Ein Argument gegen „Show, don’t Tell“

Ist man ein Neuling in der Welt des Schreibens, dann ist Show, don’t tell der erste Tipp, den man bekommt. Zeigen, nicht erzählen.

Es tönt von rechts und schallt von links:
Du musst zeigen, nur dann ist der Leser involviert!
Du musst zeigen, sonst ist deine Geschichte platt.

Es werden immer nur die Vorteile des Zeigens zelebriert. Und das Erzählen bleibt auf der Strecke.

Was ist der Unterschied zwischen Show und Tell?

Show soll Emotionen hervorrufen. Dabei werden alle Sinne benutzt und dadurch soll sich der Leser komplett in der Geschichte fühlen.

Der Wind trieb dunkle Wolkenfetzen vor den Mond und das fleckige Licht offenbarte die fahle Haut des Mädchens, die sich zitternd am Boden wand.

Tell ist nützlich für eine reine Informationsübertragung.

Es ist Nacht und es ist kalt … und ich glaube, das Mädchen ist nackt.

Trotzdem findest du wahrscheinlich, dass sie die erste Variante besser anhört (abgesehen vielleicht von dem kleinen Scherz, den ich mir erlaubt habe 😉 ). Warum also finde ich, dass Show, don’t tell ein schlechter Tipp ist?

Weil es den Tell-Teil, also den Erzählen-Teil, des Erzählens verteufelt. Und ich finde Tell ebenso wichtig wie Show, daher möchte ich dir zeigen, wie ich die Verbindung des Zeigens und des Erzählens handhabe.

Wann benutzet man Show?

Show ist eine sichere Wahl, wenn man Emotionen zeigen möchte. Schließlich soll der Leser ganz versinken in der Geschichte und die Gefühle der Charaktere ebenfalls erleben, oder mindestens verstehen.

Actionszenen (Verfolgungsjadgen, Kämpfe etc.) profitieren ebenfalls von dem Zeigen, denn mit Show wird es so richtig blutig und atemlos.

Bei wichtigen Settings, die dem Leser im Gedächtnis bleiben sollen, lohnt es sich ebenfalls die Zeit zu investieren und zu zeigen.

Benutze Show nur, wenn der Leser sich daran erinnern soll.

Und benutze es gezielt. Denn wenn alles wichtig ist, dann ist nichts wichtig.

 

Wann benutzt man Tell?

Tell benutzt man bei Szenenwechseln, also wenn es einen Ort- oder einen Zeitsprung gibt.

Wenn man bei Actionszenen zu viel zeigt, dann läuft man Gefahr, dass man das gesamte Tempo aus dem Geschehen nimmt und das macht eine Actionszene langweilig. Hier also auch: Tell.

Wenn deine Charaktere an einen Ort kommen oder eine Person treffen, die in der weiteren Geschichte nicht wichtig ist, brauchst du deine Zeit nicht mit aufwendigem Zeigen zu verschwenden, da reicht ein einfaches „Sie begaben sich in ihr Hotelzimmer.“ oder „Der Mann hatte braunes Haar und helle Augen, doch (hier beliebigen Namen einsetzen) schenkte ihm nur einen flüchtigen Blick.“.

Fall du aus der Sicht eines bestimmten Charakters erzählst, kannst du mit Tell hervorheben, wenn sich der Charakter für etwas oder jemanden nicht interessiert.

Tell ist toll für Wiederholungen oder Auffrischungen. Denn wenn eine Person bereits mit Show eingeführt wurde, möchte der Leser das nicht immer wieder von vorne durchkauen. Dann reicht ein leichtes Schubsen in die richtige Richtung (mittels Tell) und der Leser wird sich erinnern.

Bei klaren Informationen, die unmissverständlich dargestellt werden sollen, ist Tell auch sinnvoller als Show.

Und mein Lieblingsart Tell zu benutzen: Kontraste.
Stell dir nur vor, dass du am emotionalen Höhepunkt deiner Geschichte angekommen bist und anstelle einer langen und ausschweifenden, tragischen Szene, gibt es nur einen einzigen Satz.

Er begann zu weinen.

Oder irgendetwas in die Richtung und dann das aus den Filmen bekannte Fade to Black.

Ich finde es gibt keine bessere Methode, um den Lesern das Herz zu brechen.

