[Diskussion] Emotionales Verständnis – Rattatatam, mein Herz

Vor Kurzem wurde mir das Buch Rattatatam, mein Herz von Franziska Seyboldt (von den lieben Menschen vom KiWi Verlag) zugeschickt. Es ist ein kurzes Buch, nur 250 Seiten in relativ großer Schrift, und entspricht normalerweise nicht meiner typischen Buchwahl. Es handelt von dem Leben der Autorin und wie sie mit ihrer Angststörung lebt.

„An guten Tagen bin ich eine Schildkröte. Dann spaziere ich bepanzert bis an die Zähne durch die Straßen, Tunnelblick an und los.“  – Ausschnitt aus dem Klappentext

Anstatt das Buch „normal“ zu rezensieren (was ich mir nicht anmaßen möchte, schließlich geht es hier nicht um ein fiktives Werk) möche ich stattdessen über etwas sprechen, dass mir beim Lesen immer wieder in den Sinn gekommen ist und auch noch lange danach beschäftigt hat. Ich spreche von dem Unterschied zwischen rationalem und emotionalem Verständnis.

Wortklärung

Hier ist eine Definition fällig:

  • rationales Verständnis – die Fähigkeit, die Gedankengänge und Aktionen einer Person nachzuvollziehen
  • emotionales Verständnis – die Fähigkeit, die Emotionen einer Person zu verstehen (bitte nicht verwechseln mit Empathie – die Fähigkeit die Emotionen anderer mitzufühlen. Mir geht es hier tatsächlich um das Verstehen)

Rationales und emotionales Verständnis schließen sich nicht gegenseitig aus, können aber durchaus getrennt voneinander vorkommen.

Mein Problem mit dem emotionalem Verständnis

Ich habe keine Angststörung. Aber ich verstehe, dass Angst vor allem eines ist, nämlich irrational, und sich deswegen in den meisten Fällen nicht erklären oder Wegrationalisieren lässt. Soll heißen, ich habe ein rationales Verständnis dafür, dass Angst auch in „ungefährlichen“ Situationen entstehen kann und die betroffene Person deswegen irrational handelt und/oder denkt.

Soweit so gut.

Franziska Seyboldt hat ihre Erfahrungen mit ihrer Angst sehr nachvollziehbar geschildert und erzählt, wie sich ihre Gedanken verselbstständigen und trotzdem hatte ich Schwierigkeiten ihre Emotionen zu verstehen. Und ich möchte nur einmal am Rande feststellen, dass das nicht etwa an dem Schreibstil oder ihrer Erklärungsweise liegt, sondern an mir.

Ich habe eben keine Angststörung, was bedeutet, dass es mir schwer fällt, die Reaktionen auf ihre geschilderten Gedanken zu verstehen. Ich weiß nicht, wie sich die Nervosität anfühlt, die Panik und die Ohnmacht, die Franziska immer wieder erleben musste und ich habe mich immer wieder dabei erwischt, wie ich mir insgeheim gedacht habe: „Ach, jetzt hab dich nicht so. Es ist doch nur ein Flug.“ oder „Es ist doch nur eine Lesung.

Und dann war ich von mir selbst erschrocken. Ich bin doch eigentlich ein verständnisvoller Mensch… aber dann würde ich nicht so denken.

Warum denke ich so?

Ich musste in mich gehen und habe lange darüber nachgedacht, warum meine Reaktion so abwertend ausgefallen ist. Und die Antwort habe ich in meinem emotionalen Verständnis gefunden. Ich war nie in einer Situation, in der mich die Panik gelähmt hat und ich habe deswegen die Beschreibungen von Franziska direkt als übertrieben abgestempelt.

Und das ist schrecklich!

Warum habe ich den Schilderungen nicht ausnahmslos geglaubt?
Weil ich es selbst noch nie erlebt habe?
Weil es keine sichtbare Erkrankung ist?

Warum war meine erste Reaktion so abweisend?
Hier habe ich noch nicht einmal eine Antwort. Noch nicht einmal eine Schlechte.

Ich möchte mich bessern.

Ich möchte immer ein Ansprechpartner sein können. Ich möchte, dass meine Freunde mit ihren Problemen und Ängsten zu mir kommen können, ohne dass ich sie dafür verurteile. Egal was die Situation sein mag.

Deswegen war dieses Buch so wichtig für mich. Es hat mir gezeigt, dass ich jemand anders bin als diejenige, die ich gerne sein würde. Zum Glück gibt mir das die Möglichkeit, mich zu ändern. Und das möchte ich tun.

Ich möchte empathischer werden.
Ich möchte mit neuen Erfahrungen konfrontiert werden, ohne dass ich sie direkt abweise.
Ich möchte meine Engstirnigkeit, vor allem was psychische Erkrankungen angeht, ablegen.

Mein Appell an euch: Schaut von Zeit zu Zeit über euren Tellerrand hinaus. Vielleicht lernt ihr dann sogar etwas Neues über euch, das euch überraschen wird.

Und selbst wenn es etwas Schlechtes sein sollte, dann habt keine Angst, es zuzugeben und euch zu bessern. 🙂

 


Vielen Dank an den KiWi Verlag für dieses Buch. Ich hatte keine Ahnung, dass es mich verändern würde.

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