich auch lesen würde!

      Es kommt immer stark auf die Geschichte an, ob so ein Fake-Out funktioniert und es ist einfach wahnsinnig schwierig, das gut zu machen. da sind Positiv-Beispiele immer toll!

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      1. Sarah | Pergamentfalter says:

        Naaaaa gut 😉 Es geht um die Rachel-Morgan-Reihe von Kim Harrison. Er stirbt in Band 5, „Blutlied“ , aber ich glaube, wenn ich mich richtig erinnere, war die Aufklärung über den doppelten Mord dann erst im 7. oder 8. Band. Vorher war er zwar definitiv tot, aber es war noch nicht bekannt, wie genau er gestorben ist *grübel*
        Mir ist übrigens grad aufgefallen, dass ich zu doof war, es richtig zu beschreiben *lach* Er war vorher schon ein Untoter, aber in der Reihe gibt es quasi die „normalen“ Untoten und solche Vampire, die als Untote nochmal gestorben sind und deswegen emotionslos sind und nicht mehr in die Sonne können. Als die Protagonistin erfährt, dass er gestorben ist, trauert sie erst und ist fassungslos, klammert sie sich dann aber an den Glauben, dass er gar nicht ganz tot sein kann, weil es diese 2. Form der Untoten gibt. Hat ihm nur nichts mehr geholfen 😉
        Aber abgesehen davon: Die Reihe ist definitiv zu empfehlen! (Auch wenn es 13 dicke Bände sind) 😀

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        1. Sina Bennhardt says:

          13 Bände?!! Holy Shit. Da muss man aber ganz schön Zeit für freischaufeln. Werde ich mir mal anschauen 🙂

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  6. SemJZ says:

    „Fake Out“, cooler Begriff.
    Die Wiederbelebung toter Figuren als Zwang zum „absolut Happy“ End oder zum Recycling für Folge-Teile nervt wirklich.
    Ein (fast-) Happy End mit ein, zwei Trauertränen gefallen mir da besser.

    Vielleicht gibt es Möglichkeiten, einen Fake-Out absichtlich zu nutzen, um einen gewissen Effekt zu erzielen.
    Mir fallen da spontan Szenen aus Geschichten ein, in denen der Protagonist etwas erlebt, aufwacht und alles darauf hindeutet, dass das alles nur ein Traum war, um dann plötzlich zu erfahren, dass doch alles wirklich passiert ist. Jedoch ist dieses Beispiel zu ausgelutscht, um noch gut und unvorhersehbar zu funktionieren.

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