Meine Lösung

Meine Lösung ist erschreckend einfach. Wir sollten aufhören Tell zu verteufeln! Es ist schließlich ein sehr wichtiger Bestandteil des abwechslungsreichen Schreibens. Wie wäre es also mit der Änderung von nur einem Wort.
Der Tipp sollte heißen:

Show and Tell

… und nicht Show, don’t Tell.


Was meinst du? Wie hältst du es mit Show, don’t Tell? Wann benutzt du Show und wann benutzt du Tell?

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20 Replies to “Ein Argument gegen „Show, don’t Tell“”

  1. Eosphora says:

    Gefällt mir sehr gut, der Beitrag 🙂
    Zu viel „Show“ kann unglaublich „gefährlich“ sein, vor allem, wenn man gerade mit Schreiben anfängt…das kann dann sehr schnell sehr langweilig und übertrieben werden.
    Guter Ratschlag auf jeden Fall 🙂

    Antworten
    1. Sina Bennhardt says:

      Ja, nachdem ich Show, don’t tell fast 100 Mal gehört habe, habe ich eine Weile fast nur noch mit Show geschrieben und das war echt nicht mehr feierlich 😀

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  2. Friederike says:

    Liebe Sina! Weil das ja in die wenigen Zeichen auf twitter immer nicht reinpasst, hier noch ein paar Gedanken dazu. Ich hab das mit „Show don t tell“ immer etwas anders verstanden als Du. „Er begann zu weinen“ ist für mich durchaus noch „Show“. Das Beispiel, anhand dessen ich das immer ganz gut verstanden habe, war: „Sie waren total verliebt“ wäre „Tell“, zu beschreiben, wie beim Essen eine Hand unter dem Tisch verschwindet, sich die Finger verhaken, ihre Wangen sich röten… Oder woran man das auch immer von außen erkennt, dass jemand verliebt ist, wäre „Show“. „Alle waren leidenschaftlich bei der Sache“ wäre „Tell“ und beschreiben, wie sich alle engagiert ins Zeug legen, nicht zögern, anpacken etc. wäre „Show“. Das muss ja nicht immer mit ausschweifenden Beschreibungen des Mondlichts einhergehen. Und dass man bei langweiligen Gängen ins Hotelzimmer nicht jeden Flusen am Wegesrand zeigen muss, versteht sich von selbst. Vielleicht die interessante Frage: ist „Sie begaben sich ins Hotelzimmer“ überhaupt „tell“? Da verrätst Du ja gar nichts über das Innenleben. Also, ich hatte das immer in Bezug auf das Innenleben der Figuren verstanden, und dass es da manchmal besser ist, wie im Film mit einer Kamera von Außen drauf zu gucken und zu ZEIGEN, was man da sieht, anstatt als allwissender Erzähler alles aus dem Innenleben der Figur auszuplaudern („tell“). — Aber gewiss hast Du sehr recht, dass es nicht sinnvoll ist, „tell“ absolut zu verteufeln, weil man es manchmal unbedingt braucht oder es etwas auf dem Punkt bringen kann, was sich sonst nicht deutlich machen lässt. Und auch „show“ muss gekonnt und an der richtigen Stelle eingesetzt werden, damit es funktioniert und nicht zu einer Platitüde verkommt. – Spannend ist dann ja auch noch die Frage: was ist mit einem „nicht verlässlichen Erzähler“, der einen ganz eigenen Sprachstil hat und einem vielleicht auch die eine oder andere Unwahrheit mit Hilfe von „tell“ unterjubeln will, aber „show“ zeigt dem Leser etwas ganz anderes? Ach! Sehr viele schöne Experimente sind mit den beiden Dingen möglich! Na dann – liebe Grüße in die Schreibstube! Friederike/ frintze

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    1. Sina Bennhardt says:

      Hallo Friederike!

      Erstmal danke für deinen langen ausführlichen Kommentar!
      Ich muss zugeben, dass ich Show immer als sehr „blumige“ und metaphorische Sprache verstanden habe und Tell dann eben als alles andere. Mir ist gar nicht in den Sinn gekommen, dass man da die Grenze auch anders zeichnen könnte! Show und Tell waren eben eine Art des Erzählens und überhaupt nicht bezogen den Inhalt, der widergegeben wird.

      Deine Einteilung von Show (= Beschreibung der Situation von außen) und Tell (= Erzählen des Innenlebens) finde ich total super und ich werde versuchen, die Worte im Folgenden auch so zu benutzen!

      Die Idee mit dem unverlässlichen Erzähler finde ich klasse!!!! Das muss ich unbedingt irgendwann einmal ausprobieren!! Da kommen mir doch gleich ungefähr 12 Ideen für neue Geschichten 😀

      LG Sina

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  3. Kani says:

    Ein gut gelungener Artikel und du sprichst mir aus der Seele. Show neigt dazu alles unnötig in die Länge zu ziehen und obwohl es an manchen Stellen sicher angebracht wäre, ist es an anderen einfach zu langatmig. Die gesunde Mischung aus beiden bringt da mehr mit sich.
    Am Ende bleibt es jedem selbst überlassen und oft ist das Gefühl für die Szene schon richtig im Kopf und muss nur noch in die Finger gleiten. Schlussendlich muss keiner zum 100sten Mal hören, wie er fasziniert von den Facetten der Goldtöne ihrer Haare seine Umgebung komplett vergisst. Da reicht auch „Er lief gegen eine Ampel“

    Alle Liebe
    Kani

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    1. Sina Bennhardt says:

      Danke schön für das liebe Kompliment <3

      Ich hasse diese diese übertriebenen Beschreibungen. Wenn ich zum zehten Mal ihre Augen in einem leicht anderen Grünton beschrieben bekomme, möchte ich das Buch am liebsten weglegen 😀

      Außerdem "Er lief gegen eine Ampel." Sehr schönes Beispiel 😀 😀 Aus der Situation kann man richtig gut schließen, was eigentlich los ist 😀

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    2. Esther says:

      Für mich ist „er lief gegen eine Ampel“ reines show. Da ist nichts behauptet, da passiert was, und der Leser selbst erschließt sich, was es bedeutet. Hingegen wäre „er war fasziniert vom Gold ihrer Haare“ meines erachtens Tell, egal, wie viele Facetten es hat. Das ist behauptet. Der Leser kann sich nichts selbst erschließen. Er bekommt es nicht gezeigt, sondern ihm wird eine Deutung vorgesetzt.

      Abgesehen davon hast du völlig recht: tell hat seinen Platz und muss auch seinen Platz haben. Der Autor sollte alle seine Werkzeuge nutzen können, und wissen, wann er welches verwendet. Insofern: vielen Dank für den Artikel!

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  4. Jacquy says:

    Guter Artikel, den ich auch nachvollziehen kann, allerdings kenne ich den Spruch auch mit einer anderen Bedeutung.
    So wie ich das verstehe, geht es da eher darum, zum Beispiel Eigenschaften von Charakteren anhand ihres Verhaltens und ihrer Handlungen zu ZEIGEN, statt einfach zu SAGEN „er ist mutig“. Der Tell-Teil ist natürlich trotzdem wichtiger Teil der Handlung, aber ich glaube es geht eher darum, Dinge eher anhand der Geschichte zu beweisen als nur zu behaupten, dass es so ist.
    Davon abgesehen stimme ich deinem Artikel aber zu und beide Arten des Schreibens sind wichtig, sie müssen nur gut kombiniert werden. 🙂

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    1. Sina Bennhardt says:

      Es scheint ein paar verschiedene Interpretationsmöglichkeiten von „Show, don’t Tell“ zu geben, wie ich jetzt auch ein paar Mal in den Kommentaren bemerkt habe 😀
      Bei Eigenschaften von Figuren ist es natürlich einfach zu sehen, welche Methode anschaulicher (und wahrscheinlich auch schöner zu lesen) ist. Aber mir ist schon so oft untergekommen, dass Schreiberlinge den Satz „Show, don’t Tell“ auf alle Aspekte ihrer Geshcichten ausgeweitet haben, dass ich den Tipp auch schon als etwas Allgemeingültiges für jede geschriebene Situation gesehen habe.

      Und das ist natürlich nicht mehr gut. 😉

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  5. booksnstories says:

    Das ist doch einmal eine Sicht auf Literatur bzw. Storytelling,
    der man beim Lesen von Rezensionen sonst nicht begegnet.
    Vor der gleichen Herausforderung stehen ja auch Bildergeschichten/Comics bzw. deren bewegte Form, der Film.
    Dessen ist man sich als Konsument manchmal gar nicht so bewusst.
    Man urteilt schnell mit „Mag ich oder mag ich nicht“ und dabei ergibt manches doch beigenauerem Hinsehen durchaus Sinn.

    Vielen Dank auf jeden Fall für diese Denkanstupser 🙂

    Liebe Grüße
    Christina von booksnstories

    Antworten
  6. Isabell says:

    Hey 🙂
    Ein wirklich gelungener Artikel. Mir war bisher gar nicht bewusst, dass ‚Tell‘ so verteufelt ist. Aber du hast definitiv recht, dass ‚Tell‘ genauso wichtig wie ‚Show‘ ist und das der Tipp ‚Show and tell‘ heißen müsste. Ich muss mal anfangen, bei den Büchern die ich täglich lese, drauf zu achten, wie es dort umgesetzt wird. Vielleicht merke ich dann ja auch, ob es bei mir einen Zusammenhang zwischen der Art und Weise wie es genutzt wird und meinem letztendlichen empfinden des Buches gegenüber gibt und ob ich ein Buch wirklich langweiliger und langatmiger finde, wenn wirklich mehr gezeigt als erzählt wird.
    Aber im allgemeinen denke ich auch, dass es eine gute Balance zwischen beidem geben muss, um eine packende Geschichte zu schreiben.

    Liebe Grüße
    Isabell

    Antworten
    1. Sina Bennhardt says:

      Vielleicht passiert diese Verteufelung von „Tell“ auch nur in meiner eigenen Blase, aber ich hatte einfach das Gefühl, dass „Show, don’t Tell“ in jeder Situation von allen Rängen gerufen wurde und das hat mich ein bisschen genervt 😀

      Es ist suuuper interessant Bücher unter diesem Aspekt zu lesen! Es nimmt ein bisschen von der Geschichte (einfach weil man den eigenen Fokus verschiebt) aber es ist auf jeden Fall den Versuch wert.

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  7. Jennifer says:

    Hi Sina,

    sehr interessant. Ich selbst blogge ja nur und schreibe nicht wirklich Geschichten, aber mir erschließt sich das natürlich aus Leserinnensicht sehr.
    Oftmals kann ich bei einem Buch gar nicht in Worte fassen, warum es mich nicht abholt, obwohl eigentlich wunderbar alle Facetten von Emotionen abgerufen werden…

    Darauf werde ich in Zukunft mal ein bisschen drauf achten! 🙂
    Viele Grüße
    Jennifer

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  8. Andrea says:

    Bin so frei, einen Kommentar zu hinterlassen.
    Ich schreibe gerne Fanfictions und bin daher für jeden Ratschlag dankbar.
    Show und tell – die Mischung macht es, dass ist meine Theorie dazu.

    Herzliche Grüße

    Andrea

    Antworten
  9. Andrea says:

    Show und tell – die Mischung macht’s also. Ich schreibe auch gerne Fanfictions und bin daher für jeden Ratschlag dankbar.

    Herzliche Grüße

    Andrea

    Antworten
  10. Lukas says:

    Ich freue mich sehr, dass ich mit dieser Position offenbar nicht allein bin. Als Lektor erhalte ich ständig Manuskripte von Schreibneulingen, die diese „goldene Regel“ auf völlig übertriebene Weise verinnerlicht haben. Um ein Bild aus dem Film zu verwenden: Man hat ihnen gesagt, dass Method Acting das Nonplusultra ist, aber da sie es nicht beherrschen, wird nur Overacting draus. Will sagen: Mich widert dieses völlig übertriebene Geshowe von Emotionen und Gefühlen mit dem seitenlangen, ausufernden Ausbreiten der albernsten und fragwürdigsten Metaphern nur noch an. Dein Beispiel mit dem Kontrast-Tell „Er begann zu weinen“ trifft es auf den Punkt! Derartiges wirkt für mich viel intensiver und nachdrücklicher, als wenn die Tränen in mehreren Sätzen mit den Niagarafällen und mit dem Geschmack von Salzstangen verglichen werden.
    Daher unterschreibe ich das, was du ja im Grunde auch ausgesagt hast, voll und ganz: „Show“ muss gezielt, gekonnt und behutsam eingesetzt werden, dann entfaltet es seine Wirkung. Übertreibt man es, geht der Schuss nach hinten los.
    Also: Danke für deinen Text!

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